Matthäus 26,40
Andachten
Und er kam zu seinen Jüngern und fand sie schlafend und sprach zu Petro: Könnet ihr denn nicht Eine Stunde mit mir wachen?… (45) Und zum dritten Mal kam er zu seinen Jüngern und sprach zu ihnen: ach, wollt ihr nun schlafen und ruhen?
„Ich trete die Kelter allein;“ so lautet ein uraltes Prophetenwort. An dem leidenden Christus ist's erfüllt so wie nie vorher und nie nachher auf Erden. Allein sein, verlassen sein von aller Kreatur, wahrlich, das schafft schwere Anfechtung! Von Niemand verstanden werden, zumal wenn man in tiefem Leid verfangen ist, das ist schon bitter. Wohl Dem, der ein treues, verständnisvolles Herz hat, dem er sich ganz aufschließen und das ihn ganz aufnehmen kann. Aber von Niemand verstanden seine Straße ziehen, das ist gar schwer. Und vollends da von Niemand verstanden werden, da von Niemand Dank zu ernten, wo man für Alle das Größte schafft, opfert und leidet, auch da von Niemand eines teilnehmenden Wortes, einer Träne des Mitleidens gewürdigt zu werden, - wer ertrüge das? Jesus musste das ertragen.
Um hier von Anderem zu schweigen, wie bitter war es, dass seine Jünger sogar nicht einmal eine Stunde mit Ihm wachen konnten. Dass sie schliefen, dass sie sich an Ihm ärgerten, von Ihm flohen, Ihn verleugneten in der schwersten Stunde, darin musste Jesus erkennen, dass er schlechterdings von aller Kreatur verlassen war. Hüte dich, Leser, Steine aufzuheben, um die schlafenden Jünger zu werfen. Nein, keine Steine auf sie; nur einige Blicke in dein Herz und Leben hinein. Da siehe, wie du oft so schmählich schliefst, bald durch Weltsinn und Lüsternheit, bald durch Trägheit, bald durch Feigheit und Menschenfurcht betäubt und berauscht. Und doch hattest du deinem Heiland geschworen zu wachen über dich selbst und Ihm zu helfen in seinem Werk. Was war es aber, das die Jünger in diese klägliche Lage brachte? Mag man auch nicht ohne Grund sagen, dass in jenen Stunden besondere Finsterniskräfte wirksam waren, dennoch war es im tiefsten Grund der Unglauben und der Ungehorsam, daraus der traurige Zustand der Jünger entsprang. Aus dem Unglauben, der die Worte und Wege Jesu meistern wollte, erwuchs ihre stumpfe Traurigkeit, ihre leidensscheue Unwachsamkeit, ihr Ärgernis und ihre Verleugnung. Es ist heute nicht anders, wie jeder, der dies liest, ohne Zweifel schon erfahren hat. Aus dem kindlichen einfaltsvollen Bleiben in den Worten Jesu dagegen wächst die Kraft zu jedem Kampf. Dieselben Jünger, als sie später den Gehorsam Christi für die größte Weisheit hielten, konnten, mit Fried und Freud im Herzen, nicht nur mit Jesu wachen, sondern auch Leib und Leben für Ihn hinopfern.
Unterdessen war es auch für Jesum ein schweres Stück, bei solcher Erbärmlichkeit der Jünger dennoch in der Liebe fest zu bleiben. Denn nie war ein Menschenherz so zart und, im edelsten Sinne des Wortes, so empfindsam wie sein Herz, und er war in hohem Maß liebebedürftig, wie jeder richtige Mensch sich nach Liebe sehnt. Demütig und herzbeweglich hatte Er die Jünger gebeten, mit Ihm in seiner Not zu wachen, und nun muss Er, - dessen ganzes Leben eine große Tat der Liebe war, - selbst an den Besten der Menschen eitel Kaltherzigkeit und stumpfes, schläfriges Missverständnis finden.
Vielleicht hast auch du, lieber Leser, hier und dort schon Lieblosigkeit geerntet, wo du Liebe gesät hattest, und wo du Trost und Gemeinschaft suchen zu dürfen meintest, da fandest du verschlossene Herzen und Türen. Aber was war das am Ende gegen die Verlassenheit, die Jesus ertragen musste? Und wie matt, wie unrein war die Liebe, die du bewiesen hattest gegen seine Liebe! Dennoch, ohne Zweifel, du erinnerst dich, dennoch schäumten damals Trotz und Verzagtheit, Zweifel und Verzweiflung in deiner Seele auf; Widerwillen und Verbitterung gegen die Menschen wollten in deinem Herzen Platz greifen oder fanden auch wirklich Wohnung darin. Und nun schaue Jesum an, wie nur Mitleiden, nur ernst-freundliche Mahnung und kein Hauch der Verstimmung, keine Spur von Bitterkeit bei Ihm gefunden werden. O, dass wir hier lernten über uns selbst uns schämen! dass wir hier lernten aus seiner Fülle Gnade um Gnade zu nehmen!
Endlich aber soll dir Jesu Verlassenheit auch ein gewisser Trost sein, dass du, armes Menschenkind, nun in Ewigkeit nicht kannst verlassen werden, wenn du nur Ihn nicht verlässt. Wohl ist es uns ja unaussprechliches Bedürfnis, zumal in unseren Wehetagen, ein Herz zu haben, an dem wir uns ausweinen und wo wir unseren Tränen freien Lauf lassen können, ohne lästig zu werden. Wer aber dennoch, nach Gottes wunderbarem Rat, ein solches Herz nicht hat, wer einsam weinen, kämpfen, zweifeln und ringen muss, - Der soll wissen, dass das reinste, edelste Herz, das je auf Erden schlug und atmete, ihm ganz nahe ist mit aller seiner Liebesgewalt und Himmelslust; Der soll wissen, dass er Jesu sagen darf: „Du, mein Heiland, weißt, was ich leide und wie ich versucht werde, Du weißt, wie mir zu Mute ist. Rette mich vor Verbitterung! Rette mich vor Verzagnis! Gib mir Kraft zu neuem Glauben und zu neuem Lieben“. Und wer in seinen finsteren Tagen also klagt, wird dann erfahren, dass aus dem Herzen Jesu ein Strom des Friedens und wunderbare Einflüsse des Trostes über ihn kommen.
Nun weiß ich, dass die Macht der Finsternis
Zerstört ist;
Muss ich schon ratlos gehen
Durch dunkle Täler und verlassen stehen von allem Trost,
So bin ich doch gewiss:
Die Sonne eher wird von Glut und Schein
Beraubet in des Abgrunds Kluft sich senken,
Eh' ich von Jesu werd' geschieden sein,
Und eh' Er nicht mehr meiner wird gedenken. (Otto Funcke)
Und er kam zu seinen Jüngern, und fand sie schlafend, und sprach zu Petro: Könnt ihr denn nicht eine Stunde mit mir wachen?
Der Meister wacht, die Jünger schlafen; mit unsern verkehrten Augen sehen wir oft das Gegenteil. Im Reich Gottes ist es oft, als schlafe der Herr, und als ob nur wir wachen. Die Sache Gottes, statt zu gehen, wie wir es wünschen, geht oft, nach unsern Ansichten, den Krebsgang; allein, wenn der Herr, bei Gründung seines Reichs, gewacht hat, wird er nicht auch über die Erhaltung desselben wachen? Sorgen wir nur, dass wir einstweilen nicht schlafen; Er selber, der Hüter Israels, schläft und schlummert nicht. Auch die gefördertsten Jünger kann der Schlaf, und zuerst die Schläfrigkeit überfallen. Wann das? Es gibt zuerst eine psychische Abspannung, die auch auf das Geistesleben einwirken kann; allein wie oft, wenn wir geistig matt und träge werden, geben wir den Nerven die Schuld! Schläfrigkeit kommt doch meistens von den Einflüssen des Weltgeistes und der Kreuzesfurcht. Auch vor Traurigkeit kann man einschlafen, was gerade von den Jüngern in Gethsemane gesagt wird (Luk. 22,45). Es geschieht oft, dass, wenn wir uns zu sehr mit den Umständen und mit uns selber zu plagen haben, wir leicht einschlafen. Könnt ihr nicht eine Stunde mit mir wachen? sagt der Herr jenen Dreien. Wer in geringen Dingen keine Proben seiner Verleugnung ablegen kann, der wird es viel weniger in größern tun. Durch unsere Trägheit können wir uns auch mancher Vorteile in unserm Christentum wieder berauben, welche wir bereits erhalten haben. Man vergleiche den schlafenden Simon mit dem Felsenjünger, der schon ein so kräftiges Zeugnis für seinen Meister abgelegt hatte (Matth. 16, 16). Wenn der Herr nicht für uns wachen würde, wir würden schwerlich für ihn wachen. Aber eben in seinen Angststunden hat er uns auch die Kraft der Wachsamkeit errungen. In seiner Passion haben wir ein vollständiges Werk der Stellvertretung, und Er, der in jener heiligen Nacht an Alles und an Alle gedacht hat, wird gewiss den Artikel der Wachsamkeit nicht vergessen haben. Und welche Seligkeit dann, wenn man für den göttlichen Meister, wenn die ganze Welt schläft, auch nur eine Stunde gewacht hat! (Friedrich Lobstein)
Und er kam zu seinen Jüngern und fand sie schlafend, und sprach zu Petrus: Könnt ihr denn nicht eine Stunde mit mir wachen? Wacht und betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt. Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.
Was sollte ihm denn das Mitwachen der Jünger helfen? Es ist unaussprechlich, wie viel die Gemeinschaft wert ist, besonders in Kampf und Not. Einem Vater, der wohl beten gelernt hat, ist es dennoch eine Stärkung, wenn auch nur unmündige Kinder mit ihm die Hände falten und lallen. So wäre es für den Herrn auch eine Stärkung gewesen, wenn seine, ob auch noch so schwachen Gefährten mitgebetet hätten. Ja, das wäre schon eine Stärkung seiner Liebe gewesen, wenn nur etliche von denen, für welche er in den großen Kampf ging, mit Liebe und einigem Verständnis neben ihm gestanden hätten. War es ihm doch selbst am Kreuze eine Erquickung, dass wenigstens ein Mensch, der bußfertige Schächer neben ihm, die Bedeutung des Leidens und Sterbens ahnte und sich fest an ihn anhängte. Und viel, viel größeren Wert hat die brüderliche Gemeinschaft für uns. Der Herr hat nicht umsonst die Gemeinde gegründet. Halte auf wahre Herzensgemeinschaft in guten Tagen. Wenn du sie in den guten Tagen nicht suchst und pflegst, hast du sie in bösen nicht. Jedes treue Christenherz ist in schwerer Zeit eine Stütze und Säule, die uns oben erhalten hilft.
Treuer, barmherziger Gott, wir danken dir, dass du uns hineingestellt hast in eine Gemeinde von Gläubigen, die mit uns und für uns betende Hände zu dir erhebt. O lass uns solcher brüderlichen Fürbitte auch recht getrost werden. Gib uns aber auch die Liebe ins Herz, die allezeit derer mit gedenkt, welche auf Erden unsere Brüder und Schwestern sind. Wenn wir uns in der Christenheit eins wissen in gemeinsamem Gebete, dann wirst du uns auch in Versuchungs- und Trübsalsstunden Freunde zur Seite stellen, die uns helfen kämpfen und überwinden. Ja vereinige uns zu einer treu betenden Gemeinde, welcher deine Erhörung gewiss ist. (Friedrich Ahlfeld)