Markus 8,35
Andachten
“Wer sein Leben will behalten, der wird es verlieren; und wer sein Leben verlieret um Meinet- und des Evangelii willen, der wird es behalten.“
Bei obigem Spruch müssen wir nicht immer nur an das letzte Sterben denken, und an das gewaltsame Sterben durch Verfolgers Hand; sondern es gibt ein tägliches Sterben, ein tägliches Verleugnen und Abtöten von allerlei Dingen in uns und an uns, die wider den HErrn sind. Haben wir Jesum kennen gelernt, wie Er für uns geblutet hat und gestorben ist, so sollen wir um Seinetwillen alles meiden und abtun, was Ihm den Tod gebracht hat. Ist uns die Gnade des seligmachenden Evangeliums zu Teil geworden, so sollten wir um dieses Evangeliums willen alles hingeben und verleugnen können. Wie schnöde wäre es doch, zu hören, wie sanftmütig und demütig, wie mitleidsvoll und barmherzig Er gewesen ist, und doch nicht um Seinetwillen, dem wir angehören sollen, Ihm ähnlich zu werden trachten? Welch ein Widerspruch wäre es, eine Gnade, die uns Christus nur mit Ausopferung Seines Leibes und Lebens erwerben konnte, in Anspruch nehmen, und doch, als ob es etwas Wertvolleres geben könnte, als was Er hingab, auch nur etwas nicht opfern zu wollen? Sicher gilt es auch hier, dass uns, was wir über Gebühr festhalten, in einen Verlust bringt, und was wir aufopfern und in den Tod geben, nichts als Gewinn eintragen kann. Beides aber, der Verlust und der Gewinn, kann groß sein, und selbst das ewige Leben uns gefährden oder sichern. Darum, je bereiter wir sind, das eigene Wesen zu ertöten, desto gewisser ist das Leben, wie wir hier schon innerlich fühlen können. Möchten wir klug und vorsichtig werden!
Zusatz: Kommt aber die Zeit, wie sie ja wohl kommen kann, dass man auch sein Leben um JEsu willen aufs Spiel setzen muss, so wird’s wohl noch größeren Kampf kosten, und bei vielen vieles Besinnen; und doch ist’s dann das Allerwichtigste, sich lieber mit Jesu kreuzigen, als mit Barnabas lossprechen zu lassen. Denn wer da sein Leben schont, und den HErrn verleugnet, also Ihn dran gibt, der hat viel, ja alles verloren.
Wer aber sich selbst verleugnen und dran geben kann, also JEsum behält, der wird an der Krone sich erfreuen und erquicken, die die Überwinder bekommen sollen. (Christoph Blumhardt)
Wer sein Leben will behalten, der wird es verlieren; und wer sein Leben verliert um meinet- und des Evangelii willen, der wird es behalten.
„Das ist ja eine wunderliche, schwärmerische Rede,“ sagst du. Ja, sage das immerhin; nichtsdestoweniger spricht Jesus hier ein Reichsgrundgesetz aus, darauf er immer wieder und mit so starken Ton zurückkommt, dass man sieht, es ist davor kein Entrinnen noch Entweichen. Leicht erkennen wir nun, dass hier das Wort „Seele“ in zweierlei Sinn genommen ist. Das Leben, das verloren werden soll, ist nicht dasselbe, welches durchs Verlieren erworben wird. Das wäre ja ein zweckloser Prozess. Nein, verloren gehen soll die Naturseele, der ganze Sinn, der in den geschaffenen niederen Dingen sein Leben hat. Die Seele aber, die durch das Sterben und den Verlust der Natur gefunden wird, ist die himmlische Natur, die nach Gottes Bild gestaltet, zum ewigen Leben erneuert und aller Gottes-Herrlichkeit und -Seligkeit voll ist.
Nun kann man ja wohl sagen, dass jeder Mensch sein Leben verliert, er mag wollen oder nicht. Wir meinen hier nicht das, dass im leiblichen Tode alle Erdenlust und Hoffnung stirbt, wo dann das Genie und der Kretin und der Philosoph ganz gleich werden, indem ihnen Allen nichts mehr bleibt. Nein, mitten im irdischen Lebenslauf muss schon ein Jeder erfahren, wie er stückweise sein Leben verliert. Wenn sich der Säugling von der Mutterbrust, wo er Liebe und Leben trank, nach einigen Monaten seines Daseins unter viel bitteren Tränen wieder entwöhnen muss, - so ist das nur ein Zeichen und Symbol dessen, was im ganzen ferneren Leben auf jedem Punkt geschieht. Da ist ein immer neues, meist sehr mühevolles Gewöhnen an neue Menschen, neue Arbeiten, neue Verhältnisse und dann - oft sehr bald, Entwöhnen, schweres, schmerzliches Entwöhnen. Ein liebes Band nach dem andern wird angeknüpft und ein Band nach dem andern löst sich wieder. Eine Hoffnung nach der andern taucht vor der Seele auf, und selbst wenn sie erfüllt wird findet die Seele, dass sie keineswegs am Ziel ihrer Sehnsucht angekommen ist. Man schafft in der Welt Großes oder Kleines, volle Befriedigung findet das Herz in dem Allen nicht. Man steht einsam da oder man hat ein reiches Familienleben, man werde schwer oder leicht geführt, Frieden und bleibendes Genügen werden in dem Einen und Andern nicht gefunden. Jeder denkende aufrichtige Mensch wird längst, ehe dies zeitliche Leben hingeflossen ist, irre an diesem Leben, irre an seinem eigenen Werk und Wesen, irre an den Menschen um sich her und an dem Weltgedinge insgesamt, indem er erkennt, dass er weder in sich noch außer sich das finden kann, was er wirklich begehrt und nötig hat.
„Wie einem Wand'rer in der Wüste Glut,
Am Horizont die klarsten Ströme fließen,
Und wenn er ihn erreicht und kraftlos ruht,
Die schönen Bilder in ein Nichts zerfließen…
Das Liebste kommt, das Liebste geht und stirbt,
Und woll' er tausendmal es fest auch halten;
Und Frucht und Blüthe welket und verdirbt,
Und jeder Jugend drohet ein Veralten.“ - 1)
Solch ein unfreiwilliges Seele-Verlieren aber hat natürlich seinen inneren Wert. Da ist nichts Anderes als der Lauf der Welt, der über jeden ergeht, er mag nun lachen oder mit den Zähnen knirschen. Was Jesus von dir fordert ist dies, dass du deinen Willen, deinen Sinn, dein Gelüste, dein Hoffen, dein Sehnen aus den unteren Dingen, die sich doch nicht beglücken können, herausziehen, dass du dich selbst und die Welt willig preisgebend, dich ganz Ihm und seinem Willen überlassen sollst. So will er dir helfen, dass du deine Seele ewig gewinnst, - dass all das tiefste Sehnen deiner Seele nach Frieden und Freiheit, nach Liebe und Herrlichkeit, nach Wahrheit und vollkommener Lebensfülle, nach Herzensstille und beseligender Gemeinschaft in einer heiligen und vollkommenen Weise erfüllt werde.
Hingeben sollst du nur, was doch dem Tode geweiht ist, aber freiwillig sollst du es geben. Zu deiner Selbstsucht sollst du sprechen: „Ich hasse dich! O du, mein Jesu, wandle sie in eitel Liebe und Aufopferungslust!“ Zu deinem Neid und Hass sollst du sprechen: „Seid mir verflucht! Mein Herr Christus wird euch in eitel Sanftmut und Milde, Barmherzigkeit und Mitleiden verwandeln“. Zu deinem Geiz und allem Gesinne, das in dem Eiteln haftet, sollst du durch Wort und Tat sprechen: „Ich bin ein Pilger und Fremdling auf Erden; aufwärts geht meine Bahn. Kann ich mich auch freuen dessen was unten ist, nimmermehr kann meine Seele darin haften noch sich darin verlieren.“
So sollst du auf allen Punkten die Wurzeln deines Lebens aus der Eigenheit und Kreatur herausziehen und in Christum Jesum, deinen Heiland, einsenken. So wirst du dann deine Seele finden; nicht die verlorene unreine Naturseele, nein, die heilige Seele, darin das Bild des vollkommenen Menschen und das Bild des herrlichen Gottes in wunderbarer Harmonie sich spiegeln wird von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Sind wir schwach - das Lamm hat Stärke,
Sind wir arm - der Herr ist reich.
Wer ist unserm König gleich?
Unser Gott tut Wunderwerke.
Sagt, ob der nicht helfen kann,
Dem die Himmel untertan? (Otto Funcke)