Es prüfe sich aber der Mensch selbst, dann esse er dieses Brot, und trinke diesen Kelch; denn wer unwürdig isst und trinkt, trinkt sich selbst ein Gericht hinein, weil er nicht unterscheidet den Leib des Herrn. Darum sind rc.
Die Selbstprüfung ist immer, täglich, stündlich nötig, am allerwenigsten aber soll man sie beim Genuss des heiligen Abendmahls versäumen oder verschieben auf gelegnere Zeit. Da ist sie durchaus unentbehrlich und so wesentlich notwendig, dass Leben und Tod, Segen und Fluch, Gnade und Gericht an ihr hängt und von ihr abhängt. Paulus schreibt dem ungeprüften oder unwürdigen Genuss, was ihm Eines ist, schwere Gerichte zu und weist auf Tatsachen und Beispiele seiner Zeit hin, wo der unwürdige Genuss Vielen leibliche und geistliche Schwäche, Krankheiten und selbst den Tod zugezogen hat. So züchtigt der Herr, die seinen, für sie in den bittersten Tod hingegebenen Leib, sein für sie teuer vergossenes Blut ungeprüft, leichtsinnig, unwürdig genießen, die seinen Leib von einer gewöhnlichen irdischen Speise nicht unterscheiden. Hole dir also keine Krankheit, iss nicht Tod und Gericht beim Abendmahle, denn das kannst du eben so leicht da finden, als das Leben und die Seligkeit. Für Kranke ist die gesunde Speise nicht, sie macht sie noch kränker, elender und kann gar töten. Die Kranken dürfen keineswegs essen, was die Gesunden essen; was den Gesunden zur Gesundheit, Nahrung und Stärkung dient, wird den Kranken, wenn sie es in ihrem Zustande genießen, Gift und Tod. So hüte dich denn, dir die Speise des ewigen Lebens, das göttliche Brot, das himmlische Manna durch deinen Leichtsinn und Frevel in Gift und Fluch, Gericht und Hölle zu verwandeln. Prüfe dich, erforsche dich, bete um Licht und Erkenntnis deiner selbst; bekenne die erkannten Sünden Gott und deinem beleidigten Nächsten; mache das gegebene Ärgernis gut, so viel du kannst, und gib doch wenigstens nicht neues Ärgernis, dass du bei einem leichtsinnigen, unordentlichen Wandel doch dem heiligen Tische dich näherst. Versöhne dich mit Gott, mit deinem Nächsten und mit deinem eignen Herzen. Suche Frieden in dir und außer dir herzustellen, und zeige unzweideutig, dass du Reue, Buße, Glauben und Besserung fest im Sinne habest. Zeige, dass du wissest und fühlest, wem du dich näherst - dem, der Augen hat wie Feuerflammen, und Nieren und Herzen prüft und forscht; der da weiß was in dir ist, der alle verborgenen Anschläge deines Herzens kennt. (Johannes Evangelista Gossner)
Der Mensch prüfe aber sich selbst, und also esse er von diesem Brot, und trinke von diesem Kelch. Denn welcher unwürdig isst und trinkt, der isst und trinkt ihm selber das Gericht, damit, dass er nicht unterscheidet den Leib des Herrn.
Die Worte lauten sehr ernst, und in der Tat, sehr ernst sind sie auch gemeint. Aber was heißt denn „würdig“ und unwürdig“? Darüber ist viel Wirrwarr. Millionen laufen in Gedankenlosigkeit zum Altar. Nichts liegt ihnen ferner wie die ernste Selbstprüfung. Sie feiern das Abendmahl, weil es einmal so mit dazu gehört. „Man will doch auch ein guter Christ sein.“
Andere denken, darin bestehe die Vorbereitung, dass sie ein wenig fasten, ein ernstes Gesicht machen und in frommen Büchern lesen, Das während im Herzensgrunde nichts erschüttert wird. Auf der entgegengesetzten Seite stehen Solche, die zerquälen sich fort und fort, ob sie auch lauter und heilig und rein genug sein möchten, und kommen darüber zu gar keinem, oder doch zu keinem freudigen Genuss des heiligen Mahles. Aber solche Gesinnung ist, auf den Grund besehen, eine Beleidigung des Heilandes, der sich ja grade uns zur Heiligung und Erlösung geschenkt hat!
Wäre das „würdig“ so gemeint, dass allein die Heiligen oder nur die Beinah-Heiligen zum Tisch des Herrn treten dürften, dann hätten ja grade diese weder Heiland noch Abendmahl nötig. Dass wir uns an und für uns selbst als Nicht-Würdige, die aber Christus zur göttlichen Würdigkeit führen will, erkennen, darin grade besteht das Hauptstück unserer Würdigkeit.
Ist's nicht so? Wo sich's um Essen und Trinken handelt, da sind allewege die hungrigsten Gäste die willkommensten und würdigsten, denn sie sind die dankbarsten. So ist's im Leiblichen, so auch im Geistlichen. Jesus ruft: „Kommt her zu mir!“ Und wann hätte Er je Einen, der mit redlichem Herzen kam, abgewiesen? Wo hätte Er gefragt, ob der Kommende auch würdig, stark und weise genug sei? Wo untersucht Er das frühere Leben oder die Anfechtungen und Versuchungen des Herzens? Nicht wahr, ihm war genug, wenn einer nur zu ihm kam, Ihn nehmen und sich ihm geben wollte! Darauf hin nur sah Jesus die Leute an, ob sie wirklich mit Ernst Ihn suchten und von sich selber lassen wollten. So waren auch die Männer, denen er zuerst sein Mahl reichte. An allerlei Schwachheit und Anfechtung des Fleisches, an Torheiten, Leidensscheu, Eitelkeit fehlte es bei ihnen nicht. Grade die Nacht, da Jesus verraten ward, machte das in trauriger Weise offenbar. Aber sie waren allen, erkannten und unerkannten, Sünden von Herzen Feind. Sie konnten dem Herrn, der da sagte: „Ich für euch,“ getrost antworten: „und wir ganz für dich“.
Bist du wirklich ein Jünger Christi, so ist dieser Sinn auch in dir: „Wie du, o Jesu, für mich, so möchte ich für dich sein“. Sollte das auch zu viel verlangt sein? Wie tief bewegt es uns, wenn wir hören, dass irgend ein Mensch, dem wir Gutes bewiesen, seine Person für uns einsetzte, indem er uns gegen harte Angriffe verteidigte und Spott und Hohn auf sich nahm, um uns vor Verleumdung und Verspottung zu retten und unsere Person zu decken! Oder, wenn so Einer im Stillen hinging und die Schulden bezahlte, wozu uns die Mittel fehlten, die uns zerdrückt hätten? Wie bewegt uns solche Aufopferung das Herz, und vollends, wenn wir jenem immer kalt und herzlos begegnet waren, und vollends, wenn auch Ihm sein Tun sehr sauer wurde! - Wie brennt uns das innerlich! Wie flammt in uns das Verlangen, dass wir uns diesem Mann, der mit seiner Person, Mitteln und Kräften für uns in den Riss trat, nun auch völlig hingeben möchten! Wende das an auf den Heiland, der sich nach Leib und Seele, unter tausend Tränen und Ängsten, Martern und Schmerzen gänzlich für dich geopfert hat, um dich auf ewig, und zwar nach Leib und Seele, aus der tiefsten Verderbtheit und Unglückseligkeit zur höchsten Lebensherrlichkeit zu führen. Glaubst du dies? Glaubst du es nicht, ringst du nicht wenigstens danach, es glauben zu können, - so kannst du freilich nicht zum Tisch des Herrn treten; das Sakrament ist dir noch ein versiegelter Brief. Glaubst du es aber, so muss auch in deinem Herzen flammen: -, Herr, so wie du für mich, so ich für dich; nicht mehr der Sünde lebe ich, ob ich auch zu meinem tiefen Leidwesen noch oft hineinsinke, sondern dir, nicht mehr für mich lebe ich, nicht mehr für die Welt, sondern für dich, der für mich gestorben und auferstanden ist. Ja, du sollst der Herr meines Lebens sein. Aber Geduld musst du haben, viel Geduld. Kraft und Gnade musst du geben, viel Gnade, denn ich bin schwach und arm. Langsam war mein Fortschritt in der Heiligung, ja, oft schien es mir, als ob Alles zurückgehe. Schwer wird es mir, deine Wege meinen Augen wohlgefallen zu lassen und schier unüberwindlich ist mein Grauen vor dem Leiden. Aber ich möchte ganz für dich sein, du mein Erretter! Und weil ich für dich sein will, so will ich auch, wie du getan, für die Menschen leben, die mit mir zu einer Herrlichkeit berufen sind. Allen Neid, Hass und Unversöhnlichkeit will ich verdammen und Liebe säen und Frieden bringen, wo ich kann; aber Gnade und Kraft dazu musst du mir geben und auch darum komme ich zu dem Tisch, den deine Hand gedeckt hat“.
Nicht wahr, das ist eine einfache, einleuchtende Sache? Du darfst nur, wie ein Kind die Mutter liebt, so an deinen Heiland dich liebend schmiegen; das ist Alles. Wo lauteres Liebesverlangen ist, da ist auch Würdigkeit; denn die Liebe stößt Alles aus, 'was die Liebe hindert. Wo lautere Liebe ist, da ist auch Freudigkeit, denn die völlige Liebe treibt die Furcht aus. So entkleide denn deine Seele von aller Selbstgerechtigkeit und Unwahrhaftigkeit und dann springe herzu sonder Wanken und Zweifel; denn dir ist des Herrn Tisch gedeckt, hier unten und dort oben.
Gott 'gab uns Allen seiner Gnaden Segen,
Dass wir gehn auf seinen Wegen
In rechter Lieb' und brüderlicher Treue,
Dass uns die Speis nicht gereue.
Kyrie eleison!
Herr, dein heiligen Geist uns immer lass,
Der uns gab zu halten rechte Maß,
Dass dein arme Christenheit
Leb' in Fried und Einigkeit.
Kyrie eleison! (Otto Funcke)
“Der Mensch aber prüfe sich selbst“
Und das nicht nur vor dem Abendmahl! Es wäre viel häufiger nötig, dass wir den Maßstab des Wortes Gottes an unser inneres und äußeres Wachstum legten, den Herzschlag unseres geistlichen Lebens untersuchten und feststellten, ob die Blutwärme unserer Liebe normal sei. Man wächst im Geistlichen viel schneller schief und krumm als im Leiblichen, und merkt den Fehler viel schwerer. Leibliche Leiden pflegen durch ihr Signal, den Schmerz, sich spürbar anzuzeigen, dass man sofort aufmerksam wird und sich nach Hilfe umsieht, während geistliche Auswüchse jahrelang sich entwickeln können, und wenn keiner uns darauf aufmerksam macht, merken wir noch gar nichts. Und wie selten sind die treuen Freunde, die einem in besorgter Liebe solche Fehler sagen! Oft müssen Feinde mit ihrem bitteren Spott uns erst aufmerksam darauf machen, und wie weh tut dann beides: die Erkenntnis, dass sie recht hatten, und die Anstrengung, das Gewächs los zu werden. Daher prüfen wir uns an Gottes Wort! Wenn eine Ermahnung in den Worten Jesu oder in den Briefen der Apostel uns übertrieben vorkommt oder fast wehe tut, dann ist sicher bei uns etwas krank.
Du aber bist unser Arzt, Herr Jesu, der nicht nur prüft und Fehler anzeigt - du kannst sie auch heilen. Erbarm dich unser und lass uns nicht in Selbstverblendung dahingehen. Offenbare uns unsern Schaden und hilf uns. Amen. (Samuel Keller)