Apostelgeschichte 17,16
Andachten
Erstes Kennzeichen: Das heilige Ergrimmen eifert nicht für das eigene, sondern für Gottes Interesse.
So verhielt es sich mit dem Ergrimmen des Paulus in Athen. Wenn in seinem Herzen grimmige Gefühle aufgestiegen wären im Rückblick auf die neidischen Gegner, die ihn in Beröa vertrieben hatten, so wäre dies kein heiliger Zorn, sondern eine Anwandlung von Rachsucht gewesen. Oder wenn ihn der Unmut darüber erfaßt hätte, daß die sehnlichst erwartete Ankunft von Silas und Timotheus sich so lange verzögerte, so hätte dieses Gefühl in der menschlichen Ungeduld seinen Grund gehabt. Oder wenn er einige Tage später darüber erregt worden wäre, daß man ihn auf offenem Marktplatz in Gegenwart anderer Leute einen Lotterbuben nannte, so wäre dies eher gekränkte Eigenliebe als göttlicher Zorn gewesen.
Aber Paulus ergrimmt weder über alte noch über neue Kränkungen, auch nicht über Geduldsproben, sondern über die große Zahl der Götzenaltäre, welche Gottes Ehre schädigten. Das war heiliger Grimm.
Wenn heute hei uns einer darüber ergrimmt, daß der Nachbar über seinen Acker fährt oder ein anderer über ihn Böses plaudert u. dgl, so können wir gewiß sein, daß dies solcher Zorn ist, von dem das Apostelwort gilt: „Alle Bitterkeit und Grimm und Zorn sei ferne von euch!“ (Eph. 4,31). Wenn aber ein bewährter Christ darüber entrüstet ist, daß von einflußreichen Personen unserm Heiland die Krone geraubt wird, die ihm gebührt, so ist solches Ergrimmen ganz anders zu bewerten. Wollen wir Nachfolger dessen sein, der in heiligem Grimm den Tempel reinigte, so laßt uns sorgfältig darauf achthaben, daß auch „der Eifer um sein Haus“ und nicht der um unser eigenes uns fresse und fortreiße!
Zweites Kennzeichen: Das heilige Ergrimmen ist nicht mit Haß, sondern mit erbarmender Liebe verbunden.
Das Beispiel von dem Ergrimmen des Mose (2. Mose 32,7-29) bei dem Goldenen Kalb kann uns dies besonders deutlich zeigen. Wollen wir diesen Grimm des Mose recht verstehen und ist es uns darum zu tun, daß unser Ergrimmen über alle heutige Abgötterei so rein und heilig sei wie das seinige, so dürfen wir einen Zug in der Geschichte nicht vergessen: Bevor Mose im Grimm das Goldene Kalb zu Pulver zermalmte, hat er vorher auf einsamer Bergeshöhe zu Gott um Erbarmen für die verirrten Tänzer gefleht.
Mancher Grimm würde wohl anders aussehen oder gänzlich erlöschen, wenn solche Fürbitte einer Zornesäußerung vorausginge. Mose trat wohl zornig auf gegen die leichtfertigen Übertreter des göttlichen Gesetzes, aber sein innerster Herzensgrund war mit erbarmender Liebe zu diesem verirrten Volk erfüllt, wie auch die nachfolgende Fürbitte (2. Mose 32,32) so herrlich zeigt. Er haßte den Frevel, aber ersuchte das Beste der Frevler.
So handelt der heilige Grimm. Er stammt von dem, der die Liebe ist, und verleugnet diesen Ursprung nicht, wenn er echt ist. Auch Paulus hegte bei seinem Ergrimmen in Athen keinerlei Haß im Herzen, wie sein treues Bemühen um das Heil der Athener zur Genüge beweist.
Drittes Kennzeichen: Das heilige Ergrimmen raubt nie die ruhige Überlegung, sondern treibt zu weisem und besonnenem Handeln.
Der falsche, sündige Zorn macht die Menschen blind und unweise (Spr. 29,22). Wie viele Fehler werden gemacht durch übereiltes Ergrimmen im Gebiet der Erziehung, der Seelsorge, des Strafens bei der Wortverkündigung und anderswo!
Wie weise und besonnen handelt dagegen der in heiligen Ingrimm geratene Paulus zu Athen! Wäre sein Grimm ein fleischlicher gewesen, so hätte er vielleicht einige Götzenaltäre jener Stadt beschädigt oder zerstört. Aber wie er später in Ephesus „kein Lästerer der Göttin Diana“ war (Apg. 19,37), so vermied er auch hier eine derartige Kampfesart gegen das Heidentum. Der Ingrimm des Heiligen Geistes gab ihm die beste Waffe der klaren, besonnenen und entschiedenen Wortverkündigung in die Hand und auf die Lippen. (Alfred Christlieb)
Da aber Paulus ihrer zu Athen wartete, ergrimmte sein Geist in ihm, da er sah die Stadt so gar abgöttisch. Und er redete zwar zu den Juden und Gottesfürchtigen in der Schule, auch auf dem Markt alle Tage zu denen, die sich herzufanden.
Was würde St. Paulus wohl gesagt haben, und wie würde er ergrimmt sein, wenn er in diesem neunzehnten Jahrhundert nach Christo dasselbe abgöttische Wesen gefunden hätte, wie damals in Athen? Mitten in der Christenheit, wo seit mehr als tausend Jahren das Wort des Heils gepredigt ist, wo die Kreuze von den Türmen in den Himmel ragen, wo in den Kirchen und auf den Wegen die Arme Jesu vom Kreuz herab sich ausstrecken nach allen Sündern, ein Jagen und Rennen nach heidnischen Götzenbildern, eine Nachäfferei heidnischen Wesens, eine Schwärmerei und Schwindelei mit der Schönheit der Antike! Dagegen eine eisige Kälte und frostige Gleichgültigkeit gegen den gekreuzigten und auferstandenen Heiland, ein Achselzucken und Kopfschütteln bei dem heiligen Eifer Seiner Zeugen und besten Jünger, ein heftiger Widerwille gegen den vollen Ernst der Buße und Bekehrung, eine Zweifelsucht gegen die großen Hoffnungen der Ewigkeit. Wahrlich, Ursach' genug, um zu ergrimmen im Geist. Aber was lesen wir weiter? solches Ergrimmen hindert Paulum keineswegs, den Juden und Gottesfürchtigen in der Schule, ja sogar auch mitten auf dem Markt, alle Tage das Evangelium von Jesu zu predigen Denen, die sich herzufanden. Also weit entfernt, dass sein Ergrimmen ihn missmutig und verzagt gemacht hätte, ist es ihm ein Stachel und Sporn gewesen, die Sache des Herrn zu treiben. Das soll uns ein Vorbild sein. Je mehr Abfall zur Rechten und Linken, desto eifriger; je mehr Heidentum einzureißen droht, desto kräftiger in der Bezeugung der Heilsamen Lehre, und je mehr Feindschaft, desto unermüdlicher, zu überwinden das Böse mit Gutem. Wir haben ja die Verheißung: eher sollen sie zu uns, als wir zu ihnen fallen. (Nikolaus Fries)