Johannes 13,21
Andachten
Da Jesus solches gesagt hatte, ward er betrübt im Geist, und zeugte und sprach: wahrlich, wahrlich, ich sage euch: einer unter euch wird mich verraten.
Es ist eine selige Beschäftigung, Blicke in die Leidensgeschichte des Heilandes zu tun. Da besonders finden wir die heiligen Spuren, die uns hinein leiten in seine Zubereitung zum barmherzigen Hohenpriester. Sein Leiden, das sich nicht nur auf die letzten Tage beschränkte, war ein heiliges Leiden und darum gerade in seinen Tiefen ein stilles Leiden. Wer kann sagen, was er in der Stille durch Judas gelitten hat? Und wie viel Belehrung und Trost können wir nicht schöpfen, aus seinem ganzen Verhalten zu diesen Jünger bis zum Verräterkuss! Der Jüngerkreis des Heilandes war in gewissem Sinne eine Familie. In der Familie machen wir die tiefste Erfahrung, sowohl in Freude als in Leid. Den Unannehmlichkeiten, die außerhalb der Familie liegen, kann man sich vielfach entziehen, sehr oft ohne zu sündigen, entziehen; den Dingen, die uns in unseren Familien begegnen, können wir uns nicht entziehen, wir müssen uns vor Gott mit denselben auseinandersetzen; dazu liegen sie täglich vor uns. Wie viel wird da gesündigt durch Ungeduld, Unweisheit, Lieblosigkeit, Versäumnisse; besonders wenn schwere Übungen länger anhalten! Das Familienleben soll uns eine Schule zur Heiligung sein; aber es kann uns auch zur Verkrüppelung dienen, durch unsere eigenen Fehler. Sollte der Heiland in allen Dingen uns gleich werden; sollte er für alle Lebensverhältnisse unser barmherziger Hoherpriester werden, so konnten ihm die schwersten Erfahrungen in seinem engsten Jüngerkreis nicht erspart bleiben. Die bittersten Übungen bereitete ihm Judas. Des Herrn Auge durchschaute ja seine ganze Entwicklung; er sah, wie er sich innerlich mehr und mehr dem Licht verschloss. Wie musste dieser Geist täglich auf des Herrn heiliges Gemüt drücken. Welches Weh musste es für ihn sein ein „verlornes Kind“ unter seinen Zwölfen zu haben! Und doch, mit welcher Geduld trug er ihn! Er schickte ihn nicht fort; Judas musste sich selber ausschließen. Er gab ihm völlig Zeit zum Ausreifen. Er entzog ihm selbst die Kasse nicht, obschon er ein Dieb war, und er ihr als solchen kannte. Er predigte ihn nicht fortwährend an, und überhäufte ihn nicht mit Vorwürfen, sondern erwies ihm Liebe bis zum Schluss, so dass er auch dem armen verlornen Kind gegenüberstand, ohne Fehl. Welch ein heiliger Bußspiegel ist Jesu Verhalten für uns! Und welch mächtigen Trost können bußfertige Eltern in ähnlicher Lage bei ihrem barmherzigen Hohenpriester holen, der sie ganz versteht!
Heiliger Jesu! Ich beuge mich vor Dir im Bewusstsein meiner Familiensünden. Reinige Du mich! Sei Du mein Lehrer, und lass Du alle meine Sorgen auf Dein treues Herz gelegt sein. Amen. (Elias Schrenk)
Da Jesus solches gesagt hatte, ward er betrübt im Geist, und zeugte, und sprach: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch wird mich verraten.
So steht der Heiland seinem Verräter gegenüber. Kein Wort des Zorns und Vorwurfs kommt aus seinem Munde; nur tiefes Erbarmen mit dem verlornen Kind, tiefste Trauer über den Jünger, der so hoch berufen war, und doch so tief gefallen ist. Hast auch du dich verirrt, gehst auch du den Weg der Sünde und des Verderbens, Jesu Auge ruht auch auf dir mit demselben Schmerz und derselben Trauer. Und du, der du treu geblieben bist wie Johannes, wenn dein Auge einen Gefallenen sieht, lerne es von deinem Meister, lerne es von den Jüngern, was dir da zuerst geziemt: Du sollst nicht richten und verdammen, sondern trauern sollst du, ein tiefes Weh soll dir durchs Herz gehen über Den, der doch auch ein Glied an Christi Leib ist. Sprich nicht wie der Pharisäer: „Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin, wie der oder die,“ sondern schlage wie der Zöllner an deine eigene Brust: „Gott sei mir gnädig.“ Haben doch auch die Jünger bei dem Worte des Herrn: „Einer unter euch wird mich verraten“ erschrocken gefragt: „Herr, bin ichs?“ Auch ein Johannes, ein Petrus hat also gefragt. Sind wir etwa besser als sie? Seht, sie weisen nicht auf einen Andern, sie schlagen Jeder an die eigene Brust. O so lass des Herrn Wort auch dich zu der demütigen Selbstprüfung treiben: Bin ich auf dem Wege, meinen Herrn zu verraten, meine Seele zu verkaufen, um irgend einen Preis? Wenn ein Johannes und Petrus bange fragen: „Herr, bin ichs,“ sind wir besser als sie, sicherer in unserer Gottseligkeit? Wenn selbst unter den zwölf Jüngern Einer war, der den Herrn verriet, wie vielmehr müssen wir alle Morgen aufs Neue bitten: Vater Unser, führe uns nicht in Versuchung.(Adolf Clemen)