Markus 8,2
Andachten
„Mich jammert des Volkes.“
Welch ein Beispiel für die Seinen ist das Erbarmen Jesu! Er fand die Welt, die Er zu erlösen kam, in dem Zustande eines moralischen Bethesda. Das Seufzen der leidenden Menschheit drang überall an Sein Ohr. Seine Freude war es, erbarmend, helfend, tröstend, errettend einherzugehen! Der leiseste Schmerzensruf hielt Seinen Schritt zurück, bewegte die Flut dieser Quelle unendlicher Liebe. War es ein Aussätziger, - jener gefürchtete Name, welcher lebenslängliche Verbannung von Freundesblick und Wort in sich schloss? Einen wenigstens gab es, der Worte und Taten der Liebe für diese Verstoßenen hatte.
„Es jammerte Jesum, Er streckte die Hand aus und rührte ihn an.“ Waren es blinde Bettler auf dem Wege nach Jericho, in der Dunkelheit umhertappend, um Hilfe flehend? „Es jammerte Jesum und rührte ihre Augen an!“ Waren es die Tränen einer Witwe am Tore Nains, die Ihn wortlos anriefen, als sie ihre einzige irdische Stütze zu Grabe trug? „Da der Herr sie sah, jammerte Ihn derselben und sprach zu ihr: Weine nicht!“ Selbst wenn Er tadelt, sieht man den Bogen des Mitleids in der ernsten Wolke, oder vielmehr verwandelt sich die Wolke im Vorüberziehen in einen Gnadenregen. Er weissagt, dass „Jerusalem wüste“ sein wird, doch erpresst Ihm das Urteil einen Strom des bittersten Schmerzes!
Leser! finden die mitleidigen Worte und Taten des liebenden Heilandes irgend einen Wiederhall in den deinigen? Indem du die Einöde menschlichen Elends durchschreitest, erweckt in dir der Anblick desselben nicht nur das vorübergehende Gefühl, welches sich in sentimentalen Tränen ergießt, sondern das ernstliche Verlangen, Etwas zu tun, um die Leiden der schmerzbeladenen, schmerzensmüden Menschheit zu lindern? Wie groß und mächtig sind die Ansprüche an dein. Erbarmen! bald näher, bald ferner der unbefriedigte und unbeantwortete Hilferuf der untergehenden Millionen, das Heidentum, das ohne Rettung dir vor der Türe liegt, die fast verschmachtenden öffentlichen Wohltätigkeitsanstalten und Vereine, - die, aus Mangel an nötigen Kapital, so mannigfach gelähmte und stockende Mission, hier eine verhungernde Familie, dort ein armer Nachbar, eine verlassene Waise, eine übervölkerte Hütte, in welcher das Elend und das Laster herrschen, - jeder ein einsames Krankenzimmer, wo die trübe Lampe in traurigen Nächten brennt, oder ein verödetes Haus, in welches der Tod eingetreten, wo Joseph nicht mehr ist und Simeon nicht mehr und wo ein blutendes Herz unter dem Kleide der Armut unbemitleidet und ungetröstet seine geliebten Verlorenen beweint. Kannst du wirklich niemand erreichen, dem dein Almosen als ein Engel der Barmherzigkeit erscheinen würde? Wie würde es Alles, was du besitzt heiligen und dessen Wert erhöhen, wenn du als der Almosenpfleger deines Jehovah zu leben verständest! Hast du von Ihm dieser Welt Güter erhalten, so gedenke, dass sie dir gewiss nicht darum verliehen sind, um sparsam aufgespeichert, oder verschwenderisch ausgegeben zu werden. Geld und Gut sind Gaben, mit denen man handeln und die man für das Wohl Anderer anlegen soll, heilige Pfänder, die man nicht eigennützig genießen, sondern freigebig verwenden soll.
„Die Armen sind die Stellvertreter Jesu, ihre Bedürfnisse betrachtet Er als die Seinigen.“ Der schwächste Ausdruck christlicher Barmherzigkeit und Liebe, sei es das Scherflein der Witwe, oder der Trunk kalten Wassers, oder der freundliche Blick und das liebende Wort, wo man weder Scherflein noch Trunk geben kann, „wenn es in Seinem Namen geschieht, so wird es eingeschrieben in das Lebensbuch,“ als ein Darlehen dem Herrn geliehen. An jenem Tage, wo die Bücher aufgetan werden,“ wird das Darlehen mit Zinsen zurückbezahlt werden. (John Ross MacDuff)