Psalm 137,8
Andachten
Du verstörte Tochter Babel, wohl dem, der dir vergilt, wie du uns getan hast. Wohl dem, der deine jungen Kinder nimmt, und zerschmettert sie an den Stein.
Ist diese Sprache die der Rachsucht? Man spricht so oft von Rachepsalmen und will dann aus jenen Stellen beweisen, wie die Moral des neuen Testamentes hoch über der des alten stehe. Aber in welcher Hinsicht denn? In der Feindesliebe? Die befiehlt das Alte Testament ebenso, wie das Neue. Man vergleiche Spr. Sal. 25, 21: Hungert deinen Feind, so speise ihn; dürstet ihn, so tränke ihn mit Wasser. Kap. 20, 22: Sprich nicht: ich will Böses vergelten. Kap. 24, 17: Freue dich des Falls deines Feindes nicht, und dein Herz sei nicht froh über seinem Unglück. 2 Mos. 33, 4: Wenn du deines Feindes Ochsen oder Esel begegnest, dass er irret, so sollst du ihm denselben wieder zuführen. Hiob, Kap. 31, 29, erklärt sich bereit, den Fluch Gottes auf sich zu nehmen, wenn er sich gefreut über das Verderben seines Hassers, und sich erhoben, wenn ihn Unglücktraf. Er führt die Rachsucht und Schadenfreude in der Reihe der allerschwersten Verbrechen auf. Ebenso, um bei den Psalmen zu bleiben, ruft David Ps. 7, 5. 6 die göttliche Rache über sein Haupt herbei, wenn er sich der Rachsucht schuldig gemacht habe. Ja, was noch mehr ist, David hat selbst in den empfindlichsten Lagen seines Lebens durch die Tat bewiesen, wie sehr er die Nachsucht verabscheute; vgl. 1 Sam. 24, 5; 2 Sam. 16, 10. Ein Denkmal seines edlen, die Nachsucht verabscheuenden Gemütes bildet noch jetzt sein Trauerbild auf Sauls Tod in 2 Sam. 1. Wer so von seinem Todfeinde reden kann, der ihm Jahre lang nach dem Leben getrachtet hat, der hat gewiss das Vorurteil der Rachsucht nicht gegen sich, umso weniger in Liedern, die er vor Gott gesungen und zum Gebrauche im Heiligtum bestimmt hat.
Ganz anders aber verhält es sich mit Stellen, wie die unsrige hier. In solchen Stellen ist von Feinden Gottes die Rede, die Gott selber zum Untergang bestimmt hatte. David bittet hier nur um das, was der Herr selbst wiederholt ausgesprochen, was in den Gesetzen der vergeltenden göttlichen Gerechtigkeit begründet liegt. Die Zerschmetterung der Kinder ist die Vergeltung für die Gabe, welche Babel Israel gegeben, und die nach den ewigen Gesetzen der göttlichen Vergeltung notwendig auf den Geber zurückkommen muss, vergl. Jes. 13, 16; denn eben das hatten sie Israel getan, sie, die später vor den Augen des Sängers, in grausamer Unmenschlichkeit, des Nächsten und Liebsten nicht verschont hatten. Die Moral ist hier keine andere, als die Moral Christi, wenn er sagt: Mit welcherlei Gericht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden; und mit welcherlei Maß ihr messet, wird euch gemessen werden. Der Wunsch Davids in unserer Stelle ist kein anderer, als: Dein Reich komme. Die Bitte um das Kommen des Reiches Gottes ist ja zugleich auch eine Bitte um Zerstörung alles dessen, was Gott widerstrebt und was Gott selber als ein feindliches Element erklärt hat. Gottes Ehre soll uns über alle natürlichen Gefühle gehen; wie könnte sonst in jener Welt einst ein Vater selig sein, der ein Kind, oder ein Kind, das seinen Vater am Ort der Verdammten sehen wird? (Friedrich Lobstein)