Markus 14,7
Andachten
Ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnet ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit. Sie hat getan, was sie konnte.
Wie müssen sich nun die lieben Apostel beschämen lassen! Dass Jesus selbst ein väterliches, liebewarmes Herz für die Armen habe und ihnen Alles gönnt, darüber braucht er nicht erst ein Wort zu verlieren. Hat er doch seinen Jüngern enthüllt, dass er am großen Tag des Gerichtes das, was man für die Elenden geopfert habe, anerkennen wolle, gleich als wenn es ihm selbst getan. Ob aber auch die Jünger, die hier so energisch für die Armen auftreten, wirklich so von Mitleiden durchdrungen sind? Nicht immer haben sie das bewiesen. Jedenfalls liegt eine feine Ironie in den Worten Jesu: „Wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun.“ Ja, wie stehts mit eurem Wollen? An Armen wird's euch niemals fehlen, da ist immer Raum und Gelegenheit für euren Edelsinn, wenn's nur an dem Edelsinn nicht fehlt. Mich aber, als den liebebedürftigen, hilfsbedürftigen, auf Erden wandelnden armen Pilger, mich in meiner Leiblichen sinnlichen Persönlichkeit habt ihr nicht allezeit. Ja, „nicht mehr manchen Tag!“ hören wir leise nachklingen. Aber das spricht der Herr nicht aus; die Jünger wollen's ja nicht wissen. Sie wollen wohl mit ihm Hütten bauen auf dem schönen Tabor, aber der Leidensweg passt ihnen nicht. Alles wie bei uns! Da müssen sie sich mit uns beschämen lassen durch das schwache Weib, durch das Weib, welches sie noch gar beschämen wollten. Die hat ein gutes Werk an Jesu getan; die hat getan, was sie konnte.
Maria hat nur getan, was sie musste, nach dem innern „Muss“ der Liebe. Es ist ihr nicht von Ferne in den Sinn gekommen, ein verdienstliches Werk, ein Werk, darauf sie ihre Seligkeit gründen möchte, tun zu wollen. Nein, daran denkt sie nicht. Sie weiß von keinem guten Werk, und grade darum ist's ein gutes Werk. Die Hoffnung ihrer Seligkeit steht einzig und allein auf der Gemeinschaft mit Christo, dem Heiland. Aus dieser Gemeinschaft fließt, was sie tut, und darum, weil die Liebe hier Alles regiert, muss sie auch tun, was sie tut, und eben darum wieder, weil das Wollen und das Müssen hier ineinander sind, eben darum hat sie auch getan was sie konnte.
O, wenn wir bei dieser Gelegenheit einmal untersuchen, in welchem Sinn wir unsere Gaben bringen für die Zwecke und Angelegenheiten des Reiches Christi, wie müssen wir uns da schämen! Ist da nicht so oft der verborgene oder auch ausgesprochene Sinn: „Ja, man muss wohl, anstandshalber, man kann sich wohl nicht entziehen, man würde für geizig oder für unfromm gelten;“ oder: „Früher hat man beigetragen, was hilft's? Es würde übel gedeutet werden, wollte man jetzt den Beutel zuhalten!“ usw. Ach, gestehen wir es nur, wie selten ist es uns Herzenslust, etwas zu opfern! Wie selten geben wir, weil es uns Herzensbedürfnis ist, dem Herrn unsern Dank zu beweisen! Wie selten vollends kann man von uns sagen: Er hat getan, was er konnte! Und doch kommt's darauf allein an, nicht, wie viel oder wenig Gaben und Fähigkeiten, geistige und materielle Mittel wir besitzen, sondern, wie sich unser Tun verhält zu unserem Rönnen. Nach dem Maß unserer Treue werden wir Alle gerichtet werden. Der wird im Himmelreich der Größte sein, der der Treueste war, selbst wenn dieser sein Leben lang nur über Pfennige, ja, nur über Tränen des Mitleids zu verfügen gehabt hätte.
Nun, Herr, verleih mir Stärke
Verleih mir Kraft und Mut,
Denn Das sind Gnadenwerte,
Die dein Geist schafft und tut;
Hingegen meine Sinnen,
Mein Lassen und Beginnen
Ist unrein und nicht gut. (Otto Funcke)