Matthäus 6,12
Andachten
Vergib uns unsere Schulden, wie wir unseren Schuldigern vergeben!
Die fünfte Bitte mag ja auch jeder Blöde beten, der noch nicht der Vergebung der Sünden recht versichert ist: denn in derselben hat er eben schon, und zwar stets, die Vergebung und deren Versicherung aufs gewisseste: er bittet ja nach dem Willen Gottes; und so hat er auch nach dieser Bitte aus der noch schwachen Heiligung, nämlich, da er vergibt, ein Kennzeichen des Glaubens, und Gott kann es wohl brauchen, ihn auch zum erstenmal recht kräftig seines Glaubens und Gnadenstandes zu versichern. Wer kann Gott was vorschreiben, oder so genau das Gegenteil setzen? Deswegen bleibt doch Christus allein der Grund unseres Heils: denn ein anderes ist, sich auf etwas gründen, ein anderes, in Angst und Zweifel, ob mein Glaube recht sei, ein Kennzeichen des Glaubens davon nehmen, das Gott selbst angibt. (K. H. v. Bogatzky.)
HErr, vergib mir alle Sünden
Und gedenke nicht mehr dran,
Lass doch allen Zorn verschwinden
Und nimm mich auch gnädig an!
Amen.
Jesus hat seinen Jüngern ein großes Vertrauen erwiesen, als er ihnen das Wort in den Mund legte: „wir haben unseren Schuldnern vergeben“. Denn die Schulden, die ihr Volk ihnen gegenüber anhäufte, wurden riesengroß. Verdächtigung, Hohn, Gewalttaten begleiteten sie bei jedem Schritt. Es war wahrhaftig nichts Geringes, dass die Jünger als die, die vergeben haben, aus jenem Synedrium weggingen, das ihnen die vierzig Streiche gab und ihnen damit das Schandmal anhängte, das sie als die Ungehorsamen kennzeichnete. Jesus war aber seiner Jünger gewiss; sie können vergeben. Könnten sie es nicht, so wären sie nicht sein. Wie stimmt nun aber dazu die Bitte: Vergib uns unsere Schulden? Wenn sie vergeben können und zum Hassen unfähig geworden sind, sind sie dann nicht, wie Johannes sagt, aus dem Tod ins Leben hinübergeschritten und nicht mehr imstande, zu sündigen? Wie aber die Notwendigkeit und Fähigkeit, zu vergeben, aus der Lage der Jünger entstand, so sieht auch die Bitte um die Aufhebung ihrer Schulden auf das, was ihnen ihre Jüngerschaft bringen wird. Weil sie sonderlich begnadigt und zu Großem berufen sind, entstehen auch innerhalb ihrer Wirksamkeit die großen Schulden, da sie hinter dem zurückbleiben, was ihr Dienst von ihnen fordert, und von Unverstand und Eigenliebe gehindert werden, jedem das zu geben, was sie ihm schulden, weil er es von ihnen als den Jüngern Jesu empfangen soll. Jesus hat nicht erwartet, dass sie seinem Befehl vollständig genügen, ohne Versäumnisse und ohne Fehltritte, in immer wacher Liebe, die jedem dient. Er will, dass ihr Versagen als Schuld von ihnen erkannt und anerkannt werde, hat ihnen aber zugleich die Zusage gegeben, dass ihre Schulden nicht von ihnen eingetrieben und nicht unter die göttliche Rechtsverwaltung gestellt werden, die an ihrem Schwanken und Fallen Vergeltung übte. Sie sind von Gott gesandt, weil er verzeiht, um Israel seine Vergebung anzubieten, und werden sie auch selbst für alles empfangen, was der Vergeltung bedarf. Ohne diese Bitte gäbe es keine Möglichkeit, im Dienst Jesu zu arbeiten. Wir können nur deshalb zu ihm willig sein, weil wir bitten dürfen: vergib uns unsere Schulden, und diese Bitte ist uns vollends unentbehrlich, wenn wir hochbegabt und reich begnadet sind.
Mein Verkehr mit den anderen, Vater, bringt mir nicht nur das Gelingen, sondern auch das Versagen, nicht nur das fruchtbare, sondern auch das strauchelnde Wort, nicht nur den wachen, sondern auch den müden, stumpfen Blick. Ich bedarf wie die Deinen alle der von dir uns gegebenen Ermächtigung, die uns die Bitte schenkt: Vergib mir meine Schulden, und will deines Worts gedenken, das uns sagt, dass wir im Glauben bitten sollen. Amen. (Adolf Schlatter)