Luther, Martin - Über den Anno 1545 editierten Psalter
1. Billig sollte ein jeder Christ, so beten und andächtig sein will, ihm den Psalter lassen sein Büchlein sein, und auch wohl gut wäre, dass ein jeglicher Christ denselben so übte, und so läufig darinnen würde, dass er ihn von Wort zu Wort auswendig könnte, und immer in dem Munde hätte, so oft ihm etwas vorkäme zu reden oder zu tun, dass er einen Spruch daraus führen und anziehen könnte, als ein Sprichwort. Denn es ist ja die Wahrheit, dass alles, was ein andächtig Herz mag zu beten wünschen, da findet es seine Psalmen und Worte zu, so eben und wirklich, dass kein Mensch, ja alle Menschen nicht mögen so gute Weise, Worte und Andacht erdenken. Zudem so lehret und tröstet er auch eben im Gebet, und ist durchs Vater-Unser, und das Vater-Unser durch ihn also gezogen, dass man eines aus dem andern sehr fein verstehen kann, und lustig zusammenstimmen.
2. Darum sollte man nicht allein die vorigen Betbücher, da fast eitel unchristliche Lügen und Missbräuche, auch in den besten Gebetlein, da unsers Herrn Leiden innen wird angezogen, und doch nicht zum Glauben, sondern zu zeitlichem Nutz und Brauch schändlich gebraucht wird, verbieten und hinweg tun; sondern auch zusehen, dass der neuen Gebetlein keines wieder einreißen. Denn es bereits anfängt, dass schier ein jeder seiner Andacht nach will Gebetlein, auch des Psalters Paraphrases machen, gerühmt und gebraucht sehen: gerade als wäre der Psalter oder das Vater-Unser ein schlechtes, geringes Ding. Und wo man hier nicht wird einsehen und Maße finden, wird der Psalter und Vater-Unser in vorige Verachtung kommen. Gut lasse ich sie sein zum Theil; aber der Psalter und Vater-Unser sollen besser, ja das beste sein. Wer die recht beten lernet, der hat wohl beten gelernt, weit über alle Gebete, sonderlich weil der Psalter nun von Gottes Gnade verständlich verdeutscht ist.
3. Ich habe eine Historie gehöret, wie eine andächtige Person das Vater-Unser so lieb gehabt, dass sie mit Tränen vor großer Andacht dasselbige betete. Da wollte ein Bischof guter Meinung die Andacht bessern, nahm ihr das Vater-Unser, gab ihr viel gute andächtige Gebetlein; aber da verlor sie alle Andacht, und musste die andächtigen Gebetlein lassen fahren, und das Vater-Unser wieder annehmen. Halte auch, wer es sollte ein wenig versuchen mit Ernst am Psalter und Vater-Unser, der sollte bald dem andächtigen Gebetlein Urlaub geben, und sagen: Ach es ist nicht der Saft, Kraft, Brunst und Feuer, die ich im Psalter finde, es schmeckt mir zu kalt und zu hart.
4. Unser lieber Herr, der uns den Psalter und Vater-Unser zu beten gelehrt und gegeben hat, verleihe uns auch den Geist des Gebets und Gnade, dass wir mit Lust und ernstem Glauben, stark und ohne Aufhören beten; denn es tut uns not; so hat er‘s geboten, und wills also von uns haben. Dem sei Lob, Ehre und Dank in Ewigkeit, Amen.