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Lukas 23,34

Lukas 23,34

Andachten

Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun.
Was hat denn der Herr gesehen von Gethsemane bis nach Golgatha? Er hat den Judas gesehen, wie er ihm seinen verräterischen Kuss gab, seine Feinde, wie sie ihn banden, den hohen Rat voll tödlichen Hasses und Heuchelei, den Pöbel mit seiner Rohheit, Pilatus mit seiner Ungerechtigkeit, Feigheit und Menschenfurcht, Herodes, den mit Blut befleckten Spötter, Petrus, der ihn verleugnete, die übrigen Jünger, wie sie flohen. Das Alles kam über ihn in wenigen Stunden. Und doch, schaue ihn an am Kreuz und höre seine Bitte: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun! Die Sünde, Schlechtigkeit, Untreue und der Hass der Menschen konnte ihn nicht erbittern; sein Herz ist noch ebenso voll Liebe, wie bei der Fußwaschung und dem Mahl am Abend vorher. Unter seinem Kreuze muss ich immer wieder knien; vor seiner Liebe, mit der er seine Feinde liebt, muss ich mich immer wieder beugen und anbeten, wenn ich daran denke, dass ich ihn an das Kreuz gebracht. Hatte denn Israel, das ihn verwarf, Entschuldigung? menschlich geredet, nein! Sein Erbarmen aber spricht: sie wissen nicht, was sie tun; darum vergib ihnen, Vater! O, wie tröstet mich dieses Wort, wenn ich bekennen muss: Lange ging ich in der Irre, liebte meinen Jesum nicht. Ich weiß, Du, Herr Jesu! hast auch für mich gebeten; denn Du hast mich ja nicht aufgegeben; Du hast mich gesucht und gefunden. Und wenn ich bekennen muss, dass ich Dich sehr oft betrübt habe, nachdem ich so viel von Dir gehört und so manche Gnadenerweisungen erfahren hatte, so tröstet mich dennoch Deine Bitte, denn ich weiß, auch Petrus war in derselben eingeschlossen, und der Vater hat ihm vergeben. Ja, diese Liebe zu den Feinden im Herzen unseres gekreuzigten Heilandes soll alle Lieblosigkeit in unseren Herzen verzehren; sie will auch unsere Herzen füllen, damit wir unserer Umgebung gegenüber nicht gleich verzagen, sondern Pauli Regel lernen: die Liebe hofft Alles, sie duldet Alles, die Liebe hört nimmer auf, 1. Korinth. 13,7.8.

Du gekreuzigte Liebe! Ich kann Dir in Ewigkeit nicht genug danken, dass Du auch mich geliebt hast bis in den Tod. Hülle mich ein in Deine Liebe; erfülle mich mit Deiner heiligen Liebe, damit ich nicht müde werde, zu lieben und zu vergeben. Amen. (Elias Schrenk)


Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.
Joh. 17,9. sagte Jesus, Er bitte (damals) nicht für die Welt; da man Ihn aber kreuzigte, bat Er für Leute, die zur Welt gehörten, nämlich für die rohen Soldaten, die Ihn unter ihren Händen hatten, gleichwie Er auch Luk. 13,8. in einem Gleichnis andeutet, dass Er für einen unfruchtbaren Feigenbaum, das ist für einen fleischlichen Menschen, um Verlängerung seiner Gnadenzeit bitte. Jesus bat also für die Soldaten, die Ihn kreuzigten. Das Getümmel, das um Ihn herum war, die Schmach, die Ihm mit Worten und durch die Entblößung Seines Leibs angetan wurde, und die Schmerzen, welche Ihm die Nägel verursachten, brachten Seine Seele in keine Unordnung und erweckten keinen Grimm in Ihm; auch trieb Ihn das Leiden, das Sein Vater über Ihn kommen ließ, in keinen Unglauben hinein. Er sagte mit einer zufriedenen Seele: Vater. Die Ansprache an Seinen Vater ließ Er sich nicht wehren; weil Er aber Seinen menschlichen Willen in das Leiden, das auf Ihm lag, schon ergeben, und gesagt hatte: es muss also gehen, wie würde sonst die Schrift erfüllt? so bat er nicht mehr um Wegnehmung des Kelchs, wie am Ölberg, sondern legte eine Fürbitte für Seine Kreuziger ein. Vergib ihnen, sprach Er, denn sie wissen nicht, was sie tun. Es ist wahrscheinlich, dass diese Leute durch diese ganz ungemeine Fürbitte gerührt worden seien; denn sie waren ohne Zweifel gewohnt, Flüche, oder doch ein wildes Geschrei von denen, welche sie kreuzigten, zu hören: hier aber hörten sie eine sanfte Fürbitte. Sie hörten denjenigen, den sie kreuzigten, sagen: Vater, vergib ihnen. Nun war ihr Seelenzustand freilich damals nicht so beschaffen, dass ihnen die eigentliche Vergebung der Sünden oder die Rechtfertigung hätte widerfahren können, denn ehe sie dieser teilhaftig werden konnten, mussten sie wissen, was sie getan hatten, und ihre große Sünde bereuen. Der HErr Jesus hat also für sie, wie Moses für das Volk Israel, nachdem es sich mit dem goldenen Kalb versündiget hatte, gebeten hat, da er auch zu Gott sagte: nun vergib ihnen ihre Sünde, 2 Mos. 32,32. das ist, vertilge sie nicht, wie Du gedroht hast, gib ihnen noch Raum zur Buße. Die Fürbitte Jesu wandte also eine plötzliche Strafe von den Soldaten ab, und hatte die Wirkung, welche der Fürbitte des Weingärtners Luk. 13,8. zugeschrieben wird. Der Beisatz: sie wissen nicht, was sie tun, zeigt an, warum der HErr Jesus Seinen Vater um eine milde Nachsicht habe bitten können. Wenn man sich an etwas, das heilig ist, vergreift, und nicht weiß, was man tut, so wird es nicht so hoch aufgerechnet, als wenn man weiß, was man tut, weswegen auch Paulus 1 Tim. 1,13. bezeugt, er habe aus Unwissenheit gelästert, und deswegen habe ihm Barmherzigkeit widerfahren können; folglich dürfe sich Niemand, der den Heiligen Geist (wissentlich) lästert, auf sein Beispiel berufen. Als hernach die Apostel den Juden Buße predigten, so sagten sie ihnen, was sie getan haben. Den Messias, sprachen sie, habt ihr gekreuzigt, den Fürsten des Lebens habt ihr getötet, Apost. Gesch. 2,36. 3,15. Und so ist vielleicht auch den Soldaten, die Jesum gekreuzigt haben, ihre Sünde hernach aufgedeckt worden, wie es denn schon unter dem Kreuz Jesu hat geschehen können, s. Matth. 27,54. (Magnus Friedrich Roos)


Und Jesus sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun.
Still wie ein Lamm hatte Jesus sein Leiden ertragen. Wenige Worte nur hatte er geredet und auf die meisten Fragen seiner ungerechten Richter gänzlich geschwiegen, um nicht ihre Verantwortung zu erhöhen. Auch am Kreuz hatte er schon drei Stunden gehangen; unendliche Qualen hatte er erduldet, aber kein Schmerzenswort war über seine Lippen gekommen. Hohn und Spott tönte unter dem Kreuz und zerriss des Leidenden Herz.

Die Sünde der Menschheit war vollendet. Jetzt öffnete er seinen Mund, um zu reden. Siebenmal wird der sterbende Mann ein kurzes Wort sagen. Wir aber wollen den Odem anhalten und lauschend, mit anbetender Ehrerbietung, diese seine Worte einsaugen. Mühen wir uns nicht schon bei unseren sterbenden Freunden, ihre letzten Seufzer und Wünsche zu vernehmen? Fest schließen wir sie ins Herz als ein teures Vermächtnis. Oft wiederholen wir sie uns, und, da sie vielfach unverständlich sind, so ist die Gefahr, dass wir hineindeuten, was gar nicht darin lag. Wie sollte uns nun nicht der siebenfache Laut aus dem Mund unseres sterbenden Heilandes das teuerste Vermächtnis sein? Und hier brauchen wir nichts einzudeuten. Nein, andeuten können wir in diesen Blättern nur die Tiefe seiner Gedanken. Wir werden erkennen, dass wir darin die Besiegelung und Vollendung seines ganzen Liebeslebens, die Summa alles seines Lebens und Wirkens, vornehmlich aber auch die Erklärung und Verklärung seines Kreuzes finden.

Nun, was ist denn das erste Wort des gemarterten Lammes? Ist es ein Wort heiligen Zorns über das höllische Getreibe der Menschen? Nein, von Zorn ist nichts darinnen. Oder ist es ein Wort des Schmerzes, darin er seinen Jammer ausströmt? Auch davon nichts. Oder fleht er etwa den Vater an, ihm eine Linderung und Erquickung zu senden in seiner bitteren Not? O, wer würde nicht mit ihm gefleht haben? Aber auch das ist nicht der Inhalt seiner Bitte. Hört, was Er sagt, hört es und betet an! „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Liebe, o du unausdenkbare Liebe, die den Himmel hat zerrissen, die eben jetzt mit diesem Flehen den finsteren Himmel zerreißt! In all diesem eigenen Jammer ist nur eine Besorgnis in dem Herzen des Mittlers, dass nämlich das schlafende Schwert der Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes aufwachen und die Menschheit treffen möchte! Darum sagt er nicht: „Du böse Welt, ich vergebe dir!“ Selbstverständlich ist es Ihm, dass Er vergibt. Auch betet er nicht: „Vater, ist's möglich, so lass das Gericht an der Menschheit vorüber gehen“. Ja, als er in Gethsemane Erlösung für sich selber erflehte, da hatte er vorsichtig hinzugefügt: „Ist's möglich,“ da hatte er seinen Willen dem Vater zu Füßen gelegt, „nicht mein, sondern dein Wille geschehe!“ Eben deswegen aber, weil er so sein heiliges Herz Gott geopfert hat, eben deswegen kann er hier als der Heilige Mittler zwischen Gottheit und Menschheit treten und fordern: vergib', wie er auch im hohenpriesterlichen Gebet fordert: „Vater, ich will, dass wo ich bin, auch Die bei mir seien, die du mir gegeben hast“. Und der Vater hat ihm die Welt und die Menschheit gegeben, eben deswegen, weil jetzt sein heiliges sühnendes Blut in den Staub der Welt hinabtröpfelt. Mächtiger noch wie die Stimme seiner Worte, mächtiger wie die Stimme seiner Tränen, redet die Stimme dieses Blutes. Nicht wie Abels Blut schreit es um Rache, nein Barmherzigkeit, Vergebung ist dieses Blutes Stimme, und seit diese Stimme das Herz des Vaters Jesu traf, seitdem können auch wir „Vater“ sagen. Selig ist, wer diese Tiefe der Liebe fassen, ja wer sie auch nur von ferne ahnen kann.

Wir wollen hier nicht davon reden, wie Jesus die in Sünden tobende Menschheit vor Gott entschuldigt, um seine Bitte zu rechtfertigen: „Vater, vergib, denn sie wissen nicht, was sie tun“. Hätten die Menschen, Hohenpriester, Volk, Pilatus, hätten sie Jesum vollkommen erkannt und doch getan, was sie taten, so wäre für sie keine Vergebung gewesen. Denn sie wären dann für die vergebende Gnade so unempfänglich gewesen wie eine Herde von Teufeln. Je größer in dem Licht der Gnade unsere Erkenntnis der Heilsgedanken Gottes ist, desto mehr wir also wissen, was wir tun, indem wir Jesum, den König der Wahrheit, abweisen, um unseren Lüsten zu dienen, desto mehr nähert sich unser Zustand der „Sünde wider den heiligen Geist, die nicht vergeben werden kann“. Davor soll uns grauen und verleidet soll uns, bis in des Herzens tiefsten Grund, alle Sünde. werden, wenn wir die Stimme des Blutes Christi, die Vergebung für uns fleht, vernehmen.

Es hat einmal ein treuer Jünger Christi gesagt: „Seit ich diese Fürbitte Jesu vernommen habe, kann ich ferner keinem Menschen mehr Groll nachtragen, obgleich ich von Haus aus ein sehr rachsüchtiges Gemüt habe“. Heil dem Mann! Er hatte das Kreuz verstanden. Wo aber in einem Herzen Neid, Hass und Unversöhnlichkeit unerschüttert bleiben, der hat die Stimme des Blutes nur zu seinem Verderben gehört. Ach, in unserem natürlichen Herzen steht geschrieben: „Die Rache ist süß“. Wer sich selbst kennt, wird wissen, wie uns das Rechthaben, das Triumphieren über Andere, die Rache an Anderen eine ungeheure Befriedigung gewährt. Unter dem Kreuz muss dieser Sinn sterben, die Passionszeit muss eine Zeit der Selbstdemütigung, der Vergebung und Versöhnung werden. Jetzt, Leser, schweife nicht ab. Bleibe hier stehen und besinne dich, wohin du heute deinen Schritt zu lenken oder einen Brief zu adressieren hast. Entziehe dich nicht dem Willen deines Versöhners, sonst hört er auf dein Versöhner zu sein. Und wenn In Jesus vergab, (Er, der nichts wie Liebe gesät und nichts wie Hass geerntet hatte,) wie viel leichter sollte es dir werden, der Du selbst so viel bösen Samen gesät durch harte und bittere Worte, der du nicht nur im Blick auf die Gemeinschaft mit Gott, sondern auch mit den Menschen flehen musst: „Herr, gehe nicht ins Gericht mit deinem Knecht, denn vor Dir ist kein Lebendiger gerecht!“

Ich will am Kreuz studieren,
Wie ich mein Herz soll zieren
Mit stillem, sanftem Mut,
Und wie ich Die soll lieben,
Die mich so sehr betrüben
Mit Werken, die die Bosheit tut. (Otto Funcke)


Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.
Die Sündenvergebung nehmen Manche nur so hin, als verstehe sie sich von selbst. Wo kein Gesetz ist, da ist auch keine Übertretung. Wer keine Eindrücke von dem wahren Gott hat, der hat auch keine Eindrücke von der Sünde. Aber auf dem Kreuz Christi gestaltet sich die Sache anders. Hier sehen wir die Sünde als das, was sie vor Gott gilt, nicht was sie für uns gilt. Und hier sehen wir auch, was den Koloss der gefallenen Schöpfung bis jetzt zusammengehalten hat: es ist dies die Fürbitte Christi. Die Sündenwelt, sich selbst überlassen, wäre längst schon in sich selbst zerfallen. An einem Leichnam nagen bald Würmer, nur das Leben kann das Leben erhalten. Das Leben ist aber in Christo, nicht in uns, und die Fürbitte Christi hat sowohl eine rückwirkende, als eine gegenwärtige und zukünftige Kraft Was kein Mensch erringen und erwirken konnte, hat Er uns errungen und erwirkt. Zuerst hat Er Alles für uns geleistet, dann konnte Er uns aber auch Alles erbeten, insonderheit, was zu unserm Frieden dient. Er hat die Sünde zur Sünde gemacht, mit allen ihren Folgen und Gerichten, und kann nun auch mit voller Autorität sagen: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Das gilt den Feinden und den Freunden Christi. Alle brauchen der Vergebung; in dem Freund steckt auch noch ein Feind, und nur die Kraft des Kreuzes kann aus einem Feind Christi einen Freund machen. Man sieht bei dieser Fürbitte Christi oft nur auf das Rührende, und nicht auf die Kraft der Sache. Der Schmerzenslohn, den sich hier Christus ausbittet, wird ganz übergangen, und ein gewöhnlicher Mensch sieht hier nur eine schöne Theorie über Feindesliebe. Wie ganz anders aber wirkt die Fürbitte Jesu, wenn die Feindschaft gegen ihn, wie ein tödlicher Aussatz endlich ausgebrochen und dem verfinsterten Herzen geoffenbart worden ist. Da wird aber auch die ganze Zeit der Unbekanntschaft mit dem göttlichen Gesetz wie mit einem Strom des Friedens bedeckt, und ebenso der Jammer, Christum immer noch so wenig zu lieben, das heißt noch so sehr zu hassen. Feinde und Freunde können dann auf dem Versöhnungsberg sich die Hand bieten und sagen: Er hat uns je und je geliebt, und darum hat Er uns zu sich gezogen aus lauter Güte. (Friedrich Lobstein)


Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.
Hier blicken wir zuerst in sein Herz voll unbeschreiblicher Geduld und Sanftmut. Er hätte den Vater bitten können, und er würde ihm mehr als zwölf Legionen Engel zum Beistand geschickt haben; aber in willigem Gehorsam gab er sich in den bittersten Tod. Als er gestraft und gemartert ward, tat er seinen Mund nicht auf, wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, wie ein Schaf, das verstummet vor seinem Scherer. Und durch die Anrede: „Vater“ zeigt er, wie auch das Schwerste und Härteste, was ihm widerfuhr, in seinem kindlichen Vertrauen ihn nicht im geringsten gestört hatte.

Für wen aber tut er diese Bitte? Nicht für die Soldaten, die ihn kreuzigten; sie gehorchten nur ihren heidnischen Oberen und hatten keine Ahnung davon, an wen sie die Hand anlegten, sondern für die, welche die Ursache seiner Kreuzigung waren, die Hohenpriester und Ältesten mit dem ganzen Volke, samt Pilatus, dem Landpfleger. Zwar hatte er kurz vorher in der Abschiedsrede an seine Jünger gesagt: „Hätte ich die Werke nicht getan, die kein anderer getan hat, so hätten sie keine Sünde; nun aber haben sie es gesehen, und hassen doch Beide, mich und meinen Vater.“ Also weil das Licht in die Welt gekommen war, sie aber die Finsternis lieber hatten, als das Licht, weil sie Jesum und in ihm Gott selbst hassten, darum kreuzigten sie ihn, und hier sagt er: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Wie stimmt das? Konnten sie wirklich sich damit entschuldigen, Jesus sei ihnen unbekannt geblieben? O seht hier die tiefe Demut und die mitleidige Barmherzigkeit unseres Heilandes! Er weiß Entschuldigungen für ein armes, sündiges Menschenherz aufzufinden, an die kein anderer, selbst in einer ihm fremden Sache, geschweige in seiner eigenen, mehr gedacht hätte. Die Liebe Gottes zu der sündigen Welt offenbarte sich in der tiefen Erniedrigung seines Sohnes auf eine Weise, die kein Mensch begreifen und fassen konnte; der ewige Sohn Gottes selbst wurde ein Mensch und wohnte unter uns, und nahm Knechtsgestalt an, und kam, nicht sich dienen zu lassen, sondern dass er diente und sein Leben gäbe zu einer Erlösung für viele. Dieses Wunder der Liebe konnten die von Gott entfremdeten Menschen nicht fassen. Daher macht Christus selbst den Unterschied: „Wer des Menschen Sohn lästert, dem wird es vergeben werden, wer aber den heiligen Geist lästert, dem wird es nicht vergeben werden.“ Sie konnten allerdings wissen, was sie taten; dass sie es nicht wussten, wer es sei, den sie zum Tode verdammten, war auf jeden Fall ihre Schuld; dennoch linderte es die Schuld, dennoch hielt es das letzte, unwiderrufliche Gericht der Verstockung noch zurück, dass sie sich selbst allmählich eingeredet hatten, Jesus sei ein Gotteslästerer, weil er sage, Gott sei sein Vater, und mache sich selbst Gott gleich; dass sie um Gottes Ehre, wenn auch mit Unverstand, eiferten. Wie ein liebender Freund, wenn ihm von seinem gefangenen Freunde irgend etwas einfällt, was seine Schuld mildern könnte, vor den Richter eilt, um es noch anzubringen und die schon aufgehobene Hand noch zurückzuhalten, so bittet Christus, als der mitleidige, fürbittende Hohepriester für seine Feinde, für seine Kreuziger!

Mensch, bedenke, dass er auch also für dich bittet! Sünde auf Sünde hast du lange gehäuft auf dem Wege, der ins Verderben führt, und in jeder Sünde lag auch eine Feindschaft wider Gott. Dein Heiland ging neben dir her, wartete, ob du dich besinnen möchtest, rief dich, aber du hörtest nicht; er trat dir in den Weg und hielt dich auf; er schlug dich mit Liebesschlägen, du aber wurdest immer widerspenstiger und sagtest: ich mag dich, ich mag dein Heil nicht haben! Der Zeitpunkt schien gekommen, wo du in das Verderben stürztest, das du dir selbst erwählt hattest, wo du ihn, den du gelästert, dem du ins Angesicht geschlagen, nun als deinen Richter erfahren solltest, aber er bat noch für dich: „Lass den unfruchtbaren Acker noch dieses Jahr, bis ich noch einmal sein Herz mit meiner Pflugschar durchschneide, mit meinen Tränen befeuchte, mit meiner Liebessonne erwärme, mit meinem Samen bestreue!“ O, denket zurück in euer Leben, was diese Fürbitte eures mitleidigen Hohenpriesters auch schon erworben hat, denket an seine unaussprechliche Geduld und Langmütigkeit, denkt daran, dass diese seine Güte auch zur Buße leitet, und hütet euch, den Reichtum seiner Liebe zu verachten, und auch selbst den Zorn zu häufen auf den Tag des Zornes und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes! (O. v. Gerlach.)


„Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun.“
Mancher Todeskampf ist gekämpft worden, um einen Freund zu retten. Der sterbende Heiland bittet mit letzter Kraft für Seine Feinde! Auf dem Höhepunkt Seines Leidens und der menschlichen Undankbarkeit, von Gott und Menschen verlassen, mischt sich Seine stockende Stimme in das Geschrei Seiner Mörder „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Wäre der treulose Petrus dort gewesen, so hätte er erstaunen müssen, über diese Antwort auf eine frühere Frage: „Herr, wie oft muss ich denn meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben, ist es genug siebenmal?“ Jesus sprach zu ihm: „Ich sage dir, nicht siebenmal, sondern siebzig mal siebenmal.“ (Matth. 18,21.) Bei manchen Menschen entspringt die Eigenschaft, sich leicht über Beleidigung und Undank hinwegzusetzen, aus einem unempfindlichen, gleichgültigen Temperament, einer kalten, phlegmatischen, stoischen Gefühllosigkeit. Bei Jesu war es aber nicht also. Er war durch die zarten Gefühle Seiner heiligen Natur doppelt empfindlich dem Unrecht und der Undankbarkeit gegenüber, gleichviel, ob Ihm diese durch die offene Bosheit unverstellter Feindschaft, oder durch den Verrat vertrauter Freunde bewiesen wurde; eine edle Natur verwundet Letzteres vielleicht am Schmerzlichsten. Manche verzeihen einem offenen Gegner eher, als sie einem treulosen Herzen vergeben und unerwiderte Liebe vergessen können. Doch lasst uns auch in dieser Beziehung das Benehmen des teuren Heilandes betrachten! Sehen wir, wie Er Seinen eigenen Jüngern begegnet, die in der Stunde, wo Er am meisten ihrer Teilnahme bedurfte, Ihn verließen und flohen! Kaum ist Er vom Tode auferstanden, so eilt Er, ihre Befürchtungen zu heben, und sie Seiner unveränderten und unveränderlichen Liebe zu versichern. „Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern;“ so heißt seine erste Botschaft; „Friede sei mit Euch!“ das ist Sein erster Gruß; und an dem Ufer des Sees Tiberias nennt Er sie „Kinder.“ Sogar Joseph (das alttestamentliche Vorbild großherziger Versöhnlichkeit) ruft seinen Brüdern, indem er sich ihnen zu erkennen gibt, die bittere Erinnerung ins Gedächtnis zurück: „den ihr nach Ägypten verkauft habt;“ - der wahre Joseph, indem Er Sich Seinen Jüngern offenbart, bedeckt die Erinnerung an ihre frühere Untreue mit vollkommener Vergessenheit. Er begegnet ihnen segnend; Er verlässt sie bei Seiner Himmelfahrt ebenso Er hob die Hände auf, und segnete sie!

Leser! folge in diesem Allen dem Sinne deines Herrn und Meisters. Durch die Betrachtung Seines heiligen Vorbildes suche dich zu überzeugen, dass das Wort Feind gar nicht bestehen sollte! Hege keinen grollenden Gedanken, gebe dich keiner bitteren Beschuldigung hin. Lasse keinen finstern Unmut über dich herrschen. „Das Gesetz der Liebe“ regiere in deinem Herzen. Lege die Schwächen Anderer aufs Beste aus. Mache keine harten Bemerkungen über ihre Gebrechen. Siehe auf dich selbst, dass du nicht auch versucht werdest. Wenn du dich geneigt fühlst gegen einen Bruder unversöhnlich zu bleiben, so gedenke, wo du bleiben würdest, wenn Gott Seinen Zorn ewig behalten hätte! Wenn Er, der Ewige, der dich auf ewig von Seinem Angesicht hätte verstoßen können, mit dir Geduld gehabt, und dir Alles verziehen hat, willst du, wegen irgend einer unbedeutenden Kränkung, welche dir in ruhigeren Augenblicken kaum eines Gedankens wert erscheint, dem kalten Blick der Entfremdung, dem unversöhnlichen Wort, der unversöhnlichen Tat nachhängen? „So Jemand Klage hat wider den Andern; gleichwie Christus euch vergeben hat, also auch ihr.“

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