Wir fehlen alle gar mannigfaltig.
Apostel reden von mannigfaltigen Fehlern, Propheten und Männer nach dem Herzen Gottes, sprechen von Missetaten und unerkannten Sünden. So fühlt denn alles, was im sterblichen Fleische lebt, Sünde und Missetat, und ist keiner rein unter der Sonne. Es ist daher wohl sträfliche und gefährliche Unwissenheit oder Unachtsamkeit, wenn ein Mensch sein Herz und seinen innern Sinn so wenig beobachtet, dass er sich fehlerfrei und rein dünkt. Wer wird einen Reinen finden unter den Unreinen? sagt Hiob 14,4. Ein solcher ist blind und tot, und tappt im Finstern. Er rühmt sich zu seinem eignen Schaden mit eitlem Selbstbetrug seiner Gerechtigkeit. Wer aber Fehler sieht, und mit Gleichgültigkeit an sich duldet, sich getrost berufend auf diese Bibelsprüche, der kennt den Sinn der Apostel und Propheten nicht; die wohl zu ihrer Demütigung, aber nicht zur Einschläferung, nicht zur falschen Sicherheit, nicht zum Troste der Faulen so redlich ihre Fehler bekannten. Wer redlich strebt, fehlerfrei zu werden, dem sei es ein Trost und eine Beruhigung, aber kein Kissen der Trägheit. Mache dich los, sagt ein anderer Prophet, und das sagen im Grunde alle, mache dich los, überwinde die Sünde durch die Gerechtigkeit, durch die Kraft, die dir in Jesu Christo dargereicht wird, umsonst und aus Gnaden; nicht so umsonst, dass du sie, wie der faule Knecht, im Schweißtuche vergrabest, sondern dass du damit wucherst. (Johannes Evangelista Gossner)
„Wer aber in keinem Worte fehlet, der ist ein vollkommener Mann.“
Wer wagt das von sich selbst auszusagen! Kein Wort falsch, kein Wort vorschnell, kein Wort übertrieben, kein Wort lieblos - nein, solche Menschen findet man nicht. Wohl habe ich welche kennengelernt, die aus Angst, mit einem Wort zu fehlen, sich angewöhnt hatten, ganz still zu schweigen. Ist das richtig? Dann fehlten ihnen auch die freundlichen, tröstenden, bekennenden, werbenden Worte. Nun, dann ist dieser Ausspruch nur zu unserer Demütigung geschrieben. Aber Sündenerkenntnis allein bessert noch nicht; sie lähmt sogar, wenn sie allein auftritt, alle Bemühung auf Änderung. Dasselbe helle Licht bestrahlt auch den einzigen, in des Munde kein Betrug erfunden und der in keinem Wort gefehlt hat: Jesus. Unsere Fehlerhaftigkeit und seine Reinheit muss zusammengebunden werden durch den Glauben, dass er gekommen sei, um uns von der Sünde zu scheiden. Beide Stücke sind nun notwendig: Erkenntnis meines Mangels und Nähe seines Reichtums. Das kann eine Hilfe werden. Denn Zunge und Herz gehören zusammen: die Zunge kann nicht gereinigt werden, wenn das Herz nicht anders wird.
Lieber Herr Jesus! Nimm dich unserer Armseligkeit und Schwäche an! Vergib unsere bösen Worte und lege uns statt dessen deine Worte in den Mund. Lass im Grunde unserer Seele, von innen heraus, die Genesung durchbrechen, bis wir dir ganz gehören mit Herz und Mund! Amen. (Samuel Keller)