Markus 14,4
Andachten
Da waren Etliche, die wurden unwillig, und sprachen: Was soll doch dieser Unrat?
Hier sehen wir, wie selbst die treuen Jünger Christi über die liebende Jüngerin murren und hart herfahren. Ach, ach, das böse Richten! das böse Richten! Ein holländischer Edelmann, der viel in christlichen Kreisen verkehrte, steckte einen Doppeldukaten in seine Tasche und tat das Gelübde, dieses Goldstück dem ersten, besten Armen zu schenken, wenn er aus einer Gesellschaft komme, wo nicht lieblos über Andere geurteilt worden sei. Was meint ihr aber, wie lange er das Gold in seiner Tasche herumgetragen hat? Dreizehn Jahre, sage dreizehn Jahre sind vergangen, ehe er es losgeworden ist.
Nicht wahr, bei dieser Geschichte kommen uns auch viele, nicht fremde, sondern eigne Sünden ins Gedächtnis? Das Richten über Andere hat einen absonderlichen Reiz und ist eine wahre Pest nicht nur in der ordinären weltlichen Gesellschaft, sondern auch in der Gemeinschaft der Jünger Christi. Wahrlich, wer sich Hoffnung macht auch bei den wahren Christen immer allseitige Anerkennung zu finden, wenn er tut, was ihm die Liebe gebietet, der kennt das Leben noch schlecht. Verkannt zu werden ist aber sehr schmerzlich und um so schmerzlicher, je näher uns Die stehen, die uns verkennen. Wenn Eltern oder Kinder oder nahe Verwandte sich von Einem abwenden als von einem Narren, das tut weh. Wenn aber Die, die mit dir zur Familie Christi gehören, das hart beurteilen, was du doch in der Liebe Christi getan hattest, das tut noch viel weher. Da bleibt nur der eine Trost: „Herr, du kennst mich und du wirst offenbar machen wie ich's meine“.
Woher stammt denn das böse Richten und Verdammen auch in den christlichen Kreisen? woher auch das Beißen und Fressen der christlichen Konfessionen unter einander? Es fließt aus der eitlen Eigenweisheit, aus der pharisäischen Selbstgerechtigkeit, da man sich klar gemacht hat, wo wie ich's halte, wie ich denke, glaube, rede, tue, lasse, - so ist's das einzig rechte und wer's anders treibt, der ist auf falscher Fährte. Du Narr, gibt es denn irgend ein anderes Zeichen des Christentums als die wahre Liebe zu Christo, dem Heiland, aus welcher ganz von selbst auch die demütige, geduldige Liebe der Brüder fließen muss? Merkst du nicht, dass du grade durch dein Richten und Verdammen dir selbst das Christentum absprichst? Was geht's dich an, wenn dein Bruder über diesen und jenen Punkt des Glaubens, zum Beispiel über Taufe und Abendmahl, anders denkt wie du? Was geht's dich an, wenn er in der Politik und in allerlei sozialen Fragen andere Anschauungen hat wie du? Bist du denn vielleicht unfehlbar und ist's zur wahren Gemeinschaft nicht genug, wenn ihr darin eins seid, dass Jesus allein euer Heiland sei und ihr durch ihn die Gotteskindschaft gefunden habt und immer mehr sucht? Was geht's sich an, wenn deinem Bruder Manches erlaubt ist, was dir verboten, oder Manches verboten, was dir erlaubt ist? Lasse doch jedem seine persönliche Freiheit, seine Eigentümlichkeit und seine eigene Weise! Mannigfaltig sind die Wege des Herrn und die Alle und Die nur sind Christen, die auf die Frage: „Hast du mich lieb?“ in Wahrheit antworten können: „Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe.“
Unendlicher Schmerz und tiefe Scham müssen uns ergreifen, dass die Christen auf Erden so uneins sind. Daher ihre Ohnmacht, daher der Hohn der Welt, daher das Fernebleiben so Vieler, die doch „nicht fern sind vom Himmelreich“. Dass sie Alle „Eins seien,“ war das letzte Gebet Christi auf Erden und es muss aller wahrer Christen tägliches heißes Flehen sein.
Hier in unserer Geschichte vollends murren die Jünger des Herrn über das, was doch ihrem Heiland das Liebste und ihnen selbst das Nötigste war, nämlich über die hingebende Liebe, die sich nicht genug tun kann, weil sie ohne Grenzen ist, - über die Liebe, die aus dem kindlichsten Glauben fließt, der das Wort Jesu, auch das furchtbare Wort von seinem Leiden und Sterben, so aufgenommen hat, wie es aufgenommen sein will, ohne Mäkeln, ohne eigenwilligen Protest, ohne eigenweise Korrektur. Weil es den Aposteln an diesem einfaltsvollen Glauben fehlt, Darum erkennen sie die Liebe nicht, die dieses Glaubens Tochter ist. Ergeht es uns nicht auch oft so?
Ach, du Holder Freund, vereine
Deine Dir geweihte Schar,
Dass sie sich so herzlich meinte,
Wie's dein letzter Wille war.
Ja, verbinde in der Wahrheit,
Die du selbst im Wesen bist,
Alles, was von deiner Klarheit
In der Tat erleuchtet ist. (Otto Funcke)