Matthäus 27,3
Andachten
Da das sah Judas, der ihn verraten hatte, dass er verdammt war zum Tode, gereute es ihn, und brachte wieder die dreißig Silberlinge den Hohenpriestern und den Ältesten, und sprach: Ich habe übel getan, dass ich unschuldig Blut verraten habe. Sie sprachen: Was geht uns das an? Da siehe du zu! Und er warf die Silberlinge in den Tempel, hob sich davon, ging hin und erhenkte sich selbst.
Glaubt ihr, dem Judas hätte, als er die Sünde begann, das Ende seiner Tat klar vor der Seele gestanden? Glaubt ihr, er hätte absichtlich den Tod des Gerechten gewollt? glaubt ihr, er hätte nicht auch seine Selbsttäuschungen gehabt, mit denen er seiner Sünde Ende sich verbarg? O, ihm war's nur um den ersten Schritt zur Sünde, um des Geizes Befriedigung zu tun. Aber als er diesen ersten Schritt getan, als er das Werk der Sünde fertig hingestellt, da ging sie selbst eigenmächtig ihren finstern Weg und trug, seiner ohnmächtigen Reue spottend, ihre blutige Frucht.
O seht, so spielen ja auch wir an dem Rande des Abgrunds hin, wähnen uns immer noch unsrer Taten Herr, gehen mit heimlicher Lust auf der schmalen Grenze, wo Gutes und Böses sich scheiden, Gott versuchend; daher und ehe die unbewachte Seele es ahnt, ist sie von dem Strick ihrer Sünde gefangen und dem tiefen Verderben verfallen. Denn Niemand, der sein Herz der bösen Lust überlässt, mag dann noch bestimmen, wie weit sie ihn ziehen soll. Wer einmal die Hand dem Bösen bietet, mag nimmer wissen, wie weit es ihn treiben wird, wie ein Pfeil, einmal fortgeschnellt von der Sehne Kraft, sein Ziel sucht, ohne den Schützen zu fragen, so trägt das Werk der Finsternis, einmal vollbracht, ohne den Täter zu fragen, seine finstere Frucht. Denn das eben ist der Sünde fürchterliche Macht, dass sie den, der mit ihr sich einlässt, gleich zu ihrem Knechte macht, dass sie eine finstere Gewalt ist, die den armen Menschen aus der bösen Lust in die böse Tat, aus der kleinen Sünde in die schwere Sünde, aus der schweren Sünde in den Tod, tückisch, heimlich, plötzlich fortreißt, und dass sie dann, hat sie ihn so ins ewige Verderben gestürzt, hohnlachend ihn stehen lässt, voll bitterer Reue!
Und welche Reue! Es gereute den Judas, und er brachte die dreißig Silberlinge den Hohenpriestern zurück, und sprach: „Ich habe unrecht getan, dass ich einen Unschuldigen verraten habe.“ Sie aber sprachen: „was geht uns das an, da siehe du zu“! Seht, wenn unsere Sünde ihr Unheil getragen, ihr Verderben gebracht hat, so öffnet die Größe des Schadens, den wir angerichtet, auch uns die Augen über unserer Sünde Größe. So stehen auch wir wohl manches Mal und sprechen mit entsetzter Seele: „Nein, das hatten wir nicht gewollt“! und ringen angstvoll die Hände: „Nein, das hatten wir nicht geahnt“! und hätten so gern, ach so gern, die unselige Tat zurück! Aber diese Reue, die erst erwacht, wenn das Unheil schon da ist, diese Reue, die nur den Folgen der Sünde gilt, nicht ihr selbst, diese Reue, die zu spät kommt, ist denn die nicht eben jenes Ende der Sünde, jener Tod der Seele, jener Untergang des inwendigen Menschen in dem Elend, in dem Leid der Sünde? Ist das die Reue, die der Apostel eine göttliche Traurigkeit nennt, ist das die Reue, die mit der bösen Lust, mit der leisesten Regung der Sünde schon in uns erwacht, ist das die Reue, die den Menschen zu des Erlösers Füßen, und des Erlösers helfende Gnade zu dem Menschen herniederzieht?
O, auf dass des Judas Ende nicht auch unser Ende werde, auf dass mir, ist's möglich, wenigstens zwischen dem Gelüst und der Tat noch, uns besinnen, auf dass dann Raum in uns werde, der die böse Lust in uns bezwingt und uns antut mit Kraft aus der Höhe; lasst uns des Wortes gedenken: Spare deine Buße nicht, bis du nicht mehr sündigen kannst! Lasst uns nimmer vergessen, dass vor einem Judasende nichts schützt, als ein Herz, das büßet, betet und wacht! Lasst uns beten, nicht heute bloß, täglich, stündlich lasst uns beten:
Gott, der du aus ew'gen Gnaden Keine Lust am Tode hast, Sieh', ach sieh', ich bin beladen Mit der Sünde schwerer Last! Sei du meiner Sünde gnädig Durch des Heilands teures Blut, Mache mich von Sünden ledig, Mach mich gläubig, fromm und gut. Amen! (Theodor Kliefoth.)