2. Mose 33,18
Andachten
Er aber sprach: So lass mich Deine Herrlichkeit sehen!
Moses hatte Gottes Predigt verstanden; er hatte vom Sinai herab durch dies Gnadenwort hineingeschaut in das Geheimnis, das auf Golgatha aufgetan ist vor unseren Augen. Er sah im Glauben den Tag der Versöhnung und die Herrlichkeit des Sohnes Gottes, eine Herrlichkeit voller Gnade und Wahrheit, und siehe: er schweigt nun von seinem Begehren, es ist gestillt. „Lass mich Deine Herrlichkeit sehen!“ Kennst du dies Sehnen? Wer unter uns den Heiland wahrhaftig erkannt hat im Glauben, der kennt auch dies Sehnen. Durch die Jahrtausende hindurch ziehen sich in der Schar aller Gottesfreunde die Stimmen dieser heiligen Sehnsucht. So spricht der Sänger: „Ich aber will schauen Dein Antlitz in Gerechtigkeit, ich will satt werden, wenn ich erwache nach Deinem Bild.“ (Ps. 17,15). Dies Sehnen ist auch ganz natürlich im Sinn der neuen Kreatur. Es müsste nichts in ihr sein von der Gottesnatur, der ein Kind Gottes durch Christum teilhaftig wird, wenn dies Sehnen ihr unbekannt wäre. Und, wenn wir sein werden, wie Er, dann werden wir auch wie Er schauen können in das wunderbare Licht der unausdenklichen Herrlichkeit des Vaters. Dann hört das Begehren: „Lass mich Deine Herrlichkeit sehen,“ auf denn, es ist erfüllt in der Vollkommenheit. (Theobald Wunderling.)
Mose aber sprach: So lass mich deine Herrlichkeit sehen.
Aus unserer müden und bekümmerten Seele klingt es oft heraus: „Wann werde ich dahin kommen, dass ich Gottes Angesicht schaue?“ Der Herr antwortet uns, wie einst dem Moses: „Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht.“ Wir möchten manchmal mit Augustinus das kühne Wort sprechen: „Ei wohlan, lieber Herr, so will ich sterben, damit ich dich sehen möge!“ Ein kühnes Wort, und doch ein Wort, das in das selige Himmelslicht des Evangeliums getaucht ist, und darum auch erfüllt werden soll. Jahre kommen, Jahre gehen. Das letzte Stündlein bricht herein. Wohl uns, wenn unser letzter Wunsch und unser letztes Gebet die Bitte Mosis ist: „Lass mich deine Herrlichkeit sehen!“ Mag dann auch der arme, kranke, müde Leib unter den Schmerzen und Schauern des letzten Kampfes zusammenbrechen und sich verzehren. Die freierwerdende Seele schwingt ihre Flügel. Unser Sterbebette wird zur Bergeshöhe mitten in der Wüste. Mag dann auch das Getümmel der Welt vor unsern Ohren verstummen, mögen wir selbst die freundliche Rede unserer Lieben nicht mehr hören können. Wir hören das Wort unsers Gottes: „Ich will vor deinem Angesicht her alle meine Güte gehen lassen, und will lassen predigen des Herrn Namen vor dir.“ Seine Güte wirft ihre lichten Strahlen auf unser erbleichendes Angesicht, in unser brechendes Auge. Der Name Jesu funkelt auch in der Finsternis des Todes in unseren Herzen. Wir sehen sterbend, wie Stephanus, die Herrlichkeit Gottes, und Jesum stehen zur Rechten Gottes. Wir treten in die dunkle, kühle Felsenkluft. Die Wolke kommt herbei. Die Hand des Herrn legt sich auf die gebrochenen Augen. Die Wolke ist vorüber, die Hand wird hinweggetan. Dann sehen wir ihn selbst, nicht bloß den Saum seines Gewandes, sondern den vollen und überschwänglichen Reichtum seiner Herrlichkeit. Dann schauen wir nicht mehr durch einen Spiegel in einem dunklen Wort, sondern von Angesicht zu Angesicht. Dann erkennen wir ihn, gleichwie wir erkannt sind. Dann sehen wir nicht mehr auf kurze Stunden und Augenblicke, sondern in alle Ewigkeit. Dann klingt es dort an seinem Throne im ewigen und seligen Halleluja: Herr, Herr Gott, barmherzig und gnädig, und geduldig, und von großer Gnade und Treue; der du bewahrest Gnade in tausend Glied und vergibst Missetat, Übertretung und Sünde!“ Das ist die ewige, die selige Epiphanienzeit! Unterdessen aber, bis wir dahin gelangen, müssen wir uns an seinem Worte genügen lassen. Und wenn die Seele tausendmal seufzt: „Wann werde ich dahin kommen, dass ich Gottes Angesicht schaue?“ Jesus antwortet einmal wie tausendmal: Habe ich dir nicht gesagt, so du glauben wirst, du sollst die Herrlichkeit Gottes sehen?“ Selig sind, die da nicht sehen und doch glauben! (Friedrich Ziethe.)