Jesaja 6,5
Andachten
Wehe mir, denn ich, bin verloren.
Kräftiger als die ergreifendste Bußpredigt ergreift und beugt uns die Erkenntnis Jesu Christi. Bis in die innersten Falten hinein fällt und dringt des Geistes Licht. Wir werden zur Buße geleitet wie nie zuvor. Was auch starke Trübsale nicht vermögen, das vermag die Gegenwart des Herrn, denn in ihr werden wir klein, arm, niedrig, des Erbarmens Bedürftige. Wie froh und dankbar sind wir deshalb für das teure Blut Christi. Wer aufrichtig des Geistes voll werden will, der tue Buße. Sein Nahen senkt Lichtstrahlen in unser Leben hinein. Die Kindschaftssünden wachen auf. Halte stille, wenn der Geist zu kommen beginnt. Viele müssen Seinen Trost entbehren, weil sie Seiner scharfen Zucht sich nicht beugen wollen. Sollte es ungereimt erscheinen, von einer Buße der Gotteskinder zu reden? In Luk. 15 sagt uns Jesus, dass die Engel im Himmel sich freuen über einen Sünder, der Buße tut. Wie erst werden sie sich freuen, wenn Kinder Gottes Buße tun! Und wie wird Jesus und wie der himmlische Vater sich freuen! Um die Gläubigen her wird eine ganz andere Atmosphäre werden, wenn sie Buße tun und sich dem Heiligen Geiste öffnen. O Volk des Herrn, tue Buße; brünstig liebt dich dein Gott, o liebe du Ihn auch! Betrübe nicht den Heiligen Geist, indem du alten Schmutz im Herzen duldest. An was hängst du? Was zieht dich ab von Jesus? O widerstehe der Liebe deines Herrn nicht; lauter und aufrichtig weihe dich Ihm. Dann wird groß deine Freude, und der Heilige Geist kehrt heiligend bei dir ein. (Markus Hauser)
Da sprach ich: „Wehe mir, ich vergehe, denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen.“
Ein Klang aus reinen Lippen drang in die Seele des Propheten, als er die Anbetung der Himmlischen vernahm, und deshalb empfindet er, wie unrein seine Lippen sind, auch wenn er predigt, auch wenn er betet, auch wenn sein Wort Gott und Gottes Werk bezeugt. Wie kann es anders sein, als dass er falsche Worte spricht, Worte, die der Herrlichkeit Gottes widersprechen, statt sie zu preisen, und das, was er will und wirkt, verdunklen statt es zu enthüllen? Er wohnt ja unter einem Volk von unreinen Lippen. Unsere Sprache ist nicht unser Sondereigentum, sondern Gemeingut, Volksbesitz. Wir haben sie, weil sie alle haben, und reden, wie jedermann spricht. Das gilt aber nicht nur vom Laut der Sprache und ihrem Wortschatz, sondern auch vom geistigen Besitz, der sich in der uns gegebenen Sprache verkörpert hat. Was jeder von uns als seinen persönlichen Erwerb zum gemeinsamen Gut hinzutut, ist klein neben dem, was uns durch die Sprache gegeben wird. Wenn jedermann töricht von Gott redet, wie kann ich wahrheitsgemäß von ihm reden? Wenn sich auch am frommen Wort aller die menschliche Verderbtheit zeigt, wie kann sich mein Wort von ihr frei halten? Sollen wir schweigen? Die Lippen des Propheten wurden entsündigt durch das Feuer vom Altar. Es gibt auch für unsere Frömmigkeit und unsere christliche Gotteslehre nur einen Grund, auf dem sie stehen kann; das ist die unsere Schuld bedeckende Vergebung. Nur deshalb sind unsere unreinen Lippen fähig zu Gottes Lob. Nun wird es uns aber zum heißen Anliegen, dass wir die Unreinheit, die an den Lippen unseres Volkes hängt, nicht noch vermehren. In dieses schmutzige Gewässer, das von Lippe zu Lippe strömt und sich aus einer Seele in die andere ergießt, müssen je und je einige reine Tropfen fallen, Worte, die von entsündigten Lippen gesprochen sind. Wie unentbehrlich ist uns dazu die Schrift! Sie spricht mit entsündigten Lippen. Bilde dein Wort an dem ihrigen; sprich wie sie.
Wecke mein Ohr, dass ich Dein Wort fasse, damit es mein Wort fülle mit der keuschen Wahrheit und der reinen Güte, die Deines Wortes Zierde sind. Amen. (Adolf Schlatter)
Da sprach ich: Wehe mir, ich vergehe, denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen; denn ich habe den König, Jehova Zebaoth, gesehen mit meinen Augen.
Ist das nicht ein wunderbarer Kontrast? Wir sehnen uns zu Gott hin mit einem unendlichen Verlangen und zugleich zittern wir vor Ihm. Wir fühlen, in Ihm ist unseres Lebens Fülle, und doch graut uns vor seinem Angesicht, weil Er der Dreimal-Heilige ist. So war es selbst bei einem Gottesmann wie Jesaias. Nie hatte seine Sehnsucht ein höheres Ziel als das, Gott nahe zu kommen, und jetzt, da er ihm wirklich nahe kommt, schreit er entsetzt: „Wehe mir, ich vergehe!“
Er nennt zunächst seine Lippen unrein, nicht nur weil wir mit unseren Lippen wohl am meisten sündigen, sondern auch weil er mit diesen unheiligen Lippen Gnade und Gericht des heiligen Gottes auf Erden verkündigen soll. - Weiter aber klagt der Prophet: „Ich wohne unter einem Volk von unreinen Lippen“. Auch die Sünden des Volks, von denen er für seine Person frei war, sieht er dennoch als seine Sünden an. Die heiligen Männer Gottes haben das alle so verstanden, dass die Last ihres Volkes auch ihre Last sei. Sie haben sich nicht über den „unheiligen Haufen“ gestellt, sondern die Sünde des Volks auch mit empfunden als ihre Sünde, als ihre Not. Das gab ihnen dann bei allem Ernst die rechte Milde und Geduld und ihren Strafpredigten den rechten Ton, dass sie die Aufrichtigen nicht verbitterten, sondern ins Gewissen trafen. Ach, dass wir Alle von dieser Zusammengehörigkeit recht etwas verständen!
Aber nicht nur die Prediger müssen dieses „Wehe mir“! kennen, sondern Alle, denen es um die Gemeinschaft Gottes ein rechter Ernst ist. Wer davon nichts weiß, der weiß auch noch nichts von Gott, der hat von seiner belebenden Nähe noch nie einen Hauch verspürt. Die Erkenntnis der eignen Schuld und Unheiligkeit ist der erste Schritt, um zur wahren Heiligkeit zu gelangen.
Das ist aber gerade der Fehler unseres Geschlechts, dass man von der eigenen Sünde und von Gottes Heiligkeit nichts wissen will. Den Einen ist das Wort Sünde überhaupt ein Phantom, worüber sie hohnlachen; sie kennen nur Naturtriebe und ihnen zu folgen sei die rechte Weisheit. Andere machen sich, gleich den Pharisäern, ein Bild von der Sünde zurecht, das auf jedermann, nur auf sie selbst nicht passt. Erstaunt fragen sie: „Warum sollte ich vor Gott zittern? ich wüsste nicht, warum ich nicht Mut haben sollte vor Gottes Angesicht zu treten“? Aber die rohesten Lasterknechte, die angefangen haben an ihre Brust zu schlagen, sind Gott näher als diese Pharisäer.
Wenn wir mit zwei offenen Augen zu Gott hinauf- und in uns selbst hineinblicken, da wird dieses „Wehe uns“! in uns geboren. Da durchzuckt es uns, dass wir überall verhaftet sind mit dem Element der Finsternis und Unreinigkeit, dass wir mit tausend Ketten an die untere Welt gebunden sind und immer wieder, wenn wir uns aufwärts strecken wollen, wie mit einer eisernen Faust herabgedrückt werden.
Was hilft da alles Räsonieren und Disputieren, da man sagt, wie Gott uns verantwortlich machen könne für die Sünde, die wir doch von unseren Vätern ererbt hätten? Das Geheimnis von der Erbsünde wird gelichtet durch das Wort von der Gnade, die für Alle ist. Aber ehe wir uns deren getrösten, müssen wir doch erst erkennen, dass wir, so wie wir sind, für Gottes Reich total unfähig und rettungslos dem Tode anheimgegeben sind. Wir müssen unserer tausendfachen persönlichen Schuld gedenken und die Augen nicht verschließen vor den finsteren Gespenstern, die aus Vergangenheit und Gegenwart aufsteigen und uns an diese und jene Stunde erinnern, wo wir nicht sündigten weil wir mussten, sondern weil wir wollten. Kurz, ehe wir Gottes Liebe und vergebende Gnade erfahren, muss sich die Sehnsucht nach Gott in heilige Angst vor Gott verwandeln. - Herr, mache uns nur aufrichtig!
Ach Gott, wenn mir das kommet ein,
Was ich mein Tag begangen,
So fällt mir auf das Herz ein Stein
Und bin mit Furcht umfangen.
Da ich weiß weder aus noch ein
Und müsste stracks verloren sein,
Wenn ich dein Wort nicht hätte. (Otto Funcke)