Apostelgeschichte 17,26
Andachten
Und hat gemacht, dass von einem Blut aller Menschen Geschlechter auf dem ganzen Erdboden wohnen, und hat Ziel gesetzt, zuvor versehen, wie lange und weit sie wohnen sollen; dass sie den Herrn suchen sollten, ob sie doch ihn fühlen und finden möchten. Und zwar ist er nicht ferne von einem Jeglichen unter uns.
Gott ist uns nicht fern, er ist uns nahe, ja er ist der Allernächste, er ist uns so nahe, wie uns unser eigenes Leben ist, und wir würden ihn nicht verloren haben, wenn wir uns nicht selbst verloren hätten an den Trug der Lüge, in die Nacht der Sünde, in den Dienst des Fleisches und der Eitelkeit. Wenn wir nun den Blick unsers Auges, das überall ruhelos umherschweift, in unser eigenes innerstes Wesen hinein richten, in die Unruhe, in die Angst unserer Seele, in das tiefe Sehnen unseres Geistes, in die ewigen Bedürfnisse unseres Herzens, so finden wir, dass unser tiefstes, innerstes Wesen aus einer ewigen Quelle fließt, dass der Lebensfunke, der noch in uns glüht, nur von einem göttlichen Wehen brennend erhalten wird, dass uns ein unendliches Gut nahe ist, und dass alle unsere Unruhe daher kommt, dass wir dieses Gut nicht haben, dass wir in Gott sind und doch außer Gott und ohne Gott, und das Leben, das er uns gibt, das wir in ihm nur haben, der Lüge, der Sünde, der Welt zum Raube geben. Das ist der furchtbare, schreckliche Zwiespalt in uns, der entweder muss gehoben werden, oder der endlich zu einem nagenden Wurm wird, der nicht stirbt, zum brennenden Feuer, das nicht verlöscht. So ist denn Gott nicht für uns der unendlich Ferne, den wir nicht erreichen, zu dem wir uns nicht erheben können, sondern er ist der nahe, der sich unaufhörlich mitteilende Gott, der sich durch sein eigenes, innerstes Wesen, das lauter Liebe ist, und das sich daher dem Menschen mitteilen, das sich in seinem Reichtum und in seiner Herrlichkeit an ihm offenbaren will, von Anfang an unaufhörlich an ihn geknüpft hat, so dass selbst die Sünde das Band zwischen Gott und Menschen nicht ganz hat zerreißen können, so dass Gott dem Menschen nahe ist geblieben, obgleich sich der Mensch von Gott entfernt hat, und sein Leben nicht aufgehört hat, ein Leben in Gott zu sein, obgleich er ohne und wider Gott lebt, und alles, was Gott ihm gegeben hat, wider sich selbst und wider Gott missbraucht und mit Sünden befleckt und schändet. Daher aber kommt auch seine Angst vor Gott, seine Flucht vor Gott, sein Bemühen, sich zu entschuldigen, sich zu rechtfertigen, d. h. sich mit seiner Schande vor dem zu verbergen und zu verstecken, in dem er lebt, webt und ist. Daher kommt die Stimme seines Gewissens, das ihn daran mahnt: Gott ist dir nahe, er sieht dich, er hört dich, du lebst in ihm und lebst doch wider ihn. Daher kommt endlich die Verzweiflung, in der er, um diesem inneren Zwiespalt zu entgehen, in seinem Herzen spricht: es ist kein Gott, oder das gebrochene Herz, in dem der verlorene Sohn endlich spricht: ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und will zu ihm sagen: ich habe gesündigt und bin hinfort nicht wert, dass ich dein Kind heiße.
Ja Gott ist uns nahe, nach seinem innersten, unveränderlichen Wesen, das lauter herablassende, mitteilende Liebe ist. Er hat nur seine Wege mit dem Menschen geändert, als sie ihn verließen, aber nicht sein Herz gegen sie und ist mit ihnen vereinigt geblieben als ihr Lebenselement, und wer ihn gesucht hat, der hat ihn auch gefunden, der hat es erfahren, dass er ein Helfer und Vergelter ist aller derer, die ihn suchen, eben indem er sich von ihnen finden lässt als der Gott der Hilfe und des Heils, des Friedens und der Freude, des Lichts und des Lebens, in dessen Gemeinschaft der Mensch sagen kann: sei nun zufrieden, meine Seele. (Friedrich Mallet.)