Lukas 9,26
Andachten
Wer sich aber mein und meiner Worte schämt, des wird sich des Menschen Sohn auch schämen, wenn er kommen wird in seiner Herrlichkeit, und seines Vaters, und der heiligen Engel.
Da sieht's doch für den Nikodemus schlecht aus, denn warum kommt er des Nachts? Offenbar weil er sich der Gemeinschaft Jesu schämt. Wenn nun Jesus auch gerne seine Nachtruhe opfern wollte, musste er dann nicht doch den Nikodemus schelten, seiner Feigheit wegen? Wir sind sehr geneigt zu sagen: Schämst du dich meiner, so schäm' ich mich deiner; bin ich dir zu gering, so ist mir meine Zeit und meine Liebe für dich zu schade. Aber so stolz ist der Herr der Herrlichkeit nicht. Er tadelt den Nikodemus mit keinem Wort, mit keiner Andeutung. Wir wollen nicht sagen, dass es nicht auch Jesum schmerzte, wenn man sich seiner schämte; aber er blieb bei diesem Gefühl niemals stehen. Er, der „sanftmütig ist und von Herzen demütig“, ist darüber aus, immer das Beste an uns zu sehen. Er dringt durch bis auf des Herzens tiefsten Grund, sieht an das glimmende Glaubensdöchtlein, sieht an die keimende Lust zur Wahrheit und ist so barmherzig, so holdselig und sieht all den Wust, der drum und dran sitzt, nicht an, all die Unlauterkeit und Lüge und Sinnenlust und Halbheit und Trotz und Verzagtheit und Hochmut und Feigheit und sonstige Nichtsnutzigkeit, die alle sieht er nicht an, um jenes Keimleins willen. Und wenn unser Heiland uns so nicht nähme, so müsste er uns Alle verloren geben! Wohl uns, dass Gott größer ist als unser Herz, als unser zugleich so hochmütiges und kleinmütiges Herz, unser Herz, das stolz genug ist, göttliche Kindschaft und göttliche Herrlichkeit zu erstreben, und das dennoch zittert vor jedem Achselzucken und spöttischem Lächeln eines hinschwindenden Menschenkindes, - des Menschenkindes sogar, von dem wir wissen, dass es gar kein Urteil hat über das, was etwas ist und was nichts ist. Und doch zittern wir vor diesem Lächeln! Trotz und Verzagtheit, o Eitelkeit und Erbärmlichkeit des Menschenherzens! Welch ein Heil, dass Gott größer ist als das Herz des Menschen!
Du begreifst doch, Leser, dass nicht nur von Nikodemus, sondern auch von dir die Rede ist. Ach, wie Viele von uns hätten in seiner Lage noch nicht einmal den Mut gehabt, des Nachts zu kommen! Wir sahen, wie viel er innerlich zu überwinden hatte. Jesus ist mit dem Manne wohl zufrieden, dass er überhaupt kommt.
Aber auch mit Nikodemus konnte es nicht so bleiben und es ist nicht so mit ihm geblieben. Wäre er auch zwei Jahre später nur in der Nacht zu Jesu gekommen, so hätte er damit sich selbst gerichtet. Denn „Alles hat seine Zeit“, auch die Furchtsamkeit, da man mit dem Bekenntnis und mit der Gemeinschaft Jesu nicht an den Tag kommen will. Es kommt ein Punkt, da sagt der „sanftmütige und von Herzen demütige“ Jesus zu allen Nikodemussen: „Wer sich meiner schämt, dessen will ich mich auch schämen“. Wann kommt dieser Punkt? Nun, dieser Punkt ist gekommen, wenn dein Suchen, Tasten, Tappen nach Wahrheit und Gnade zum Finden geworden ist, - wenn Jesus Christus dir enthüllt ist, als das, wer Er ist und was Er will mit dir! Wehe Dem, der immerfort nur in der Nacht zu Jesu gehen will, der wird ihn bald nicht mehr finden. Wohl kennt der Herr, dein Gott, was für ein Gemächte wir sind und wie schwer es uns ist, Menschen Menschen sein zu lassen. Darum sollst du auch milde und barmherzig urteilen über so Manche, die lange schwanken und wanken. Dir selbst aber sollst du sagen, dass du ein jämmerlicher Mensch bist, wenn du nicht die Sklavenbande der Menschenfurcht durchbrichst. Frei machen soll dich die Wahrheit; unwürdig ist es und wahnwitzig, Anderen zu lieb seine eigene Seele verkümmern zu lassen. So werde denn frei, brich durch, o Menschenherz. Schaue Jesum an, lass dich von ihm anhauchen, so kannst du's, nur so kannst du's. (Otto Funcke)
Als der HErr Jesus auf Erden in der Niedrigkeit lebte, so schämten sich Viele Seiner, weil Er keine Gestalt oder Pracht an sich hatte, die der Welt gefallen konnte, und welche die Juden von ihrem Messias erwarteten. Er war arm, und man konnte bei Ihm keine Vorteile für das Fleisch erlangen. Seine vertrautesten Jünger, die zwölf Apostel, waren geringe Leute und ungelehrte Laien. Auch sagte man damals: glaubt auch irgend ein Oberster oder Pharisäer an Ihn? Das Volk aber, das nichts vom Gesetz weiß (und Ihm anhängt), ist verflucht. Es fehlte auch nicht an spöttischen und groben Schmähungen, womit man Ihn belegte: s. Ps. 69,13., Joh. 8,48. Es schämten sich also Viele Seiner, ungeachtet sei Rührungen und Überzeugungen bekamen, welche sie zum Glauben an Ihn neigten, und wollten um Seinetwillen nicht geschmäht und als Toren verspottet werden. Sie schämten sich auch Seiner Worte, und wollten entweder keine öffentlichen Zuhörer derselben sein, oder wenigstens sie bei Anderen nicht als Worte Gottes nachsagen; weil sie darüber verhöhnt worden wären.
Heut zu Tag ist der Christenname an sich selbst nichts Schimpfliches, weil ihn ganze Nationen tragen. Man durfte auch bisher allenthalben in der Christenheit bekennen, dass Christus der eingeborne Sohn Gottes sei, und uns erlöst habe, weil alle christlichen Völker wegen dieser Lehrsätze mit einander einverstanden waren, auch durfte man Seine Worte öffentlich lehren und nachsagen, ohne deshalb geschmäht zu werden: Anders verhält es sich aber, wenn man Seinen Sinn hat und zeigt, und Sein Wort hält, und sich dadurch vor der Welt, die im Argen liegt, auszeichnet. Hier schämt sich ein Mancher, und kann es leichter ertragen, wenn man ihn einen boshaftigen Menschen schilt, als wenn man ihn einen Frommen, einen Heiligen, einen Liebhaber und Nachfolger Jesu nennte. Ach, wie viele Bekehrungen unterbleiben wegen dieser Scham, und wie viele Seelen gehen wegen derselben verloren! Diejenigen, welche den wahren Christen mit Verachtung begegnen, und dadurch verursachen, dass sich Andere des wahren Christentums schämen, werden ihr Urteil tragen: aber auch die Verzagten, welche keine Schmach und Hintansetzung um Christi willen leiden wollen, werden ihre Strafe nach dem Wiedervergeltungsrecht bekommen.
Der HErr Jesus schämt sich nicht, geringe Leute, die von Herzen an Ihn glauben, und sich zu Ihm halten, Seine Brüder zu nennen, Hebr. 2,11. Aber derjenigen, die sich Seiner geschämt hatten, wird Er sich am jüngsten Tag auch schämen. Er wird sagen: Ich kenne euer nicht; Er wird sie Übeltäter und Verfluchte nennen, und sie alsdann von Sich weisen, ohne sie ferner anzuhören oder anzusehen.
So vertilge denn die Erkenntnis der Herrlichkeit Jesu schon jetzt die törichte Scham, die Seinen Namen verläugnet in mir, und die Welt werde mir durch das göttliche Licht immer mehr in ihrer wahren Gestalt, nach welcher ich sie, wenn es auf das Bekenntnis des Namens Jesu ankommt, gar nicht zu fürchten habe, offenbar. Welche Ehre wird es für mich sein, wenn Er mich vor Seinem himmlischen Vater bekennen wird! Solche Ehre werden alle Seine Heiligen haben. Halleluja! (Magnus Friedrich Roos)