2. Mose 20,13
Andachten
Du sollst nicht töten.
Das ist der Liebe Gebot, dass wir dem Nächsten Leibes und der Seele nicht wehe sondern wohl tun. „Du sollst nicht töten“, spricht das erste Gebot der zweiten Tafel. Das heißt doch: nichts ihm tun, was ihn an Seele oder Leib schädigen, kränken, und also zu seinem Tode noch Seel und Leib mit beitragen könnte; sondern vielmehr ihm alles tun, was dem Leben der Seele und des Leibes heilsam und förderlich sein kann.
Mörder, Seelenmörder sind wir durch alles Gift der Verführung, was durch Wort und Wandel von uns auf andere Seelen ausgeht. Mörder sind wir, wenn wir um unseres Gewinnes oder Genusses willen das Seelen- oder Leibesleben anderer aufs Spiel setzen. Mörder sind wir, Mörder, auch wenn keine Bluttat auf unserem Gewissen lastet, nach dem Sinne des Gebotes, vor Gott, durch all' den bitteren, giftigen Hass des Herzens, der allerdings, wenn's ginge, am liebsten mit der wilden Kainslust der eigenen Rache zuschlüge; aber wenn's eben nicht geht, - weil die Strafe uns abschreckt und das Urteil der Menschen, - doch wenigstens mit bösen, giftigen Worten, oder mit zornigen Gebärden, oder durch irgend eine feinere boshafte Tat der Vergeltung den Bruder verletzt und kränkt, ach, gar oft mehr zum Tode, als ein wuchtiger Schlag des Armes es tun würde! O dass es doch dem Geist des Herrn gelänge, uns den Kainssinn, der noch ach, auch bei so viel Gnadenerfahrung, so tief im Herzen steckt und mit dem wir es uns noch oft so schwer machen und uns kränken und ärgern, recht zu offenbaren und uns das Wort wie ein Richterschwert ins Herz zu bohren: „Wer da sagt, er liebe Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner,“ und all' sein Christentum ist natürlich auch Lüge geworden; aber ist's erkannt in der Wahrheit, so soll's und kann's ja auch wieder Wahrheit werden, und anfangen mit der Wahrheit ohne Entschuldigung: ich hab' Zorn verdient„ und mit der anderen ohne Eigengerechtigkeit: Er hat mich versühnt“ und vergeben mein Hassen, viel vergeben. und nun wollen wir uns doch fleißig üben, ihn in den Brüdern dankbar wieder zu lieben. Wie würde es doch das arme Leben so reich machen, wenn's der Übung und dem Dienste der Liebe geweiht wäre, im täglichen Leben gegen die Hausgenossen und Nächsten; wenn wir's unsere Lust sein ließen, mit Sanftmut und Demut und mit Vielvergeben und mit geduldigem Tragen und auch aufrichtigem Strafen, Helfen, Dienen und Trösten dem Nächsten an Seel und Leib wohl zu tun; ja wenn wir in seinem Wohlsein allewege unser Glück fänden!
Ja, dann wäre unser Leben reich, reich an Liebesfreude. Die Liebe Gottes würde uns im Herzen immer heller leuchten, nicht aus Lohn und Verdienst, sondern weil wir durch die Übung in der Liebe wie von selbst dem leuchtenden Feuerherd der Liebe in Gottes Herzen näher dringen, - und die Brüder würden uns tun, wie wir ihnen, und ihre Liebe würde unser Leben lieblich schmücken; und wär's auch nicht, ach, das lieben dürfen allein, auch ohne Lohn der Gegenliebe, macht ein Herz, das aus Gott geboren ist, zufrieden und glücklich. (Theobald Wunderling)