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Prediger 7,16

Prediger 7,16

Andachten

Sei nicht allzu gerecht, und nicht allzu weise, dass du nicht verderbest. Sei nicht allzu gottlos, und narre nicht, dass du nicht sterbest zur Unzeit.
Sieh da, das ist eine Religion und Moral nach dem Geschmack der großen Menge! „So ist's recht,“ sagt der ehrenfeste Bürger, der Ruhe, Ordnung und Gemütlichkeit über Alles liebt, - „so ist's recht! nicht zu gerecht, nicht zu weise, nicht zu gottlos! Das ist alles vom Argen, aber die goldene Mittelstraße. Einigermaßen fromm muss der Mensch natürlich auch sein; kein Glück ohne etwas Tugend und Moral. Aber um Himmels willen keine Überstürzungen und Übertreibungen! Ein bisschen Religion und religiöse Weisheit gehört mit dazu, aber das ist ein dunkles Gebiet; man muss sich's nicht zu sehr zu Herzen nehmen, sonst verdirbt man sich, wie der weise Prediger sagt, man ruiniert seine Stellung in der Welt. Das erste Gesetz der Lebensweisheit aber ist, dass man's mit Niemand verdirbt und immer vor dem Wind segelt.“

Drum aber sagen wir auch mit dem Prediger: „Sei nicht allzu gottlos!“ Ein bisschen Gottlosigkeit hält Einem der liebe Gott schon zu gute. Heilige sind wir einmal nicht, und der Mensch will doch auch sein Vergnügen haben, dabei es ohne etwas Sünde nicht zu machen ist. Aber man muss Maß halten in der Sünde so gut wie in der Frömmigkeit, sonst schadet man sich an der Gesundheit und verdirbt's auch mit den Leuten. Zum Skandal darf's nicht werden; am geeigneten Punkt muss man auch seinen Leidenschaften die Zügel anzulegen wissen. Ja, der Prediger Salomo war wirklich ein weiser Mann. Wir glaubten nicht, dass so gescheite Sprüche in der Bibel zu finden seien.

So etwa würden Millionen „wohlgesinnter Bürger“, die vor den „Pietisten, Quäkern und Orthodoxen“ ein ebenso großes Entsetzen haben, wie vor den Sozialisten, Räubern, Mördern und allerlei Umsturzmenschen, - so etwa würden sie den Spruch verstehen. Aber wahrlich, wenn der Prediger es so gemeint hätte, dann hätte er mit seinem Wort allen treuen Zeugen Gottes von Anbeginn der Welt ins Gesicht geschlagen. Denn es ist kein Zweifel darüber, dass sie, von jenem Standpunkt aus, alle miteinander sehr übertriebene exzentrische Menschen waren, dass sie allzu gerecht und allzu weise waren, dass sie nicht „mit den Wölfen heulten“, sondern es mit der ganzen Welt allermeist gründlich verdorben haben. Sie sahen mitnichten auf den augenblicklichen Erfolg ihres Bekenntnisses, das sie mit Wort und Wandel ablegten. Dies Bekenntnis aber hieß: Wir wollen „Gott lieben von ganzem Herzen und mit allen Kräften“, es komme daraus was daraus komme. Und wie fern waren sie dem „allzu gottlos“! „Du bist nicht ein Gott, dem gottlos Wesen gefällt,“ rufen sie mit Einem Mund. Gar nicht gottlos sein, auf keinem Punkt in die Sünde willigen, nirgends eine Vermittlung suchen, sondern alle Sünde hassen, da jede Sünde, (auch die den liebenswürdigsten Klang und Schein hat) der Leute Verderben ist, - das ist die Sache. Alles Schielen nach Rechts und Links, alles Hinken auf beiden Seiten verdammen sie als den größten Seelenverderb.

Und nun gar unser Heiland! Hat Er nicht seine ganze Seele hingegeben für die Welt, obgleich kein Mensch auf Erden es ihm dankte? Hat Er nicht von allen seinen Jüngern für alle Zeit verlangt, dass auch sie ihre Seele verlieren müssten, wenn sie sie finden wollten? Was wusste Er und was wussten seine wahren Jünger von der „goldenen Mittelstraße“? Was würden sie wohl gesagt haben von dem: „sei nicht allzu gottlos und nicht allzu fromm“? - „Satan, weiche hinter mich!“ ruft Jesus dem Petrus zu, als er ihn mahnen will nicht „allzu fromm“ zu sein. Desgleichen ist der Apostel Paulus durch keine Tränen zu bewegen, seine Reise nach Jerusalem aufzugeben, obgleich er gewiss weiß, dass es in Jammer und Elend hineingeht. (Apostelg. 21,10 ff.) Was aber Luther jenen „guten Freunden“, die ihn warnen wollten auf den Wormser Reichstag zu gehen, von Teufeln und Ziegeln gesagt hat, das ist weltbekannt.

Aber wozu Beispiele? Man könnte so gut Tausende wie Dutzende bringen und dürfte nur die ganze Wolke der Märtyrer nennen, die ihr Leben nicht geliebt haben bis in den Tod, die alle möglichen Qualen erduldeten, weil sie „allzu fromm“ waren und nicht „ein wenig gottlos“ sein wollten. Hass, Feindschaft, Verfolgung und Spott der Welt hat der Herr seinen Jüngern vorhergesagt und so haben sie's auch gefunden; ja, Er sagt: „Wehe, wenn euch Jedermann wohl redet“. Sogar alle hochsinnigeren, tiefsinnigeren, ernsteren und energischen Weltmenschen würden jene Moral des „Predigers“ verlachen oder verdammen. Die allermeisten Menschen, die in der Welt ein Großes und Neues geschafft haben, sind nicht in der sogenannten „goldenen Mittelstraße“ geblieben. Im Gegenteil: unverstanden von ihren Zeitgenossen, ja zum Teil verfolgt und verspottet von ihnen, (wir erinnern nur an Christoph Columbus,) gingen sie ihren Weg. Dennoch ließen sie sich nicht irre machen und setzten ihre ganze Seele ein für das, was sie als Wahrheit erkannt hatten. - Und nun gar im Verhältnis zu Gott! Wer nur einmal ehrlich die Bibel gelesen hat, der weiß, dass zwei Grundakkorde durch Alles hindurchtönen; der eine: Gib Gott dein ganzes, ungeteiltes Herz, so wirst du es ewig nehmen; der andere: Scheide dich von der Sünde auf jedem Punkt, so allein kannst du wahrhaft frei werden. Hiergegen kann nichts, was in der Bibel steht, verstoßen; auch der „Prediger Salomo“ streitet nicht dagegen. Ehe wir aber (in der folgenden Andacht) das rechte Verständnis unseres Textes suchen, lasst uns recht prüfen, ob jene beiden Grundakkorde auch in unserem Herzen durch Alles hindurchtönen.

Nun, so will ich denn mein Leben
Völlig meinem Gott ergeben;
Nun wohlan, es ist geschehn.
Sünd', ich will von dir nichts hören;
Welt, ich will von dir mich kehren,
Ohne je zurück zu sehn. (Otto Funcke)


Sei nicht allzu gerecht, und nicht allzu weise, dass du nicht verderbest. Sei nicht allzu gottlos, und narre nicht, dass du nicht sterbest zur Unzeit. Es ist gut, dass du dies fasst, und jenes auch nicht aus deiner Hand lässt; denn wer Gott fürchtet, der entgeht dem Allen.
Dass der Prediger Salomo mit den vorstehenden Worten nicht die in der Welt so vielgepriesene „goldene Mittelstraße“ empfehlen will, - dass er damit allen Patriarchen, Propheten und Aposteln geradezu ins Gesicht schlagen würde, dass also die Worte einen ganz andern Sinn haben müssen, haben wir uns schon vorher klar gemacht. Aus Vers 19 geht das nun aber auch direkt und sonnenklar hervor. Da heißt's: Es ist gut, dass du dieses (nämlich, dass der gottlose Frevler zur Unzeit stirbt und zum Narren wird,) fasst und jenes (nämlich, dass der allzu Gerechte und allzu Weise verderbe,) nicht aus der Hand lässt, denn: „wer Gott fürchtet, entgeht dem Allen“.

Da sehen wir: das „zu gerecht, zu weise, zu gottlos“ ist ein Zustand, welcher der wahren einfaltsvollen Furcht Gottes entgegengesetzt ist. Allzuweise und allzu gerecht sein streitet gegen die wahre Gottesfurcht. Kann man denn zu viel Gottesfurcht haben? Wahrlich, noch weniger, wie man zu viel Frieden aus Gott haben kann; wahrlich, noch weniger, wie ein Kind zu zart und rücksichtsvoll gegen seine Eltern sein kann! Nicht von der wahren Frömmigkeit und Gerechtigkeit ist hier die Rede, sondern von einer gemachten, nachgemachten und eingebildeten. So hatten die Pharisäer der alten Zeit eine Frömmigkeit und Weisheit erfunden, die den Schein der Heiligkeit hatte und doch nichts weniger als gottgefällig war. Sie hatten die Gebote Jehovas vervielfältigt, übertrieben und mit tausend und aber tausend kleinlichen Satzungen umhüllt. Sie wollten mehr tun, als Gott forderte, um sein Wohlgefallen zu erzwingen. Aber dieses „mehr“, dieses „zu viel“ war nur die heuchlerische Larve über ein „zu wenig“. Das Schwerste im Gesetz, das, wohin Gott eigentlich zielte, Selbsterkenntnis, Selbstgericht, Demut und Beugung, umgingen sie damit; - wie Jesus sagt: „Ihr Heuchler, ihr verzehntet Minze, Dill und Kümmel und lasst dahinten das Schwerste im Gesetz, nämlich das Selbstgericht und die Barmherzigkeit und den Glauben“. (Matthäus 23,23.) Das „allzu fromm“ war also eigentlich nur eine selbstgemachte Frömmigkeit, womit sie den Mangel an wahrer Gottseligkeit, kindlicher Furcht und Liebe gegen Gott verdeckten. Das Gegenteil und nicht minder böse ist das „allzu gottlos“. Während nämlich die Einen auf ihre eigne Tugend bauen und von Gnade nichts wissen wollen, sind Andere, die Gottes Gnade „auf Mutwillen“ ziehen, ja zu einem „ Deckmantel ihrer Bosheit“ machen. Wir fehlen ja freilich alle mannigfaltig, sind leider oft genug gottlos, (das heißt: los von Gott,) in unserem Denken, Reden und Tun, aber ein schrecklich Ding ist's, wenn man das Wort von Gottes Güte, Langmut und Barmherzigkeit falsch gebraucht, mit einem Sinn, der nicht tiefinnerlich dem Reich der Finsternis abgeneigt ist. Und doch, wie oft heißt's im stillen Herzensgrund: „Ei, wir müssen doch einmal von der Geduld Gottes leben; seine Liebe hat kein Ende und seine Vergebung muss uns helfen; da wird's ja auf ein kleines plus minus nicht ankommen“. Solch ein „allzu gottlos“ ist der wahre Seelenverderb, denn es ist der Weg zur Verstockung. (Ebr. 10,26.) Hier und dort fehlt die wahre lautere Gottesfurcht, die da zittert vor der Sünde, weil sie ein Attentat auf die Heiligkeit Gottes ist, die da zittert vor der Sünde, weil sie unser Verhältnis zu Gott stört und zerstört, die aber auch fern ist von der kindlichen Einfalt, die nichts sein, nichts vorstellen, nichts gelten, nichts machen, sondern einfach und allein ein lauteres, liebendes und geliebtes Kind Gottes sein möchte.

O heilige Einfalt, wie fern bist du auch Millionen Derer, die immer von Sünde und Gnade reden und doch weder ihre Sünde recht erkennen, noch von der Gnade als Gnade etwas wissen wollen. Da müssen denn fromme Phrasen die wahre Frömmigkeit, übertriebene Sündenbekenntnisse das lautere Selbstgericht, zornmütiges Eifern und Poltern gegen Andersdenkende das Bekenntnis mit der Tat, scheinheilige Rechthaberei die wahre christliche Entschiedenheit ersetzen. O, dass man sich doch immer klar würde, was in unseren christlichen Worten und Zeugnissen lebendige, erfahrungsmäßige Wahrheit, und was nur nachgesprochenes phrasenhaftes Wesen ist! Dass man doch bei sich selbst und anderen nicht zu zärtlich wäre, wo man Phrasen antrifft, nun auch schlankweg das Kind beim Namen zu nennen! Zumal in Kreisen, wo die „Sprache Kanaans“ gang und gäbe ist, wo man die Welt fliehen und am Reich Gottes bauen möchte, - zumal in solchen Kreisen, wo wirklich auch das wahre Christentum wohnt, ist die Gefahr groß, dass man „allzu fromm und allzu weise“ wird, wenn man nicht wachsam bleibt. Da sei nur jeder auf seiner Hut, dass er nicht Worte und Wendungen gebraucht, die über den Stand seines inneren Menschen hinausgehen, dass er nicht in seiner christlichen Erkenntnis weiser sein will, wie er ist, - dass er nicht verfällt in rechthaberische Disputationen über Fragen, die doch ganz oder zum Teil Geheimnis sind; dass er nicht das Christentum Anderer nach der Schablone beurteilt, die er sich selbst gemacht hat, - dass er nicht in seiner Einwirkung auf Andere den Bogen zu straff spanne und in das Evangelium irgend ein Stück Gesetz hineinbringe, - dass er nicht meint, weil er diese und jene christlichen Werke, Leistungen, Übungen und Dergleichen treibe, weil er dieser und jener Freuden und Genüsse sich enthalte, z. B. weil er nicht in ein Konzert gehe, was doch sehr oft nur aus einem Mangel an musikalischem Gehör und Bildung herkommt, - so müsse das alles jeder ehrliche Christ ebenso halten! Das ist ein sehr böses Ding, wodurch man sich selbst in Hochmut und Eigenwillen verderbt und viele in Aufrichtigkeit suchende Herzen abstößt. Die wahre Gottesfurcht ist fern von dem Allen. Sie denkt nicht daran, Anderen Lasten aufzulegen und Gesetze vorzuschreiben; sie führt in Demut und Liebe, Sanftmut und Geduld. Sie denkt nicht daran, etwas vor Gott sein, gelten und vorstellen zu wollen, sondern nur daran, von seinem Geist erleuchtet, geleitet, erfüllt und durch seine Gnadengemeinschaft immer mehr mit ihm ganz Eins zu werden. Ja, wo die wahre Einfalt wohnt, da fällt nicht nur das „allzu gottlos“, sondern auch das „allzu gerecht“ und „allzu weise“ von selber weg.

Heilge Einfalt, Gnadenwunder!
Tiefste Weisheit, größte Kraft!
Schönste Zierde, Liebeszunder,
Werk, das Gott alleine schafft.

Einfalt denkt nur an das Eine,
In dem alles Andre steht,
Einfalt hängt sich ganz alleine
An den ewigen Magnet. (Otto Funcke)

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