1. Mose 16,7
Andachten
Aber der Engel des Herrn fand sie bei einem Wasserbrunnen in der Wüste, nämlich bei dem Brunnen am Wege zu Sur. Der sprach zu ihr: Hagar, Sarai Magd, wo kommst du her, und wo willst du hin? Sie sprach: Ich bin von meiner Frau Sarai geflohen.
Woher und wohin? so fragte der Engel des Herrn in der Wüste die Hagar, die gar Manches auf dem Gewissen hatte. Woher und wohin? sollten wir uns auch fragen, wenn wir wiederum ein halbes Jahr hinter uns haben. Was haben diese sechs Monate Gott eingebracht? an ihn haben wir zuerst zu denken; denn wohin gerate ich, wenn ich etwa nur für mich lebe? Die Vergangenheit sollten wir immer in unsere Zukunft stellen, um zu einer rechten Gegenwart zu kommen. Die Selbsteinkehr ist eine so seltene Sache, und doch hängt davon unser ganzes Leben ab. Welch ein Sündenregister, wenn man wiederum sechs Monate, an denen nichts mehr zu ändern ist, betrachtet! Und ebenso welch ein Reichtum von Geduld, Güte und Langmut! soll uns nicht wenigstens diese Jahreshälfte zur Buße rufen? Die Jahre fliegen immer schneller vorüber, und werden immer ernster, je näher sie uns der Ewigkeit bringen. Einer fragt oft den Andern: Wo gehst du hin? was hast du vor? aber an die Ewigkeit wird nicht gedacht, und doch werden wir uns in jener Welt weit länger aufhalten müssen als in dieser. Ist es leichtsinnig, eine Reise zu unternehmen, ohne die Kosten zu überschlagen, so ist es noch leichtsinniger, der Ewigkeit entgegen zu fliegen, ohne etwas Gewisses zu haben. Werke, Entschlüsse, fromme Wünsche, sanguinische Hoffnungen nehmen ein schauerliches Ende vor Gottes Richterstuhl. Vor Gott gilt nur eines: eine neue Kreatur. Ist in diesem Halbjahr etwas Neues in mich gekommen, etwas Entscheidendes? Christus kommt Jedem zu Hilfe, aber nicht Alle wenden sich an ihn. Viele sind berufen, aber Wenige sind auserwählt. Den Einen gilt Christus gar nichts, Andern etwas, Wenigen Alles. Und doch haben nur diese Frieden mit Gott und eine gewisse Hoffnung des ewigen Lebens. Nur diese wissen, wohin sie gehen und woher sie kommen. Ich weiß, an wen ich glaube, sagt Paulus; dieses Wissen ist auch ein Haben; wer weiß, was er an Christo hat, nur der glaubt an ihn. Dieser Besitz überdauert dann jeden andern, und entschädigt auch für alles in den sechs letzten Monaten Verlorene. Man kommt nicht leicht durch ein halbes Jahr hindurch, ohne wiederum ein Opfer, vielleicht ein schweres, hinter sich zu lassen. Wer aber Christum hat, den Lebendigen und Lebendig machenden, bei dem heißt Verlieren Gewinnen. Da fällt das Zeitliche ab, als eine Last, und das Ewige nimmt den leeren Raum ein. Christus will Alles in Allem sein, nur so ist das Woher? und das Wohin? verstanden worden. (Friedrich Lobstein)