Mir ist es ein Geringes, dass ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Tage; auch richte ich mich selbst nicht. Ich bin mir wohl nichts bewusst; aber darinnen bin ich nicht gerechtfertigt. Der Herr ist es aber, der mich richtet.
Tief beschämt sehe ich zu Paulus auf. Ein Wirken, das keinen Flecken in das Gewissen legt, eine Arbeit, die durch ein langes Leben hindurch fortgesetzt wird und nicht bloß dem menschlichen Urteil ohne Furcht gezeigt werden kann, sondern sich auch im Urteil des eigenen Gewissens als rein erweist, das hat einzigartige Größe und ist so schön, dass es uns fast unglaublich scheint. Aber diese Schönheit zerränne und verwandelte sich in ein hässliches Bild, wenn Paulus mit Bewunderung sich selbst beschaute und mit dem Freispruch, den sein Gewissen ihm gewährt, zufrieden wäre. Er fährt aber fort und erklärt, dass er damit nicht gerechtfertigt sei. Dass wir versuchen, uns selbst zu rechtfertigen, das hieß Paulus Sünde und an dieser Sünde beteiligt er sich nicht. Sein eigenes Urteil gilt nichts; denn das des Christus allein entscheidet. Er steht ja in Dienst Jesu und arbeitet nicht für sich, sondern für ihn. So hat auch einzig Christus die Macht und das Recht, über ihn zu urteilen und zu erklären, dass er seinen Knecht lobe und sein Werk heilige als in Treue getan, wie sie von dem gefordert wird, der das Gut seines Herrn zu verwalten hat. Dächte er anders, machte er aus seinem guten Gewissen seine Gerechtigkeit, wie könnte er noch mit Freude auf sein Wirken sehen? Dann hätte er den Standort des Glaubens verlassen und sich auf sich selbst zurückgebeugt, um sich in sich den Stützpunkt zu bereiten, der ihm den festen Stand gewähren soll. Dann hätte er, während er doch den anderen Jesus als ihren Herrn verkündigte, sich selbst dem Herrn entzogen, für sich gearbeitet und sich an die Stelle Jesu gesetzt. Hätte ich Recht, wenn ich sagen würde, es sei schwer, in dieser Stellung zu verharren, und es sei kaum begreiflich, dass Paulus das ausgehalten habe, ohne wund zu werden? Würde ich es hart heißen, dass wir uns nicht die Rechtfertigung bereiten können, weder aus dem Zeugnis des Menschen noch aus dem Lob unseres eigenen Gewissens, so hätte ich wieder vergessen, was der Glaube ist und wo er uns den Ort vor Gott anweist. Wie könnte Paulus deshalb wund, schwach und geängstigt sein, weil einzig Jesus ihn rechtfertigen kann? Er glaubt ja an seinen Herrn und kennt seine Gnade. Dadurch erweist er sich als gläubig, dass er nichts als gültig ehrt als allein das Urteil Jesu. Indem er sich nicht nur über das Urteil der anderen, sondern auch über sein eigenes Gewissen erhebt, bleibt er bei dem Satz, dass es keine Gerechtigkeit für uns gebe als den Glauben allein, und diesen Satz hieß Paulus den köstlichen Kernsatz des seligmachenden Evangeliums.
Mache mich frei, Herr, dass ich nicht auf das Urteil der Menschen lausche. Wende mich zu Dir, damit ich nicht selber den Wert meines Lebens messe und die Frucht meiner Arbeit festzustellen suche. Auf Dein Urteil zu warten, ist Freude und Friede; denn ich weiß ja, dass Du gnädig bist. Amen. (Adolf Schlatter)
Ich richte mich selbst nicht, der HErr aber ist’s, der mich richtet.
Bei den Korinthern wurde die Frage aufgeworfen, ob Paulus oder Kephas, oder Apollo der teuerste Mann Gottes sei, und die Beantwortung dieser Frage trennte die Gemeinde in verschiedene Parteien. Paulus sah den Schaden, der ihr aus dieser Trennung erwachsen war, und gab sich deswegen Mühe, sie wieder zu vereinigen. Aber wie? durch Verkleinerung Anderer, und Erhebung seiner selbst? Nein; dafür, sagte er, halte uns Jedermann, nämlich für Christi Diener und Haushalter über Gottes Geheimnisse, nun sucht man nicht mehr an den Haushaltern, denn dass sie treu erfunden werden, V. 1.2. Mehrere, ja alle Diener Gottes kommen in Ansehung ihres Berufs und ihrer Bestimmung mit einander überein, aber in Ansehung ihrer Gaben und ihrer inneren Vorzüge nicht; jedem liegt aber ob, dass er mit seinen anvertrauten Talenten wuchere für den HErrn, der ihn gedungen hat. Aber das Maß der Treue, oder die inneren Vorzüge des einen gegen den andern bestimmen, das ist etwas, das nicht Menschen, sondern Gott allein, der Herzen und Nieren prüfen kann, Ps. 7,10., zusteht. Paulus wollte deswegen nicht sich selbst richten, keine genaue Vergleichung zwischen sich und Andern anstellen, nicht seine Verdienste gegen die Verdienste Anderer abwägen. Er konnte zwar von sich sagen, dass ihm Barmherzigkeit widerfahren sei (1 Tim. 1,13.), er war also seines Gnadenstandes gewiss, er konnte sich sogar, wenn sein Apostolisches Amt angefochten wurde, mit aller Freimütigkeit in die Reihe der hohen Apostel setzen, und seiner Leiden, die ihm die Verkündigung des Evangeliums zugezogen, und seiner göttlichen Offenbarungen rühmen (2 Kor. 11.). Er wusste, dass er auch bei dem größten Teil der korinthischen Christen bei einer Untersuchung seiner Verdienste nichts verlieren würde, und dass er vor einem jeden menschlichen Gerichtstag bestehen könne. Aber dadurch, sagt er, bin ich doch nicht gerechtfertigt. Das höchste und allein gültige Urteil ist dadurch noch nicht über mich gefällt. Ich will mich nicht selbst richten, richtet auch ihr nicht vor der Zeit, der HErr ist’s aber, der mich richtet. Der Beifall der Menschen war also durchaus nicht der Zweck seiner Handlungen, weil dieser doch nicht den Wert derselben entscheidet, auch setzte er sich selbst nicht zum Richter über Andere, weil er dies für einen Eingriff in die Rechte Gottes hielt, die außer Ihm Niemand ausüben konnte. Aber das war sein Augenmerk, dass er in seinem Beruf alle mögliche Treue bewies, um sich mit heiterer Zufriedenheit dem gerechten und gnädigen Urteil Gottes überlassen zu können. Wer sich rühmen will, der rühme sich des HErrn, denn darum ist Einer nicht tüchtig, dass er sich selbst lobt, sondern dass ihn der HErr lobt, 2 Kor. 10,17.18. Und das muss überhaupt das Augenmerk des Christen sein, dass er von dem HErrn gelobt werden möchte. Den Beifall der Menschen betrachtet er immer für eine zufällige Nebensache, und durchaus nicht für den Zweck seines Daseins und seiner Bemühungen. Treue ist er seinem Gott schuldig, und das Bewusstsein, diese ausgeübt zu haben, macht ihn unabhängig von dem Tadel oder Lob der Menschen; er wartet ruhig auf den Tag, da der HErr einem Jeglichen geben wird nach seinen Werken, Röm. 2,6. . (Magnus Friedrich Roos)
“Mir aber ist es ein Geringes, dass ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Tage; auch richte ich mich selbst nicht.“
Das hat mancher dem großen Apostel nachgesprochen, der weniger Grund dazu gehabt hat als er. Denn es gehört doch ein tadelloses Gewissen und ein unbeflecktes Herz dazu, seinen menschlich-befangenen, engherzigen Richtern mit einem solchen Wort entgegentreten zu können. Paulus lehnt sie alle im voraus ab. Aber dass er sich auch selbst nicht richten wolle, könnte befremdlich klingen, wenn man nicht aus dem folgenden Verse den Grund erfahre. Weil der Herr allein richtig seines Knechts Arbeit beurteilt und gerecht rechten wird, hat es nach beiden Seiten keinen besonderen Sinn, wenn Paulus von seinem eigenen Gericht viel abhängig machen wollte. Beurteilt er sich zu gut, dann könnte diese Selbsttäuschung ihm schaden - fällt seine Zensur in kleinmütiger Stunde zu schlecht aus, könnte er alle Lust zur Weiterarbeit verlieren. Gott ist größer als unser Herz. Wollen wir stets im Blick auf sein genaues, aber gerechtes Urteil leben und arbeiten, dann wird der Weg lichter und leichter. Für die Fehler und Schwachheiten, die uns unterlaufen, gibt es bei demselben Richter nur eine wundersame Vergebung, wenn er die Aufrichtigkeit des Herzens vorfindet. Lasst uns nicht nach Menschen uns richten, sondern nur auf Jesum schauen.
Herr Jesus, du bist uns zum Richter und zum Retter bestellt. In deinen Händen wollen wir bleiben. Mach du es mit uns nach deiner Güte und Treue. Verlass uns jetzt nicht in der Arbeit, damit wir dich nicht zu scheuen brauchen am Tage des Gerichts. Amen (Samuel Keller)