Psalm 139,7
Andachten
Wo soll ich hingehen vor deinem Geist und wo soll ich hinfliehen vor deinem Angesicht? Führe ich gen Himmel, so bist du da. Bettete ich mich in die Hölle, siehe, so bist du auch da. Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde mich doch deine Hand daselbst führen und deine Rechte mich halten.
Auf der Flucht vor Gott sind wir Menschen alle. Der eine flieht hinein in das Gewimmel der Menschen, in den Tumult der Wirtschaft und des Staats, um im Erwerben und Genießen Gott zu vergessen. Ein anderer flüchtet sich zur Natur, um zu singen, wie der Vogel singt, der in den Zweigen wohnt, und um zu rauben, wie das Raubtier raubt, das seinen Hunger füllt. Ein dritter flieht in das Gemach des Denkers, der sich aus seinen Gedanken eine eigene Welt aufbaut, oder in die Zelle des Büßers, der seine Frömmigkeit als seine Decke über sich sieht. Ihnen allen sagt der Psalmist, was sie gewinnen: und wenn ich wie das Morgenrot mich über die weiteste Ferne schwänge, so bliebe ich von deiner Hand gefasst. Wohin soll ich denn fliehen, wenn es mir bange ist vor Gott? Zu ihm. Das ist die einzige Flucht vor Gott, die uns rettet. Mit all dem, womit uns Gott erschreckt, lockt er uns zu ihm. Die unabänderliche Festigkeit der Natur, die uns so oft weh tut, verwirrt und erschreckt uns. Sieh, sagt mir Gott, wie fest meine Ordnung ist; du beugst sie nicht; unterwirf dich mir und traue mir. Sein Gebot erschreckt uns, das unsern Willen verwerflich heißt, und wer steht nicht unter seinem verdammenden Spruch? Sieh, sagt mir Gott, ich bin das Gute und darum dem Bösen feind; nun weißt du, dass du meiner Güte trauen sollst. Siehst du an deiner Bosheit, dass ihr Lohn Tod ist, so weißt du, was dir der gibt, dessen Güte Wahrheit ist in Ewigkeit. Führt uns unser Weg zum Kreuz, so überfällt uns ein tiefes Erschrecken. Ist das Gottes Wahrzeichen, dies die Erscheinung seiner Liebe? Gibt es denn keine Versöhntheit mit Gott als durch den Tod seines Sohnes, und keinen Weg ins Leben als das Auferstehen? Damit lockt uns aber Gott zu sich. Sieh, sagt er mir, auf dieses von mir errichtete Kreuz; da siehst du den, der dich tot für deine Sünde macht. Hast du ihn nicht nötig? Und hier siehst du den, der dich ins Leben führt; willst du nicht nach dem Leben streben? Fleisch und Blut erlangen es nicht. Es ist die Gabe dessen, der gestorben und auferstanden ist. Flieh nicht von ihm weg; flieh zu ihm; flieh zu mir.
Vor dir, heiliger und ewiger Gott, fliehe ich, weil ich vor mir fliehe. Vor dem, was ich bin und mache, kann ich mich nur so retten, dass ich mich zu Dir flüchte, und ich darf mich zu Dir flüchten; denn Du bist unsere Zuflucht für und für. Amen. (Adolf Schlatter)