Johannes 15,11
Andachten
“Solches rede ich zu euch, auf dass meine Freude in euch sei.“
Ob wir solche Worte Jesu hienieden ganz ausschöpfen können? Seine Freude? Das ist nicht die Freude, die wir an ihm haben - und das ist auch schon eine große Sache und ein köstliches Gut - sondern seine Freude, die er hatte. Das sagt einer in dem Augenblick, wo ein Kilometer davon die Fackeln seiner Häscher schon angezündet werden und er weiß, was für Qualen seiner warten. Was muss das für eine Freude gewesen sein! Freude in Gott, Freude über den Glauben der Jünger, über sein gleich beendetes Erdenwerk, Freude über die Erlösung der Welt - ich weiß nicht, was da alles hineingehört. Genug, dass er die Absicht hat, seine Jünger durch sein Wort mit wunderbarer Freude zu erfüllen. Wie wenig gelang es ihm damals! Gelingt es ihm bei uns? Wieviel günstiger liegen heute die Aussichten, wo eine ganze Geschichte seiner Kraftwirkungen hinter uns liegt, und er aus der Harmonie beim Vater heraus uns seine Freude übermitteln kann. Und doch, wie bruchstückartig pflegt diese Jesusfreude bei uns zu sein! Als ob wir es nicht vertrügen, uns lange nur in ihm und an ihm zu freuen! Als müssten noch Erdendinge dabei sein, die uns törichte Menschen mithelfen zur Freude zu stimmen. Darum freue ich mich auf die Ewigkeit!
Was wir von deiner Freude hier geschmeckt, Herr Jesus, das hat uns den Sinn geschärft, zu unterscheiden zwischen echter und wahrer, zwischen reiner und gefärbter Freude. Hilf uns hindurch! Amen. (Samuel Keller)
Solches rede ich zu euch, auf dass meine Freude in euch bleibe, und eure Freude vollkommen werde.
Unser Erlöser sagt zwar den Seinigen zuvor, dass sie werden Trübsal und Verfolgung von der Welt haben, darüber sie trauern und klagen werden; dennoch will er nicht, dass die innerliche Freude darum ganz in ihnen verlöschen soll, wie wir aus seinen Worten abnehmen können: „Solches rede ich zu euch, auf dass meine Freude in euch bleibe, und eure Freude vollkommen werde“. In seinem hohenpriesterlichen Gebet sagt er auch unter andern: „Ich komme zu dir, und rede solches in der Welt, auf dass sie (meine Jünger) in ihnen haben meine Freude vollkommen“ (Joh. 17, 13). Merke, dass der Heiland unterscheidet die angefangene und die vollkommene Freude der Seinigen, die Wurzel und die Blume, den Stamm und die Frucht; die Wurzel soll und muss allezeit in den gläubigen Herzen bleiben, wie wohl die Blume sich nicht allezeit findet, sondern von der rauen Winterluft der Trübsal verwelkt; die Ursache der Freude haben die Gläubigen allezeit, so lange sie Gläubige sind und in der Gemeinschaft Jesu leben, die Frucht aber wird manchmal durch des Teufels Neid und der Welt Bosheit, ja auch durch die Schwachheit unsres Fleisches, welches den Sorgen oft allzu viel nachhängt, verhindert. Es ist aber ein Christ schuldig, immerdar danach zu streben und von Herzen zu wünschen, dass seine Freude immer vollkommen sein, blühen, und alle Traurigkeit unter sich legen möchte.
Auch ist dieses hierbei in Acht zu nehmen, dass bei erfahrenen und im Glauben wohlgeübten Christen die geistliche Freude mitten in der Trübsal bestehen soll. Sie sind als die Traurigen, (nach dem äußerlichen Zustande und nach dem Fleisch) aber allezeit fröhlich (nach dem innerlichen Zustande ihrer Seele und nach dem Geist). (2. Kor. 6, 10.) Sie rühmen sich der Trübsal, (Röm. 5, 3,) und achten es für lauter Freude, wenn sie in mancherlei Anfechtungen fallen. (Jak. 1, 2.) Es ist mit ihnen wie mit einem gefunden, starken Menschen, der, ob er schon manchmal schwere Arbeit und mühselige Reisen tut, dabei er manchen sauren Wind sich muss lassen unter die Augen wehen, manchen Schweiß lassen, und oft Frost und Hitze, Hunger und Blöße erdulden, dennoch sich wohl befindet, Essen und Trinken schmeckt ihm wohl, seine Ruhe ist sanft, ja die Arbeit ist ihm nur eine Lust, sonderlich wenn er eines guten Nutzens davon versichert ist, und weil die innerliche gute Beschaffenheit seines Leibes alles überwindet. So ist es mit geübten Christen auch. Weil ihre Seele sich in der Gemeinschaft Jesu Christi durch den Glauben sehr wohl befindet, weil sie der Gnade Gottes versichert sind und ein gut Gewissen nebst der gewissen Hoffnung der ewigen Seligkeit haben, so tritt ihnen die äußerliche Trübsal und Ungelegenheit nicht recht zu Herzen, die Kreuzarbeit ist ihnen eine Lust, und sie überwinden alles mit Freuden um des willen, der sie geliebt hat; sie haben von der Gemeinschaft Jesu Christi und seinem Geiste so viel süßen Trostes, dass sie nicht Ursache haben, länger traurig zu sein. (Christian Scriver)