1. Mose 3,11
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Arndt, Friedrich - Der Sündenfall - Neunte Predigt. Die Anklage.
Schlage, Jesu, an mein Herz,
Rühre mein Gewissen,
Damit aus dem Sündenschmerz
Heiße Tränen fließen.
Blicke mich, wie Petrum, an,
Dass ich in mich schlage,
Dass ich stets gedenke dran
Und doch nicht verzage. Amen.
Text: 1 Mose III., V. 11.
Und er sprach: Wer hat dirs gesagt, dass du nackt bist? Hast du nicht gegessen von dem Baum, davon ich dir gebot, du solltest nicht davon essen?
Das göttliche Verhör der ersten Menschen hatte begonnen, und die Frage des Richter der Lebendigen und der Toten an Adam: „Wo bist du?“ hatte ihm die Antwort entlockt: „Ich hörte Deine Stimme im Garten und fürchtete mich, denn ich bin nackt; darum versteckte ich mich.“ Diese Antwort enthielt halb die Wahrheit, halb eine Lüge. Wahr waren alle einzelnen Angaben, dass Adam Gottes Stimme im Garten gehört habe, dass er sich fürchte, dass er nackt sei, und dass er sich versteckt habe; lügenhaft und falsch dagegen war die Verbindung der einzelnen Glieder jener Angaben untereinander und die Behauptung, dass er sich darum fürchte und versteckt habe, weil er nackt sei. Absichtlich überging er den eigentlichen Grund seiner Furcht, dass er Gottes Gebot übertreten und von der verbotenen Frucht gegessen habe; im Stillen vielleicht sich vorlügend, er werde durch sein Schweigen Gott täuschen und so der angedrohten Strafe entgehen können. Unglückliche Selbsttäuschung der ersten Menschen, trotz ihrer Vergeblichkeit und Torheit fort und fort befolgt und wiederholt von ihren Kindern! Gott der Herr reißt Adam die Binde von den Augen und zeigt ihm durch eine zwiefache Frage, dass Er Alles wisse und Adam jeden Andern, nur Ihn nicht, zu täuschen vermöge. Auf das Verhör folgt unmittelbar die Anklage, und zwar in doppelter Fragefassung:
- Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist?
- Hast du nicht gegessen von dem Baum, davon ich dir gebot, du solltest nicht davon essen?
I.
Wie so oft das Neue Testament ein helles Licht auf das Alte Testament wirft, so ist es auch bei diesem Gotteswort der Fall, dass wir heute näher betrachten wollen. Und wisst ihr, Geliebte, welche Stelle des Neuen Testaments es ist, die zur vollständigen Auslegung unseres dermaligen Textes dient? Vielleicht leuchtet es euch beim ersten Anhören nicht ein; aber so wie wir uns mehr in die Tiefen desselben versenken, werdet ihr nicht umhin können, es zuzugeben. Es ist die bekannte, in jedem ordentlichen Religionsunterricht auswendig gelernte Stelle des Apostels Paulus: „Die göttliche Traurigkeit wirkt zur Seligkeit eine Reue, die Niemand gereut; die Traurigkeit aber der Welt wirkt den Tod.“ (2 Kor. 7,10.). Doch lasst uns unser Gotteswort im Text näher darauf anschauen.
Die erste Anklage des Herrn lautet: „Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist?“ Wer? Dies Wer setzt eine bestimmte lebendige Person voraus, keine tote Sache, keine bildliche Figur. Unter dem Wer kann aber weder Gott, noch der Mensch, gemeint sein, sondern ein Dritter, der weder Gott noch Mensch war und ist, der es nicht gut, sondern böse mit Gott und dem Menschen gemeint und Adam und sein Weib dahin gebracht hat, wo sie sich jetzt befanden. Geliebte, wir mögen uns drehen, wie wir wollen, es bleibt kein anderer übrig, als der in der ganzen Geschichte des Sündenfalls unsichtbar und unheimlich anwesende und wirksame Geist der Finsternis, durch dessen Neid die Sünde in die Welt gekommen war. Auf die Frage: „Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist?“ gibt es nur eine Antwort: Der Teufel hat dir es gesagt. Da wird uns vollende sonnenklar, wenn wir den, gerade nicht buchstäblich ausgedrückten, aber tief zum Grunde liegenden Gedanken hinzusetzen: „Wer hat dirs gesagt, dass du nackt bist und diese Nacktheit der Grund deines Versteckens ist?“ Das ist die neue, höhere Erkenntnis, welche der Teufel den Menschen versprochen, und das Wissen dessen, was gut und böse ist, wozu er ihnen die Augen aufgetan hat.
Wo gesündigt wird, da ist noch immer die höllische Kunst des Satans, zunächst die Herzen zu verstocken, dass ja keine nassen Augen über die Sünde entstehen, sondern, wie Luther sagt, wenn Gott einen Spieß wider den Menschen richtet, der Mensch Gott wieder einen Spieß entgegenhalte, und Ihm trotzig mit Kain erwidere: „Ich weiß nicht, - soll ich meines Bruders Hüter sein?“ Gelingt ihm das aber nicht, sondern erwacht durch Gottes Gnade im Menschen das Gewissen mit seiner Scham und Furcht, wie bei Adam, dann legt er es darauf an, ihn womöglich schließlich zur Verzweiflung zu treiben, und macht ihn angst und bange, unbehaglich und beklommen durch die Einsicht: Was ist aus dir geworden? Wohin bist du geraten? Wie siehst du aus? Ach, du bist jetzt nackt, d. h. äußerlich unglücklich und elend, innerlich schlecht und verdorben, ewig verworfen und verloren!
Die erste Erkenntnis, zu welcher Satan nach der Sünde uns die Geistesaugen öffnet, ist die, dass wir äußerlich uns glücklich und elend geworden sind. Es ist eine allgemeine Erfahrung, dass kein Mensch mehr den Wert des Wohlstandes kennt, als wer erst reich und wohlhabend gewesen und dann an den Bettelstab gekommen ist, dass wir die Kostbarkeit der Gesundheit nie höher anschlagen, als in den Tagen der Krankheit und des Siechtums, dass wir die Herrlichkeit der Freiheit erst recht preisen, wenn wir, derselben beraubt, in Kerker und Haft eingesperrt, nicht mehr tun können, was wir wollen, dass wir die Ehre und Achtung vor der Welt erst recht würdigen, wenn sie sich uns entzieht und uns überall Misstrauen, Kränkung, Geringschätzung und Hohn begegnet; dass wir erst ganz wissen, was Freude und Genuss ist, wenn wir sie entbehren müssen, und die Lieblichkeit des Umgangs mit teuren Menschen erst im vollen Umfang fühlen, wenn der unerbittliche Tod sie uns von der Seite gerissen hat. Nicht minder allgemein ist die Erfahrung, dass vorzugsweise die Sünde es ist, welche den Verlust unseres Geldes, unserer Gesundheit, unserer Ehre, unserer Freiheit und Lebenslust herbeiführt, und die Klage auspresst: „Wie bist du herunter gekommen und elend geworden! Es ist jetzt ein wahrer Jammer mit dir und der Schaden nie wieder gut zu machen! du bist jetzt nackt und entblößt, vereinsamt und verödet dein Leben lang!“ Gesetzt, die Sünde ließe uns diese Güter, sie bliebe aber und herrschte in unserem Innern, und bestimmte unsere Gedanken und Bestrebungen, Worte und Taten Tag und Nacht, machte sie uns nicht dennoch mitten im Übermaß ihres Besitzes und Genusses elend und unglücklich, dass wir ihres Besitzes nicht froh werden, bei ihrem Gebrauch keinen Frieden haben und mit ihnen eigentlich nichts Rechtes leisten können? Jede irdische sinnliche Freude und jedes Gut dieser Welt ist und bleibt nur ein Gut und eine Freude, wenn das Eine wie das Andere nach Gottes Ordnung gebraucht und genossen wird. Es kann daher zum Beispiel der Trunkenbold der Gabe Gottes nicht froh werden, und seine Freude ist eine tolle, wilde Lust, die gewissermaßen erst anhebt, wenn er sich selbst vergessen hat; es ist der Geizige nur der geplagte Wächter eines großen Schatzes, den er aber eigentlich gar nicht besitzt, sondern von ihm besessen und geknechtet wird, und ihn daher weder zur eigenen Freude, noch um Andere zu erfreuen, anwenden kann; es vergiftet, verbittert, vernichtet der Wollüstling, der Hochmütige, der Eitle sich selbst das Leben, weil er sich zum Sklaven seines eigenen Ich macht und von diesem auf alle erdenkliche Weise tyrannisieren lässt. Genug, jeder Knecht der Sünde leidet mitten im Taumel seiner Lust Mangel, bitteren Mangel. Warum? Darum, weil er kein wahres, göttliches Leben in sich hat, weil er durch den Sündendienst sich von der Quelle alles Lebens und aller Seligkeit losgesagt und sein Herz seinem Gott verschlossen hat, dass ihm von daher nichts werden kann. Könnte er Gott den Herrn sein eigen nennen, so würde er mit David festhalten, dass die Reichen müssen darben und hungern, aber die den Herrn suchen, haben keinen Mangel an irgend einem Gut (Ps. 34,11), mit Assaph jauchzen: „Herr, wenn ich nur Dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde“, und mit Paulus bekennen: „Ich habe gelernt, bei welchem ich bin, mir genügen zu lassen; ich kann niedrig sein und kann hoch sein, ich bin in allen Dingen und bei allen geschickt, beides, satt sein und hungern, übrig haben und Mangel leiden, ich vermag Alles durch den, der mich mächtig macht, Christus“; und kämen Tage der Entbehrung und des äußeren Mangels, er würde mit Micha sich trösten: „So ich im Finstern sitze, ist der Herr mein Licht“, und mit Paulus im Kerker zu Philippi Psalmen singen. Wer unter euch die Wege der Sünde und des Irrtums gewandelt ist und denkt zurück, was er da hatte, oder wer nun, nachdem er den Herrn gefunden hat, in das Herz eines Menschen, welcher der Sünde dient, hineinsieht, dem muss Grauen und Entsetzen ankommen vor dieser Armut, diesem Elend, dieser Nacht, diesem Unfrieden, dieser Verödung. Solch ein Mensch ist gleich dem verlorenen Sohn, der im fremden Land durch sein Prassen verkommen ist, hat Niemand, dem er könnte klagen seinen Jammer und sein Herz ausschütten, er muss in innerem und in äußerem Elend vergehen. Mit Recht hat der Herr Jesus gesagt: „Niemand lebt davon, dass er viele Güter hat“, und: „Was hilft es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne und nähme Schaden an seiner Seele, oder was kann der Mensch geben, dass er seine Seele wieder löse?“
Nacktheit ist aber nicht bloß ein Mangel, ein Mangel an Kleidung, an Schmuck und Zierde, an Schutz und Sicherheit, Nacktheit ist auch ein bestimmter Zustand, dessen sich der Mensch vor Andern schämt. Das ist daher das andere, entsetzliche Bewusstsein, das der Teufel im Sünder weckt und wobei er gar den Tugendhelden zu spielen sich die Miene gibt: Du musst dich schämen vor Gott und Menschen! Wie bist du doch so moralisch versunken und so innerlich grundschlecht in deinen Gesinnungen, in deinen Grundsätzen, in deinen geheimen Gedanken, in deinen Bestrebungen und Taten! Da fühlt denn der beleidigte Stolz sich empört, das Joch der Sünde tragen zu müssen; da klagt die Selbstsucht sich an und ihr früheres verschwenderisches Leben, ihren Leichtsinn, ihren Müßiggang, ihre Untreue, ihre Völlerei, ihre Spielsucht, ihre Leidenschaften und Ausschweifungen; da rinnen heiße Tränen des falschen Ehrgefühls darüber, dass in Folge dieser Zügellosigkeit nun all diese Schmach und Schande, dieser Kummer und diese Sorge eingebrochen ist; da fühlt das Herz dann ein Feuer des Schmerzes über seine innere und äußere Lage, mit welchem kein anderes Feuer verglichen werden kann; da leidet es eine Pein, die je länger, je unverträglicher wird; da fürchtet es sich vor dem, was noch kommen kann, vor Entdeckung, vor bürgerlicher Strafe, vor dem Urteil der Menschen, vor den unausbleiblichen Leiden, vor Tod und Gericht; da erwacht der brennende Wunsch, das Geschehene wieder gut machen zu können, und das Gelübde, dass es von nun an anders werden soll, wenn nur erst die Not und das Elend ein Ende hat. Ach, hat Not und Druck ein Ende, dann hat leider auch die Betrübnis und der Schmerz ein Ende, der Sünder achtet nach wie vor die Sünde gering und beginnt und setzt sein früheres Sündenleben vielleicht ärger als zuvor fort. Solche Unbehaglichkeit über die Sünde ist eine Traurigkeit der Welt, wie sie unter den Weltkindern und den natürlichen, unwiedergeborenen Menschen allgemein ist, eine Traurigkeit über die Folgen der Sünde, nicht über die Sünde selbst, über das Nacktsein, und nicht darüber, dass man von dem Baum gegessen hat, davon Gott gebot, man solle nicht davon essen,
Und solche Traurigkeit wirkt nach dem Wort des Apostels den Tod, und zwar zunächst immer den geistigen Tod, sei es, dass die Einen das Sündenbewusstsein zu betäuben suchen durch Zerstreuungen aller Art und die Orte der Sünde, das Spielhaus, das Trinkhaus, das Hurenhaus, unbekümmert um die verweinten Augen, um die abgehärmten Wangen, um die blutigen Tränen und Klagen der Ihrigen, die Lieblingsstätten ihres Lebens bleiben; sei es, dass Andere es betäuben wollen, indem sie Sünde durch Sünde vertreiben, Fluch durch Fluchwürdiges von sich wenden, und alle Mittel der Selbsthilfe versuchen, die sie nur finden können, auch die unerlaubtesten und schamlosesten; sei es, dass noch Andere sich hineinstürzen in eine Zerrissenheit des Gemüts, eine Zerrüttung des Geistes, eine schwarze, brütende Melancholie, ein Hadern mit dem allmächtigen Gott und Seinen Führungen, eine peinliche Untätigkeit, die des Lebens satt und überdrüssig macht. Ist das alles nicht ein fortwährendes geistiges Sterben? ein allmähliges Erlöschen jedes Gottesbewusstseins, jeder Gewissensregung, jeder Gebetslust und Gebetsfähigkeit? und ist es ein Wunder, wenn solch geistiges Sterben zuletzt in die Arme des leiblichen Todes wirft? und es dann heißt: „Was soll dir noch länger das Leben? es hilft dir ja doch nichts mehr, du bist ja einmal rettungslos verloren, es bleibt dir weiter nichts übrig, als die Verzweiflung; darum kauf dir wie Judas einen Strick und erhänge dich, oder verschaff dir eine Pistole und schieß dich tot, oder stürz dich ins Wasser und mach deinem Leben gewaltsam ein Ende; das ist das Beste, ja, das Einzige, was du noch tun kannst!“ Wie, Andächtige? Endet nicht auf diese Weise bei Hunderten - es ist entsetzlich zu sagen bei Tausenden - Jahr aus, Jahr ein ihr Sündenlauf? Ist die Zahl der Selbstmorde in unserer Zeit und Stadt nicht fortwährend im Wachstum begriffen? Zeugt es nicht von einem furchtbaren, wahrhaft haarsträubenden, sittlichen und religiösen Verfall, wenn in diesem Sommer in unseren Mauern innerhalb 14 Tagen 20 Menschen ihrem Leben ein Ende gemacht, oder doch den Versuch dazu gewagt haben? Und kann die letzte Wirkung solch geistlichen und leiblichen Todes eine andere sein, als der ewige Tot, die ewige Wegweisung vom Angesicht des Herrn, die Hölle und die Verdammnis. Muss nicht die letzte Nachricht, die wir von ihnen bekommen, lauten: Vater Abraham, ich leide Pein in dieser Flamme?
Geliebte, hat der Weg zur Sünde seine Gefahren, die Flucht vor ihr hat sie ebenfalls; sonst würde es nicht so wenig gründlich bekehrte Menschen geben, dagegen so viele, die unter den Folgen ihres verkehrten Tuns ihr Lebelang seufzen, und niemals Friede und Erlösung finden; sonst würden nicht so wenig Freudentränen über empfangene Gnade, und so viele bittere Tränen über geschehene Sünde fließen. Es gibt eine Reue, die rührt nicht von Gott her, die ist nur die lebendig gewordene Sünde, welche über ihr angerichtetes Unheil erschrickt und ihm entfliehen, aber sich selbst nicht aufgeben und kreuzigen will. Diese Reue bringt es nur zu dem Geständnis: Du bist nackt; sie bestärkt in der Sünde, aber tötet sie nicht; sie ist ein Gräuel vor Gott, aber kein süßer Geruch; sie führt in die Hölle, aber nicht in den Himmel; sie ist die Buße Kains, Esaus, Sauls, Ahabs, Judas und aller Verlorenen. Hinter ihr steht der Teufel und lacht sich satt; denn er ist ihr eigentlicher Urheber und er weckt sie im Menschen, nicht um ihn zu retten, sondern um ihn ganz von Gott zu lösen und ewig zu verderben; nicht aus Mitleid, sondern aus Schadenfreude, dass es ihm gelungen ist, den Menschen so elend und verzweiflungsvoll zu machen, so in beständiger Furcht und Flucht vor Gott zu erhalten; es ist, als ob er ihm fortwährend zuriefe: Das ist dir ganz recht, warum hast du mir, und nicht Gott geglaubt? So lange und so oft wir nur trauern über dass Übel und die Folgen der Sünde, oder, wenn auch über die Sünde, doch nur darum, um von jenen üblen Folgen erlöst zu werden, so lange ist unsere Traurigkeit nur eine Traurigkeit der Welt, die den Tod wirkt, und ihren ersten Ursprung im Reich der Finsternis hat.
II.
Ganz anders verhält es sich mit der göttlichen, von Gott gewirkten, nach Gott seufzenden, zu Gott führenden Traurigkeit, von der Paulus sagt: sie wirkt zur Seligkeit eine Reue, die Niemand gereut. Diese göttliche Traurigkeit suchte in den ersten Menschen Gott der Herr zu erwecken durch die zweite Frage: „Hast du nicht gegessen von dem Baum, davon ich dir gebot, du solltest nicht davon essen?“ Ich sage es dir gerade heraus, damit du dir nicht länger einbildest, ich wüsste nicht, was du getan hast; ich weiß Alles; ich habe dich beobachtet, als du von Eva dir zureden ließest, und aus ihren Händen nahmst die frevelhaft abgepflückte Frucht; ich habe Eva beobachtet, als die Schlange ihr verfänglich nahte, als Eva still stand und sich mit ihr in ein Gespräch einließ, als Zweifel an der Wahrheit meines Wortes in ihrer Seele erwachte, zum Zweifel sich alsbald der Unglaube, der Stolz, die böse Lust gesellte, und diese zuletzt in die böse Tat ausbrach; mich kannst du nicht täuschen, ich bin der Allwissende und der Allgegenwärtige, vor dem die Nacht leuchtet wie der Tag und Finsternis ist wie das Licht. Ich sage es dir heraus, damit du nicht meinst, wenn du mir die Tat verschweigst und verhehlst und nur von den Folgen deiner Sünde, dem Nacktsein, aber nicht von deiner Sünde, dem Genuss der verbotenen Frucht, sprichst: Ich werde es auch mit Stillschweigen übergehen; nein, ich bin kein stummer und toter, sondern ein lebendiger und redender Gott; ich muss dir deine Sünde vorhalten und zum Bewusstsein bringen, um so mehr, als du sie vertuschst und bedeckst. Das erfordert meine Wahrhaftigkeit und Treue, die Finsternis nicht Licht und Licht nicht Finsternis nennen kann, die die Lügner umbringt und Gräuel hat an den Falschen, und der Aufrichtigkeit allein angenehm ist. Das erfordert meine Heiligkeit und Gerechtigkeit, denn ich bin nicht ein Gott, dem gottlos Wesen gefällt, und wer böse ist, bleibt nicht vor mir; Heiligkeit ist die Zierde meines Hauses ewiglich, und sie ist zu rein, als dass sie die Sünde nicht hassen und strafen sollte. Das erfordert insbesondere meine grundlose Gnade und Barmherzigkeit, die nicht den Tod des Sünders will, sondern dass er sich bekehre und lebe, die Gnade beweist bis ins tausendste Glied und vergibt Missetat, Übertretung und Sünde. Berge können weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade kann nicht von dir weichen und der Bund meines Friedens kann nicht hinfallen. Diese Gnade und Barmherzigkeit lag vor Allem der Frage zum Grunde: „Hast du nicht gegessen von dem Baum, davon ich dir gebot, du solltest nicht davon essen?“ Gott wollte dadurch die Menschen zur Erkenntnis ihrer Sünde als solche bringen, um sie vor dem Verderben zu bewahren und sie zu retten ewiglich.
Kann Er doch allein solche Erkenntnis in uns anzünden und uns die Augen öffnen über uns selbst. Der Teufel tuts ja nicht, sonst würde er sein eigen Werk vernichten. Wir armen Menschen mögen auch nicht heran, unsere Eigenliebe ist zu groß, als dass sie sich ihre Flecken und Narben gestehen sollte; und der Prophet sagt: „Kann auch ein Mohr wandeln seine Haut, oder ein Pardel seine Flecken? So könnt ihr auch nichts Gutes tun, weil ihr des Bösen gewohnt seid“ (Jeremias 13,23.). Andere Menschen, die uns lieb haben, versuchen es wohl; aber öffnet Gott der Herr uns nicht Auge und Herz, so werden wir durch ihre Vorhaltungen eher erbittert und verhärtet, als erleuchtet und gedemütigt. Können wir doch oft nicht einmal die Berichtigung eines Irrtums von Anderen anhören, ohne uns verletzt zu fühlen und aufzubrausen. Gott allein kann uns Buße geben zum ewigen Leben, und in und wirken das Wollen und das Vollbringen nach Seinem Wohlgefallen. Bekehrt Er uns, so werden wir bekehrt; heilt Er uns, so werden wir heil. Es liegt nicht an Jemandes Wollen oder Laufen, sondern allein an Gottes Erbarmen. Es ist demnach nur eine Gnade des Herrn, wenn wir uns selbst erkennen.
Wann dürfen wir aber ohne Selbstbetrug sagen: der Plan Gottes ist gelungen, wir sind zu einer richtigen und aufrichtigen Erkenntnis unserer selbst gelangt? Dann, wenn die Überzeugung in uns die Herrschaft gewinnt, dass wir gegessen haben von dem Baum, davon Er uns gebot, wir sollten nicht davon essen. Mit diesen Worten kennzeichnet Gott die Sünde in ihrer wahren Gestalt. Er nennt sie zunächst ein Essen, mithin einen Genuss, und ist sie das nicht? Der Mensch ist einmal ein genusssüchtiges Wesen. Anstatt aber seine Befriedigung in den Gütern zu suchen, die sie ihm gewähren, vornehmlich im Umgang mit dem Herrn und der Beobachtung Seines Willens, sucht er sie in den nichtigen, irdischen, sündlichen Genüssen dieser Welt. Würde das Kind wohl naschen, der Dieb stehlen, der Trunkenbold trinken, der Spieler spielen, der Eitle sich zieren, der Hochmütige sich aufblähen, der Lügner lügen, der Rachgierige seinen Mut fühlen, wenn die Sünde nicht süß wäre? Ohne diesen Geistes- und Sinnengenuss verlöre sie allen und jeden Reiz und würde gehasst und geflohen, aber nicht geliebt und geübt werden. Weiter. Der Baum, von dem Adam und Eva aßen, stand im Paradies, sie suchten demnach einen paradiesischen Genuss im Essen von seiner Frucht. Nicht minder bildet sich der Sünder ein, es sei eine paradiesische, das heißt, die echte, naturgemäße, von Gott selbst gewollte, allerhöchste Befriedigung seiner tiefsten Bedürfnisse, oder doch ein Ersatz des verlorenen Paradieses, wenn er sich in die Lockungen der Sünde verliere; in ihrer Gewährung komme erst die Natur zu ihrem Rechte, erhalte die Freiheit erst ihre volle Bürgschaft, finde die Liebe erst ihre rechte Nahrung, habe der Tätigkeitstrieb erst sein reichstes und nützlichstes Arbeitsfeld, und der menschliche Geist den Gegenstand, der ihm zeitlich und ewig genüge. - Der Genuss der Früchte des Baums war endlich ein verbotener: Auch die Sünde ist ein vermeintlich paradiesischer, aber verbotener Genuss, Übertretung eines göttlichen Verbots, Empörung gegen Gott, Auflehnung gegen seine Oberherrlichkeit und Majestät, Bruch mit Ihm, Abfall von ihm, Herausforderung Seiner Strafgerechtigkeit und Ungnade.
Erst wenn wir zu dieser Erkenntnis gelangt sind, dass die Sünde ein von Gott verbotener Genuss ist, wir durch sie Seine Gebote übertreten, und deshalb nichts als Strafe verdient haben, erst wenn das göttliche Gebot wieder zur Macht und zum Recht gelangt ist in unserem Herzen und uns die Sünde recht zur Sünde gemacht hat, sind wir wahr und aufrichtig gegen uns, die Nebel und Blendwerke der Sünde sind vor unserem Blick gewichen, wir sind nüchtern geworden aus der Teufels Strick und erkennen Beides, die Höhe, von der wir herabgefallen, und die Tiefe, in die wir geraten sind. Ist das Herz in solchen Augenblicken auch noch öde und leer und in chaotischer Gärung, so durchbricht dennoch wie am ersten Schöpfungstag bereits das Licht die Finsternis, es beginnt zu tagen, und der Geist Gottes schwebt neuschaffend über der geheimnisvollen Tiefe. Aus solcher Erkenntnis entspringt alsbald eine tiefe Reue, die nicht jammert: ich habe meine Gesundheit untergraben, meinen guten Namen verloren, mein Haus zerrüttet, fremdes Gut mir angeeignet, Anderer Ehre gekränkt, mich selbst und die Meinigen unglücklich gemacht, sondern jammert: „An Dir allein habe ich gesündigt und übel vor Dir getan“; eine Reue, die darüber weint und sich härmt, dass sie so viel göttliche Liebe verachtet, so viel Wohltat mit Füßen getreten, so grob sich vergangen, so lange Widerstand geleistet und Gottes Gnade auf Mutwillen gezogen hat; eine Reue, die mit dein verlorenen Sohn seufzt: „Vater, ich habe gesündigt im Himmel und vor Dir, und bin hinfort nicht mehr wert, dass ich Dein Sohn heiße“, die mit Esra bekennt: „Unsere Missetat ist über unser Haupt gewachsen, und unsere Schuld ist groß bis an den Himmel“, die mit Manasse sich anklagt: „Meine Sünde ist mehr, denn des Sandes am Meer“, die mit Petrus bittet: „Herr, gehe hinaus von mir, denn ich bin ein sündiger Mensch,“ die mit dem Zöllner von ferne steht, und nicht wagt ihre Augen aufzuschlagen gen Himmel, die mit der großen Sünderin zu Jesu Füßen liegt, und sich nicht tief genug zu demütigen vermag, die mit dem Liederdichter betet: „Ich armer Mensch, ich armer Sünder steh hier vor Gottes Angesicht. Ach Gott! Ach Gott! Verfahr gelinder und geh nicht mit mir ins Gericht. Erbarme Dich, erbarme Dich, Gott, mein Erbarmer, über mich!“ Solche Reue gereut nie; denn sie ist eine Reue und doch keine Reue; eine Reue ist sie ihrer Natur nach, und doch keine Reue ihrer Wirkung nach; eine scharfe Medizin, die dem Munde bitter, aber dem Herzen gesund ist. Wie sollte das einen Menschen je gereuen, was Gottes Geist geweckt, Gottes Wort genährt hat; was darüber trauert, dass das Herz Gott so fern ist, und danach verlangt, wieder mit Gott vereint zu werden; was mit Hass und Abscheu gegen die Welt und Sünde erfüllt und zu Christo, dem Sünderheiland, hinzieht, was zur Buße und Sinnesänderung führt und heilige Entschließungen weckt, dass es nun ein Ende haben soll mit dem Sündendienst für immer und ewiglich? Gleichwie in heißen Sommertagen, wenn ein Gewitter am Himmel steht, die schwüle Luft beklemmt und ermattet, wenn aber die Wolken brechen und ein Regen fällt, die Luft sich reinigt und erquickt: so gehts auch mit der göttlichen Traurigkeit, sie macht im Anfang bange, aber wenn sie in Seufzer und Tränen ausgebrochen, wird das Herz wieder leichter und findet neue Erquickung. Endlich und zuletzt aber wirkt die göttliche Traurigkeit eine Reue zur Seligkeit, die Niemand gereut; sie macht hienieden froh und selig durch das Bewusstsein der Versöhnung und Begnadigung, durch den Frieden des Glaubens an die Gerechtigkeit Christi, der höher ist denn alle Vernunft, der da jubelt: „Ich weiß es, ich weiß es - und wird‘ es behalten, so wahr Gottes Hände das Reich noch verwalten, so wahr Gottes Sonne am Himmel noch prangt, so wahr hab ich Sünder Vergebung erlangt“! wie ist da mit einemmal die Last vom Herzen gesunken und der Nebel der Angst und des Schreckens für immer verschwunden! - und selig in der Ewigkeit: die Seligkeit hienieden ist Vorschmack und Unterpfand der zukünftigen: „Gibst Du schon soviel auf Erden, was wirds erst im Himmel werden?“
Merkt wohl, Geliebte, Gott sagt nicht streng und scharf: „Du hast gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot, du solltest nicht davon essen“: das hätte die Menschen abschrecken und vernichten müssen; Er fragt milde und zu Gemüte führend: „Hast du nicht gegessen von dem Baum, davon ich dir gebot, du solltest nicht essen?“ Dadurch will Er beschämen, beugen, zerknirschen, erweichen, das Geständnis ablocken: „Ja, Herr, ich sehe es ein, es tut mir aber sehr leid, vergib mir und verstoß mich nicht und gehe nicht ins Gericht mit mir; den Tod habe ich verdient, Du aber bist das Leben.“ Durch die Fassung der Anklage sehen wir wieder, wie gut Gott es mit den Menschen meinte, wie Er sie zur Erkenntnis ihrer Schuld nur bringen will, um sie zu retten und selig zu machen. O, dass es ihm gelänge, bei uns Sein Gnadenwerk zu beginnen und zu vollenden! Dass Er jederzeit die echte Buße in uns erweckte, die darüber trauert, dass wir gegessen haben von dem verbotenen Baum, und die Selbstsucht die eigentliche Triebfeder nicht nur unserer sündigen Handlungen, sondern auch unserer sogenannten Tugenden und Heldentaten ist! Oft hören wir die Klage aus dem Munde ernstgesinnter Christen, dass sie keinen Segen vom Genuss des heiligen Abendmahls gehabt, dass sie den Frieden des Herrn so oft vermissen in ihrem Innern, dass sie sich noch vor dem Tode fürchten und dergleichen. Was ist der Grund aller dieser Klagen? Kein anderer als der: unsere Traurigkeit über die Sünde ist meist noch zu sehr eine weltliche, und keine göttliche; da verwirrt dann der Satan alle unsere Selbsterkenntnis, betäubt unser Gewissen, zieht Alles ins Äußerliche, benutzt unsere Selbstsucht auch bei der Reue zu seinem Zweck, und hält uns auf, ja hält uns ab vom Wege der Seligkeit. Trachtet denn nach der rechten, göttlichen Traurigkeit über eure Sünde, ruht nicht eher in Selbstprüfung und Gebet, bis sie in euch lebendig und nicht bloß einmal, sondern täglich eure Grundstimmung in Beziehung auf euch selbst geworden ist, und ihr werdet sehen: diese göttliche Traurigkeit führt zum Glauben, gibt euch Frieden, tötet die Sünde, ist Gott ein süßer Geruch, bereitet euch Segen beim Genuss des heiligen Abendmahls, vertreibt jegliche Todesfurcht und bringt euch in den Himmel, so gewiss sie es bei Hiob, David, Manasse, Petrus, Paulus und allen Heiligen getan hat, ja, sie hat die große Verheißung des Herrn, die nie auf ihre Erfüllung warten lässt: „Kehre wieder, du abtrünniges Israel, so will ich mein Antlitz nicht gegen euch verstellen und nicht ewiglich zürnen; allein erkenne deine Missetat, dass du wider den Herrn, deinen Gott, gesündigt hast, so will ich dich heilen von deinem Ungehorsam“ (Jer. 3,12.13.22.).
Siehe, wir kommen zu Dir, denn Du bist der Herr, unser Gott. Wahrlich, es ist eitel Betrug mit Hügeln und mit allen Bergen. Wahrlich, es hat Israel keine Hilfe, denn am Herrn, unserem Gott. Amen.
Arndt, Friedrich - Der Sündenfall - Zehnte Predigt. Die Entschuldigungen.
Lass nichts zwischen mich und Dich,
Was mir will mein Ziel verrücken;
O mein Führer, lass es mich
Täglich immer mehr erblicken.
Tritt was Anders zwischen ein,
Lass es bald vernichtet sein. Amen.
Text: 1 Mose III., V. 11-13.
Und er sprach: Wer hat dirs gesagt, dass du nackt bist? Hast du nicht gegessen von dem Baum, davon ich dir gebot, du solltest nicht davon essen? Da sprach Adam: Das Weib, das du mir zugesellt hast, gab mir von dem Baum, und ich aß. Da sprach Gott der Herr zum Weib: Warum hast du das getan? Das Weib sprach: Die Schlange betrog mich also, dass ich aß.
Noch sehen wir Adam Gott gegenüberstehen im ernstesten Verhör des Paradieses. Adam ist aus seinem Versteck hervorgetreten, nachdem er die vernehmliche Gottesstimme gehört hatte, er hat die Wahrheit halb eingestanden, halb verschwiegen; darauf ist die unumwundene Anklage des allwissenden und gerechten Richters gegen ihn erhoben worden: „Wer hat es dir gesagt, dass du nackt bist? Hast du nicht gegessen von dem Baum, davon ich dir gebot, du solltest nicht davon essen?“ Unser Text gibt uns Adams Verteidigung und Selbstrechtfertigung dieser Anklage gegenüber. Die Zeit des Leugnens und Verdeckens war nun vorüber, und es konnte Adam solcher bestimmten Anklage gegenüber nicht Nein antworten: die innere Stimme seines Gewissens sowohl, wie die äußeren betrübenden Folgen des Sündenfalls bewiesen die Tatsache unwiderleglich. Adam und Eva müssen daher Beide zugeben, dass sie gegessen haben von dem Baum, davon Gott ihnen gebot, sie sollten nicht davon essen; Beide erwidern: und ich aß; aber statt die Tat zu beweinen und zu verfluchen, statt sich selbst anzuklagen und zu Gott um Gnade zu flehen, greifen sie zu dem gewöhnlichen Mittel aller gefallenen Sünder, zu der jämmerlichsten aller Ausreden, sie leugnen die eigene Schuld, und zwar der Eine wie die Andere, und werfen sie auf Andere; mit Einem Wort: sie entschuldigen sich. Wir betrachten daher heute Adams und Evas Entschuldigungen,
- ihre Beschaffenheit,
- ihre Bedenklichkeit.
I.
Adam, zuerst zur Rede gestellt, entschuldigt sich auch zuerst: „Das Weib, das Du mir zugesellt hast, gab mir von der Frucht, und ich aß“. Wie Eva ihm vorangegangen war in der Sünde, so geht er ihr voran in der Entschuldigung. Er schiebt die Schuld zunächst auf Eva, als wollte er sagen: Hätte ich kein Weib, und hätte sie mich nicht verführt, ich hätte es nicht getan; sodann aber auf Gott: „Das Weib, das Du mir zugesellt hast“, d. h. hättest Du mir kein Weib gegeben, es wäre nicht geschehen. So macht er alle Anderen, nur sich selbst nicht, zum Urheber seiner Sünde. Was soll Gott ihn noch weiter fragen? Jede neue Frage hätte neue Lügen zur Folge gehabt. Gott überlässt ihn daher fürs Erste seinem Gewissen und wendet sich an Eva, ob sie besser sei, als Adam. Es ist wahr, sie hat zuerst gesündigt und durch ihr Zureden und ihr Beispiel auch ihren Mann verführt. Adams Schuld ist ihre Schuld; auch sah sie, wie schlecht Adam mit seinen Entschuldigungen bestand, und hätte sich das dazu dienen lassen sollen, Gott die Ehre zu geben und die Wahrheit zu sagen. Was antwortet sie aber auf Gottes Frage: „Warum hast du das getan?“ Sie macht es gerade wie Adam, sie fühlt weder Reue, noch Selbstanklage, sie will ebenfalls rein ausgehen und antwortet: „Die Schlange betrog mich also, dass ich aß“. Darin hatte sie freilich Recht, dass die Schlange sie betrogen hatte, und ihr Sinn war nun insofern geändert, als sie vorher die Schlange für ihre Freundin angesehen und ihre Reden für Wahrheit und für einen guten Rat gehalten hatte, jetzt aber einsah, dass jene sie belogen und betrogen hatte. Ach, so gehts bei allen Sündenfällen, man wird in ihnen von der Schlange immer betrogen, wie Paulus sagt: Der alte Mensch verderbt sich durch Lüste in Irrtum (Eph. 4,23. Ebr. 3,13.); der Sünder sucht in seiner Sünde Ruhe und findet sie nicht, Ehre und findet Schande, Lust und bereitet sich Qual, Überfluss und muss zuletzt an Leib und Seele darben; und wohl dem, dem die Augen noch zu rechter Zeit aufgehen, ehe es zu spät ist! Darin hatte sie also Recht, dass sie zeugte: „Die Schlange betrog mich also, dass ich aß“; aber darin hatte sie Unrecht, dass sie diesen Betrug so darstellt, als ob er ein unwiderstehlicher gewesen sei und sie von der Schlange zum Essen sei gezwungen worden.
Wie, Geliebte? Wirds euch nicht eiskalt bei diesen Ausreden und Entschuldigungen? sehet ihr die ersten Menschen nicht immer tiefer sinken, aus einer Tiefe der Schlechtigkeit und Verworfenheit in die andere? Und dabei muten sie dem heiligen und wahrhaftigen Gott zu, Er solle ihre Entschuldigungen für bare Münze annehmen, sie für uns schuldig und gut erklären und wohl gar Adam um Vergebung bitten, dass Er ihm eine Gehilfin gegeben, und Eva, dass Er eine Schlange geschaffen, und Beide, dass Er sie erschreckt, aus ihrem Versteck hervorgerufen und zur Rede gestellt habe? So ist eine Sünde immer die Mutter der andern und eine Folge der Sünde zieht immer die andere nach sich.
Wie wir die Sündhaftigkeit von Adam geerbt haben, so haben wir auch die Entschuldigungssucht von ihm. Als Aaron das goldene Kalb auf Menschenfurcht vor dem Volk Israel gegossen hatte und von Mose darüber zur Rede gestellt war: „Was hat dir denn das Volk getan, dass du diese große Sünde über dasselbe gebracht hast?“, entschuldigte er sich mit der kriechenden, jammervollen Ausflucht: „Mein Herr lasse seinen Zorn nicht ergrimmen, denn du weißt, dass das Volk böse ist“ (2 Mose 32,21.22.), war das Volk böse und wusste das Aaron, so war es ums so mehr seine Pflicht, demselben Widerstand zu leisten, aber nicht, ihm nachzugeben. Als Saul, trotz Samuels Verbot, im Krieg gegen die Amalekiter das Beste von der Beute und sogar den König Agog hatte leben lassen, um sie bei seinem Triumphzug zu seiner Verherrlichung vor sich her zu führen, und Samuel betrübten Herzens ihn deshalb fragte: „Was ist denn das für ein Blöken der Schafe in meinen Ohren und ein Brüllen der Rinder, die ich höre?“ entgegnete er, sich selbst rechtfertigend: „Von den Amalekitern haben sie sie gebracht: denn das Volk verschonte der besten Schafe und Rinder um des Opfers willen des Herrn deines Gottes, das andere haben wir verbannt“; als ob das Volk das hätte tun dürfen, wenn er es nicht erlaubt oder befohlen hätte; und es gelang dem Propheten erst durch die Strafandrohung: „Weil du nun des Herrn Wort verworfen hast, hat Er dich auch verworfen, dass du nicht König seist“, ihn dahin zu bringen, dass er seine Schuld einsah und das Geständnis ablegte: „Ich habe gesündigt, dass ich des Herrn Befehl und deine Worte übergangen habe“. Und entschuldigen wir unsere kleinen und großen Sünden nicht noch unaufhörlich auf gleiche Weise, bald vor uns selbst und unserem inneren Richter, bald vor anderen Menschen, entstellen, verdrehen, lügen, dichten, heucheln zusammen, was wir irgend können, um nur den guten Schein uns zu erhalten? Nachdem wir unrecht gehandelt, sprechen wir hinterdrein auch noch unrecht und verletzen so ein göttliches Gebot nach dem andern.
Und auf wen werfen wir in der Regel die Schuld? Gerade wie Adam, zunächst auf andere Menschen. Warum haben die mir zugeredet? heißt es, warum haben meine Eltern mir eine solche Erziehung gegeben? Was kann ich dafür, dass ich in der Schule solche Grundsätze gehört und gelernt habe, dass der Geist der Zeit, der auch auf mich nicht ohne Einfluss geblieben, ein so böser und satanischer ist, dass die liberalen Zeitungen und Tagesblätter, die ich lese, in ihren Leitartikeln erst den Glauben und Gottes Wort aus dem Herzen reißen und dann das Königtum von Gottes Gnaden, die Achtung vor dem Gesetz, den Gehorsam gegen die Obrigkeit hinterdrein und die Menschen glücklich machen wollen, ohne sie erst gut gemacht zu haben? Meiner Frau oder meinem Mann oder meinen Kindern zu lieb habe ich Teil genommen, ich wollte ihnen die Freude nicht rauben, noch stören; die Gesellschaften und Verbindungen, in denen ich stehe, haben das von mir gefordert; ich tue ja nur das, was Andere auch tun; man kann ja nicht gegen den Strom schwimmen; man muss den Mantel nach dem Wind hängen; wer unter den Wölfen ist, muss mit ihnen heulen. Oder wir werfen wie Adam die Schuld geradezu auf Gott selbst, der uns also geschaffen, dieses Temperament und diesen Charakter gegeben, in diese Lage uns versetzt, unter diese Versuchungen gestellt und uns so schwach und unvollkommen gebildet hat, dass es geradezu unmöglich ist, Gottes Gesetz zu halten. Was kann ich dafür, spricht der Zornmütige, dass ich so heftig und reizbar bin? Es liegt einmal in meinem Blut und in meinen Nerven, ich kann mich nicht umschaffen. Was kann ich dafür, dass ich ein so schweres, melancholisches Gemüt habe? sagt der Verzagte und Kleinmütige, mein dickes Blut und meine äußere Lage ist daran Schuld. Oder wir werfen wie Eva die Schuld auf die Schlange, auf den Teufel, der uns zusetzt mit bösen Gedanken und mit einer so unwiderstehlichen Lust, dass wir nicht anders können, wir müssen folgen; was kann der Mensch gegen die Anfechtung, wenn Gott ihn nicht bewahrt und schützt?
Was sind selbst die Verkleinerungen und Ausschmückungen unserer Laster anders, als kahle Entschuldigungen; wenn wir uns entweder rein waschen wollen mit dem Selbstlob: „Wir meinen es ja so böse nicht, es ist das nur eine Gewohnheit“, oder, wenn wir den Fortschritt der jetzigen Bildung darin sehen, dass wir dieselben Laster der Vorfahren in einem fort begehen, aber sie mit anderen Namen taufen, und es bei uns keinen Geiz mehr gibt, sondern nur Sparsamkeit, keine Verschwendung mehr, sondern nur Freigebigkeit, keinen Müßiggang mehr, sondern nur Schonung unserer Kräfte, keine Verleumdung mehr, sondern nur gerechten Tadel, und wir die Lügen erlaubte Scherze, die Schmeicheleien feine Lebensart, die Ausschweifungen rechtmäßigen Lebensgenuss, die Sünden gegen das sechste Gebot kleine Schwachheiten, Wucher und Betrug unerlässliche Spekulationen nennen?
Schauen wir uns im Leben, im täglichen Handel und Wandel um, Andächtige, so erkennen wir mit wahrem Schrecken, wie weit, wie allgemein verbreitet diese Entschuldigungssucht ist. Wir gewahren, dass jedes Alter seine besonderen Ausreden wieder hat; die Jugend spricht: „Jugend hat keine Tugend, die Jugend muss erst austoben und sich die Hörner ablaufen, man muss das Leben genießen, so lange man jung ist, die bösen Tage und das Alter kommen doch noch zeitig genug“; und das Alter spricht: „Alter schützt vor Torheit nicht“. Weiter, hat wieder jeder Stand seine Entschuldigungen; böse Prediger sprechen: Wir sind ja auch Menschen und keine Engel; weltliche Personen dagegen berufen sich zur Rechtfertigung ihres Sinnes und Wandels darauf: Wir sind ja seine Geistlichen. Hofleute sprechen: am Hofe müsse man mitmachen, wenn man nicht ausgelacht sein wolle; Kaufleute sprechen: Ein wenig lügen und betrügen schadet nicht; sagt doch schon Sirach: Ein Kaufmann kann sich schwerlich hüten vor Unrecht und ein Krämer vor Sünden (26,28, 27,3.); Offiziere sprechen: das Duell sei keine Sünde, das bringe einmal die Standesehre mit sich. Es gibt sogar nichts Gutes, keine Tugend, keine Pflicht, deren Versäumnis nicht auf alle Weise entschuldigt würde. Gleichwie es im Evangelium vom reichen Abendmahl von den Geladenen heißt: „Sie fingen alle nach einander an, sich zu entschuldigen“, so hört man noch unaufhörlich die Abweisungen: „Es ist nicht möglich, man kann nicht so heilig leben, das ist zu viel verlangt, wir sind einmal Alle schwache Menschen“; oder: „Ich brauche es auch nicht, ich bin schon ein braver, ehrbarer Mensch, Keiner kann mir etwas Böses nachsagen, ich bin im rechten Glauben geboren und erzogen, bete täglich meinen Morgen- und Abendsegen, gehe oft zur Beichte und zum Abendmahl, sonntäglich in die Kirche“; oder: „Man kann doch nicht immer beten und singen, ich will mich bekehren, wenn ich alt oder krank werde, wir glauben Alle an einen Gott, wir hoffen Alle, selig zu werden, leben und leben lassen!“ - Es gibt endlich keine Sünde, die nicht ihre eigenen Feigenblätter und Entschuldigungen aufwiese. Habt ihr nie Diebe sagen hören: „Not kennt kein Gebot, Not bricht Eisen, Eigentum ist Diebstahl, wer von mir bestohlen ist, ist reich genug, er kanns entbehren“? Habt ihr noch nie aus dem Mund der Sabbatschänder das Wort vernommen: „Herrendienst geht vor Gottesdienst; was habe ich davon, dass ich in die Kirche gehe? Erst Brot, dann Wort; wes Brot ich esse, des Lied ich singe“? Ist euch noch nie die Lieblosigkeit begegnet mit der Rede im Mund: „Wie du mir, so ich dir; wie man in den Wald hineinschreit, so schallt es auch wieder heraus, er hat es mir auch gar zu arg gemacht; wenn man sich Alles gefallen lassen will, werden sie endlich Einen noch mit Füßen treten“? Habt ihr nicht Trunkenbolde, Wollüstlinge, Betrüger sich entschuldigen hören: sie seien nicht die Ersten, sie würden auch nicht die Letzten sein? Eigentlich machen wir es in allen Stücken geradezu wie die blinden Heiden. Als Johannes Arabini, der Häuptling und erste Christ unter den Buschnegern in Südamerika, seinem heidnischen Volk einmal vom Weltgericht erzählte, dass Christus wiederkommen werde, sie allzumal zu richten, und sie fragte: was dann aus ihnen werden solle? da waren seine Landsleute schnell mit der Antwort fertig: dann laufen wir in den Busch. Jede neue Entschuldigung unserer Sünden ist ein neuer Busch, hinter den wir uns verbergen wollen. Wir wissen recht gut, dass das kindisch und lächerlich ist und uns gar nichts hilft, wir sind auch schon bei unseren Ausflüchten so oft ertappt und Lügen gestraft worden; dennoch tun wir es immer wieder und können es nicht lassen. Warum können wir es nicht lassen? Warum fallen wir immer wieder in denselben törichten Fehler? Unser Stolz und unsere Eigenliebe hindern uns, uns schuldig zu geben und ehrlich zu demütigen, und verstricken und immer tiefer in dem Groll und Trotz unseres Herzens. Wir wollen aus der guten Meinung Anderer nicht heraustreten und von der Höhe, die wir einmal in ihren Augen einnehmen, nicht herabsteigen; wir wollen den Schein wenigstens retten, als seien wir nicht so böse, als wofür man uns hält, und wir meist in der Tat auch sind; wir wollen durchaus nicht unrecht getan oder gehandelt haben und scheuen uns gegen die wohlverdiente Strafe; und um dieser zu entgehen und unseren guten Namen auch ferner in Anerkennung zu erhalten, greifen wir nach allen Möglichkeiten und versuchen es mit einer Selbstrechtfertigung nach der andern, sollte sie auch noch so unwahrscheinlich und unglaublich sein. Man möchte fast die Behauptung wagen: Das halbe Leben der meisten Menschen ist Sündigen und Fehlen, und die andere Hälfte ist Entschuldigen und Beschönigen.
II.
Die Tatsache steht also fest: Adams und Evas Entschuldigungen leben und wirken fort in den unsrigen. Was müssen wir davon sagen? Wir müssen sie verabscheuen und meiden, wenn wir uns nur recht klar machen ihre ganze Teufelei, sowohl in ihrem eigentlichen Wesen, als in ihren bedenklichen und entsetzlichen Folgen.
Denn was verrät jede Entschuldigung, die feine, wie die grobe? Offenbar die größte Unwahrheit und Unaufrichtigkeit des Charakters, jenen Teufelssinn, von dem Jesus sagt, dass er lüge und morde von Anbeginn. Jede Entschuldigung lügt, sie belügt sich und Andere, und zwar absichtlich und frech. Sie weiß es recht gut, dass die Sache sich anders verhält, und doch behauptet sie, sie sei so, wie sie nicht ist, nicht selten mit hinzugefügten Beteuerungen. Sie erkennt ihr Unrecht, aber sie will es nicht bekennen. Sie sieht in dem Spiegel ihr Bild; aber sie will besser aussehen, als sie in der Tat aussieht, und so verwandelt sie ohne Weiteres Schatten in Licht, Böses in Gutes. O, welche Zweideutigkeit und Falschheit des Wesens, welche Ehrlosigkeit und Wegwerfung seiner selbst! Welcher Widerspruch zwischen Sein und Seinwollen, Wissen und Wissenwollen! Wahrlich, jede Entschuldigung ist so recht eigentlich Satans-Strick und Satans-Werk, eine grauenhafte Ausgeburt der Hölle und ein täglicher Beweis der ungeheuren Macht, welche die bösen Geister fortwährend in den Herzen der Menschen ausüben, und wie die ganze Welt im Argen liegt! Und nun erst ihre Folgen.
Zunächst erreicht die Entschuldigung nicht, was sie beabsichtigt, sondern stürzt sich vielmehr unaufhaltsam in das Gegenteil hinein. Was beabsichtigt jeder Mensch nämlich, wenn er sich entschuldigt? Er möchte dadurch gern vor den Augen der Menschen als unschuldig erscheinen und straflos ausgehen. Aber trifft das ein? Mitnichten! Ein altes Sprichwort lehrt: Wer sich entschuldigt, klagt sich an. Und ist das nicht mehr oder weniger immer der Fall? Finden die Entschuldigungen den Glauben, den sie wünschen, oder stoßen sie nicht fast jedes Mal gleich von vorn herein auf Misstrauen und Argwohn? Als Adam sich rechtfertigen wollte: „Das Weib gab mir von der Frucht und ich aß“, lag nicht die Frage nahe: aber warum warntest du nicht dein schwaches Weib, und wenn das nicht ging, warum bemitleidetest du sie nicht? warum nahmst du aus ihrer Hand, was von Gott verboten war? Bewiesest du dadurch nicht, dass du noch schwächer warst, als sie? Als Eva fortfuhr: „Die Schlange betrog mich also, dass ich aß“, lag nicht wiederum die Frage nahe: Aber warum ließt du dich von ihr betrügen? hattest du nicht Einsicht und Willenskraft genug, ihr zu widerstehen? Wenn unter uns ein Sabbatschänder sich entschuldigt: ich habe keine Zeit, wer glaubt es ihm? Liegt doch die Antwort gar nahe: hättest du rechte Lust, so hättest du auch Zeit. Oder wenn gewissenlose Eltern ihre Kinder im höchsten Grad unregelmäßig in die Schule und zum Prediger schicken, und als Grund ihres Ausbleibens anführen: Das Wetter war zu schlecht, der Weg zu weit, sie hatten nichts anzuziehen, wir brauchten sie in unserem Geschäft, welch tiefblickender Prediger oder Lehrer lässt diese Ausreden gelten? Wohl ist ein Unterschied unter den Sünden und es gibt auch bei der Verschuldung mildernde Umstände, wie z. B. wenn jemand wirklich nicht gewusst hat, dass das Unrecht war, was er tat, sondern es für erlaubt und recht hielt, oder wenn er aus Übereilung, Ratlosigkeit, Menschengefälligkeit sich fortreißen ließ; aber gerade die das tun, klagen dann auch über ihr Vergehen, beweinen und bereuen es, und geloben Besserung, denken jedoch nie daran, sich zu rechtfertigen und zu verteidigen. Wer sich entschuldigt, klagt sich daher allemal an, rettet nicht seine Ehre, sondern vermehrt seine Schande, reinigt sich nicht von Anklage und Schuld, sondern verunreinigt sich nur um so mehr. - Gelingt es ihm aber nicht einmal, die Schuld von sich abzuwälzen durch seine Ausreden, so noch viel weniger, sich von der verdienten Strafe zu befreien. Ober ging Adam vielleicht straflos aus, weil Gott zu seiner Entschuldigung schwieg? Im Gegenteil, bald darauf erklang das furchtbare Urteil über seine ganze Zukunft auf Erden: „Verflucht sei der Acker um deinetwillen, mit Kummer sollst du dich darauf nähren dein Leben lang; Dornen und Disteln soll er dir tragen, und sollst das Kraut auf dem Felde essen. Im Schweiß deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis dass du wieder zur Erde werdest, davon du genommen bist“. Oder ging Eva ungestraft fort von Gottes Angesicht? Wir kennen das Fluchwort, das alsbald ertönte und sich erfüllt hat fort und fort an ihren Töchtern: „Ich will dir viele Schmerzen schaffen, wenn du schwanger wirst, du sollst mit Schmerzen Kinder gebären, dein Wille soll deinem Manne unterworfen sein und er soll dein Herr sein“. Die Strafe wird nur um so größer, je länger und je mehr sich der Mensch entschuldigt. Wenn ein Kind offen und reuig sein Vergehen den Eltern oder Lehrern gesteht, so freuen sie sich über seine Aufrichtigkeit und Reue, richten seinen Mut wieder auf durch freundliches Zureden und erlassen ihm die Strafe; wenn es aber sein Vergehen beschönigt und leugnet, so bleibt die Strafe niemals aus, ja, sie wird in der Regel verstärkt um der Sünde und um der Entschuldigung willen. Nicht oft genug können wir uns das salomonische Wort merken: „Wer seine Missetat leugnet, dem wird es nicht gelingen, wer sie aber bekennt und lässt, der wird Barmherzigkeit erlangen.“
Die Entschuldigung hilft dem Sünder also nichts, sie macht ihn weder schuld- noch straflos; was aber viel schlimmer ist, sie schadet ihm augenscheinlich, denn sie trennt die Menschen von den Menschen und die Menschen von Gott. Ihr seht es an Adam. Beginnt etwa seine Entschuldigung mit ich, worauf es bei Gottes Anklage doch allein ankam? Er beginnt mit einem andern Namen. Sagt er: Mein Weib? Nein, er spricht: Das Weib, das Du mir zugesellt hast; kalt und lieblos redet er von ihr, wie von einer Fremden, die ihn nichts angeht. Sie ist nicht mehr Fleisch von seinem Fleisch und Bein von seinem Bein. Er trennt jetzt seine Sache von der des Weibes, um die Strafe allein auf sie zu lenken. Seht, so trennt die Sünde der Entschuldigung die Menschen von einander. So scheidet sie die Ehen. So sät sie Zwietracht in die zartesten und innigsten Verhältnisse. So reißt sie Mann und Weib, Eltern und Kinder, Freunde und Freunde von einander. So vergiftet sie die Nächstenliebe in ihrem innersten Grund. So sehr sich anfänglich Adam über sein Weib als seine Gehilfin gefreut und geweissagt hatte, dass der Mann Vater und Mutter verlassen und an seinem Weib hangen werde, so missvergnügt ist er jetzt über sie und fragt sie an als die Urheberin seines Unglücks und Falles. Wie? Erleben wirs nicht noch alle Tage, dass zwei Verbrecher sich zu einander halten, als ob sie die besten Freunde wären, kommen sie aber vor den Richter, sucht nicht da Jeder den Andern aufs Zuchthaus zu bringen, um seine eigene Haut zu retten? Endlich: „Das Weib, das Du mir zugesellt hast“: ists nicht der schwerste Undank, der die Schuld sogar auf Gott wirft und sich und sein Heil von Gott trennt? der im Trotz sogar Gott zur Rede stellt und zum Urheber der Sünde macht? Dann Gott solchen Undank und solchen Frevel gleichgültig mit ansehen? Muss Er sich nun nicht auch vom Menschen trennen und ihn verlassen, wie der Mensch sich von ihm getrennt und Ihn verlassen hat? Aber was ist Alles enthalten in dem Wort: Gott trennt sich von uns, Er verlässt uns! Ist ohne Ihn und außer Ihm noch Heil und Rettung, Friede, Beruhigung, Seligkeit möglich? Wird ein solcher sich selbst rechtfertigender Sünder nun nicht immer verhärteter und verstockter werden, immer mehr Wohlgefallen an seinen Sünden finden, immer weniger die vorhandenen Gnaden- und Besserungsmittel brauchen, immer stärker die Stimme des Gewissens zum Schweigen bringen, immer fester sich hineinlügen in den Wahn: Was soll ich noch mein Herz reinigen? es ist ja schon rein. Was soll ich noch in die Kirche gehen? ich weiß ja Alles schon besser. Was soll ich noch beten? ich kann ja doch dadurch nicht besser werden, als ich schon bin. Was soll mir alle jene vorgebliche Arznei? mir fehlt ja nichts. O welch wachsender Hochmut, welche Sicherheit, welcher unendliche Abgrund, welches zukünftige Strafgericht des allgerechten Richters, das sich Schritt vor Schritt entwickelt und vergrößert!- Wer immer in schlechter Luft sich bewegt, der weiß zuletzt nicht mehr, dass sie schlecht ist: so kennt der Sünder von Profession zuletzt seine Sünde nicht mehr.
Nun sagt selbst, Geliebte, ist die Sünde, sich zu entschuldigen, nicht das größte Hindernis im Guten, nicht ein wahres Bollwerk der Hölle? Der Übel größtes ist die Schuld, sagt unser deutscher Dichter; aber Entschuldigung ist noch schlimmer, ist das allergrößte aller Übel. Wollt ihr daher, ihr Alle, Große und Kleine, Alte und Junge, sie nicht zunächst an euch selbst von Grund des Herzens verabscheuen, fliehen, verfluchen, und mit ihrem Grauen und Entsetzen verdammen? Oder warum wolltet ihr euch noch jemals entschuldigen? „Etwa weil ihr euch schämt, eure Schande zu sagen?“ Habt ihr euch nicht geschämt, zu sündigen, wie könntet ihr euch schämen, zu bekennen; nur durch solche Demütigung hebt ihr die Schande eurer Sünde auf. Jede Entschuldigung ist selbst eine falsche. Scham, deren ihr euch werdet wieder schämen müssen am Tage des Gerichts. lieber zweimal, als dreimal, lieber freiwillig als gezwungen sich schämen müssen! Oder warum wolltet ihr euch noch entschuldigen? „Weil ihr die Strafe fürchtet?“ lieber hier gestraft und vergeben, als dort ewig gestraft und nie vergeben! Kennt ihr den Vers:
Solls ja so sein,
dass Kreuz und Pein
auf Sünden folgen müssen,
so fahr hier fort
und schone dort,
und lass mich hier wohl büßen?
Paulus sagt: „Wer sich selbst richtet, d. h. nicht bloß anklagt, sondern verurteilt und bestraft, der wird nicht gerichtet werden“. - Und warum wolltet ihr nicht der Wahrheit die Ehre geben und eure Schuld bekennen? Die Vorteile solcher aufrichtigen Selbstverurteilung sind unermesslich. Denn je strenger ihr gegen euch selbst seid, desto milder werdet ihr gegen Andere werden, ihre Fehler entschuldigen, Gutes von ihnen reden und Alles zum Besten kehren, und darum mit allen Menschen, soviel an euch ist, Frieden haben. Ja, je mehr ihr euch beschuldigt, desto mehr entschuldigt euch der Herr; was sage ich: entschuldigt? - desto mehr rechtfertigt Er euch, spricht euch von aller Schuld und Strafe frei und erklärt euch für unschuldig und gerecht um Seines Sohnes Jesu Christi willen. Summa: Entschuldigung kommt vom Teufel, Beschuldigung vom heiligen Geist; Entschuldigung entspringt aus Hochmut, Beschuldigung ist die Tochter der Demut; Entschuldigung ist Lüge, Beschuldigung Wahrheit; Entschuldigung macht das Herz immer schlechter, Beschuldigung immer besser; Entschuldigung führt in die Hölle, Beschuldigung in den Himmel. Es bleibt bei Johannes Wort: „So wir sagen, wir haben keine Sünde, so verführen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns; so wir aber unsere Sünde bekennen, so ist Er treu und gerecht, dass Er uns die Sünde vergibt und reinigt uns von aller Untugend (1 Joh. 1,8.9.).“ Amen.