Danach, als Jesus wusste, dass alles vollbracht war, dass die Schrift erfüllt würde, spricht er: Mich dürstet. Da stand ein Gefäß voll Essig da. Sie aber füllten einen Schwamm mit Essig und legten ihn um einen Ysopen, und hielten es ihm dar zum Munde.
Jesus hatte nun, nach jener finstern Verlassungsstunde, in sich schon das Sieges-Gefühl und sah schon die Vollendung aller Dinge, die ewige Erlösung der gefangenen Menschheit, die Niederlage aller ihrer Feinde, und in diesem Bewusstsein spricht er: Mich dürstet. Wo nach? o Ewiger, auf den Aller Augen sehen, der du deine Hand auftust und sättigest Alles mit Wohlgefallen; der du in der Wüste Wasser, und Ströme in der Einöde geben willst zu tränken dein Volk, deine Auserwählten. (Jesaja 43,20.) Der du aus Wasser Wein gemacht und Wasser aus dem Felsen springen ließest, um die Durstigen, Menschen und Vieh, zu tränken; - der Regen aufs dürre Laub gibt, das Wasser im Meere zusammenhält, wie in einem Schlauch, der die Wasser mit der Faust misst; wonach dürstest du? Nach unserm Heile; nach der Seligkeit deiner Erlösten. Aber womit löschen sie deinen Durst? Du dürstest, und Essig ist deine Labung. Das ist wohl das wahre Bild, wie die Menschen ihrem Schöpfer und Erlöser danken und deine Wohltat vergelten. Wie vielerlei Getränke und Früchte, den Durst des Menschen zu stillen und ihn zu laben, hat er erschaffen! Ihm aber, da er nun dürstet für uns und an unsrer Statt, reicht man Essig. Aber so wollte er es, so stand es geschrieben. Dieser heiße Durst ist für uns ein unversiegbarer Brunnen, ein Strom des Lebens, eine Quelle der süßesten Labung geworden. Er, der gute Hirte dürstete so sehr, damit er seine Schafe auf grünen Auen weiden und zu frischen Wassern führen konnte. (Psalm 23,2.) Er, der Brunn des Heils versiegte für sich und dürstete, damit wir mit Freuden Wasser schöpfen könnten aus dem Heilbunnen. (Jesaja 12,3.) Er musste vom Durste gequält werden, damit er Alle einladen und sagen konnte: Wohlan, die ihr durstig seid, kommet her zum Wasser. (Jesaja 55,1.) Denn zu der Zeit (nach seinem Durste) werden frische Wasser fließen aus Jerusalem, aus Golgatha, wo der heiße Dürster litt und schmachtete. (Zach. 14,8.) Du musstest dürsten, damit du sagen könntest: Wer des Wassers trinken wird, das ich ihm gebe, den wird ewiglich nicht dürsten. Wer an mich glaubt, von des Leibe werden Ströme des lebendigen Wassers fließen. Ich will dem Durstigen geben von dem Brunnen des lebendigen Wassers umsonst. Ich will rein Wasser über euch sprengen. (Johannes 4,14. 7,38. Offenbarung 21,6. Hesekiel 36,25.) - Solche Wasser, solche Labung hat uns dein Durst bereitet. Wir trinken Alle von deinem Durste, dein Schmachten erquicket uns. (Johannes Evangelista Gossner)
Danach, als Jesus wusste, dass schon alles vollbracht war, dass die Schrift erfüllt würde, spricht er: Mich dürstet.
Wie schwer wird's uns, Den, der sich an uns vergangen, um einen Dienst zu bitten! Wir entbehren und darben lieber, als dass wir uns zu solcher Bitte herablassen; gehen lieber stumm an einander her. Und doch ist solch eine Bitte das beste Zeichen, ob du ganz vergeben hast; das beste Mittel, ohne Worte den Frieden herzustellen. - Und wie bald sind wir mit unserm Glauben und Vertrauen den Menschen gegenüber am Ende! Wie geneigt, uns nach bitteren Erfahrungen von ihnen abzusondern und unser Herz und unsere Not in uns zu verschließen. Lasst es uns an diesem Wort des sterbenden Erlösers lernen: Die Liebe glaubt Alles und hofft, wo nichts zu hoffen ist. Aber noch mehr als seinen Leib dürstet seine Seele. Ihn dürstet nach den Seelen der Menschen, nach ihrer Seligkeit und ewigen Rettung, nach ihrer Liebe. Danach hat ihn immer gedürstet, sein ganzes Leben lang. Danach hat ihn gedürstet, da er am Brunnen zu Sichem zu dem Weibe sprach: Gib mir zu trinken, mit dieser Bitte ihre verlorene Seele suchend. Danach hat ihn gedürstet, da sein brechendes Auge vom Kreuze über die abgefallene Welt suchend hinblickte, und wie wenige waren es, die diesen Durst ihm stillten! - Auch nach dir dürstet ihn, nach deiner Liebe, nach deiner Seligkeit. Lass ihn nicht länger dürsten, sondern ruf ihm voll Verlangen entgegen: Herr, wenn ich dich nur habe, frag ich nichts nach Himmel und Erde! Meine Seele dürstet nach dir, dem lebendigen Gott! O lösche du selbst in uns aus allen Durst nach der Welt Lust und Schätzen, und schenk uns ein recht heißes Dürsten nach deiner Gerechtigkeit, ein herzliches Verlangen nach deiner ewigen Liebe. Amen. (Adolf Clemen)
Danach, als Jesus wusste, dass schon Alles vollbracht war, dass die Schrift erfüllt würde, spricht er: Mich dürstet. Da stand ein Gefäß voll Essig. Sie aber füllten einen Schwamm mit Essig, und legten ihn um einen Ysop, und hielten es ihm dar zum Mund.
Ein englischer Arzt hat in einem eigens dazu verfassten Buch die mannigfaltigen Qualen eines Gekreuzigten beschrieben. Was dieser Fachmann darüber sagt, kann Einem wohl das Herz bewegen. Er bezeugt aber, dass unter all den Leiden des Gekreuzigten der verzehrende Durst, (der durch den Blutverlust entstehe,) das entsetzlichste sei. So nennt denn unser Heiland mit diesem einen Wort: „Mich dürstet“, die ganze bittere Qual, die er leiblicher Weise erduldet hat. Dank sei Ihm, dass Er auch das offenbarte. Er, der sonst mit keinem Laut über die leiblichen Leiden geklagt hatte, könnte uns sonst leicht als jemand erscheinen, der darüber erhaben war. Und wie unaussprechlich tröstlich ist es doch für uns, die wir so manches bittere Leibeswehe durchringen, - die wir uns auch, (die Einen mehr, die Anderen weniger,) so manchen Schnitt und Stich in unser Fleisch gefallen lassen müssen, wie tröstlich ist es uns, zu wissen, dass unser Heiland darin so ganz mit uns fühlen kann! - Ein Jünger Christi, der auf dem Schlachtfeld lag, zerschmettert, einsam, verlassen, aus tiefer Wunde blutend, litt auch verzehrenden Durst. Dennoch fand man sein Angesicht wie verklärt und er bezeugte seinem Rettern, dass ihm der gekreuzigte dürstende Jesus also vor Augen gestanden habe, dass er seiner Qualen schier habe vergessen können. So mag es aber bei Vielen gewesen sein, vornehmlich auch bei den Märtyrern, die, um des Namens Jesu willen, ihren Leib in Tod und Marter geben mussten. Und ob auch etwa dich, der du diese Blätter jetzt in Händen hältst, noch schweres Weh des Leibes treffen möchte, so gedenke Dessen, der hier: „Mich dürstet!“ ruft, der hier erlebt, was im 22. Psalm (V. 15 u. 16) auf Ihn geschrieben ist: „Ich bin ausgeschüttet wie Wasser; alle meine Gebeine haben sich zertrennt; … meine Kräfte sind vertrocknet wie ein Scherben und meine Zunge klebt an meinem Gaumen; und Du (o Gott) legst mich in des Todes Staub“. So hat auch ein alter Dolmetscher der Passionsgeschichte gar fein geschrieben: (Als Jesus rief: „mich dürstet“) „da hielten alle. kühlen Brunnen, die herabrieseln von der Höhe der Felsen, inne in ihrem Lauf und stürzten sich dann in die Tiefe, laut wehklagend, dass es ihnen nicht vergönnt gewesen sei, den Durst des Schöpfers zu stillen“.
Dennoch dürfen wir sagen, dass dieser klagende Schrei noch tiefer geht. Sollte Gregor von Nazianz nicht Recht haben, wenn er deutet: „Ihn dürstete nach unserem Durst“? Auch am Jakobsbrunnen dürstete Jesum nach leiblicher Erquickung; dennoch, wie bald vergaß Er, hart neben dem sprudelnden Quell, des leiblichen Durstes und des irdischen Wassers, um in der Seele des samaritischen Weibes den verborgenen Durst nach dem himmlischen Lebenswasser zu wecken! (Joh. 4.) Wie bald vergaß Er des Wassers, das Er zu trinken begehrte, über dem Wasser, womit Er tränken wollte!
Verstehst du wohl, dass diese Klage: „mich dürstet,“ ein Sehnsuchtsruf nach deiner Seele ist, lieber Leser, dass du möchtest aus der Irre in die Heimat kehren, dass du endlich, endlich die schreienden ewigen Bedürfnisse deines Herzens erkennen und aus dem Lebensbrunnen unter dem Kreuz Gnade um Gnade schöpfen mögest? Siehe Ihn doch an, „wie Er dürstend ringt um deine Seele, dass sie Ihm zu seinem Lohn nicht fehle!“ Und dann siehe dich an und sage dir ehrlich, dass du trotz aller Lust der Welt, trotz all der reichen Freuden des Lebens, trotz all der Erfolge, die dir in deinem Beruf vergönnt waren, dennoch innerlich arm und leer, unruhig und friedelos geblieben bist. Sei doch so ehrlich und nenne Armut, was Armut, Unfrieden, was Unfrieden ist, nenne „löchrichte Brunnen“ was löchrichte Brunnen sind, und erfasse die starke milde Hand, die auch dich zu Gottes Brünnlein leiten will.
Ach, die meisten Menschen gehen am Kreuz vorüber mit ihren Würden und Bürden, mit ihrer Freude und mit ihrer Verzweiflung und würdigen den Mann, der da verblutet und verdurstet und der nach ihnen dürstet, - keines Blickes. Sie hören hier nicht das Rauschen der Quellen Gottes, deren Trank ihnen ewige Jugend, unbesiegbare Kraft und unverwelkliche Schönheit geben kann und will. Ach Gott, und Herr, lass deines Kindes Flehen: „mich dürstet“, lass es, von Ewigkeitsposaunen getragen, mächtig tönen bis in den verborgensten Winkel der Erde hinein, bis in das verstockteste, verbittertste Menschenherz hinein. Gib du selbst Kraft und Nachdruck solchem Ruf, dass wir bald erleben, wie es sich reget in den Totengebeinen und ein großes Heer aufsteht, Alle mit dem einen Flehen auf ihren Lippen: „Gib du uns zu trinken, Herr Jesu Christe!“ (Otto Funcke)
Danach, als Jesus wusste, dass schon Alles vollbracht war, dass die Schrift erfüllet würde, spricht er: Mich dürstet.
Der Durst wer sollte es glauben? ist eine der furchtbarsten Qualen und kann bis zum Wahnsinn treiben. Das hat man auf Schlachtfeldern an Verwundeten gesehen. Wir begehren ganz ruhig ein Glas Wasser und wissen nicht, was dieses Glas Wasser den Sohn Gottes am Kreuz gekostet hat. Es gibt keine noch so erdenkliche Qual, die er nicht ausgeschöpft hat, um das Lösegeld für uns zu einem rollen ewigen zu machen. Es ist, als ob über dem Gekreuzigten der Teufel gedürstet hätte nach jedem Blutstropfen des großen Bürgen, aber auch jene Glut in den Adern Jesu wird für seine Erlösten die Eröffnung einer unversiegbaren Friedens, und Freudenquelle. Wen da dürftet, der komme jetzt und trinke von dem Wasser des Lebens ums sonst. Die Elenden und Armen, die da suchen, wenn nichts da ist, und deren Zunge verdorrt vor Durst, hier auf dem Kreuz hat der Herr sie er‘s hört und ihnen zugesagt, sie nicht zu verlassen. Ihn hat gedürstet, um Wasserflüsse auf den Höhen zu öffnen und Brunnen mitten auf den Feldern; jetzt kann er die Wüste zu Wasserseen machen, und das dürre Land zu Wasserquellen. Wenn uns nach Ihm dürftet, wie Ihn, ehe noch Er herabkam auf die Erde, nach uns gedürstet hat, so können wir nun Leben und volle Genüge haben. Und ist schon das Dürsten nach seiner Gerechtigkeit etwas Seliges, wie viel mehr die Befriedigung. Seine Entbehrungen werden unsere Genüsse, und die Satansgluten in seinen Eingeweiden sind uns zu ewigen Labungen geworden. Unser Erbarmer wird uns führen und an die Wasserquellen leiten; fürchte nichts, glaube nur. (Friedrich Lobstein)
Danach, als Jesus wusste, dass schon alles vollbracht war, dass die Schrift erfüllt würde, spricht er: Mich dürstet.
Sei mir gegrüßt, sei mir gegrüßt, Kreuz meines Herrn, dass du mich erst gelehrt hast, wie man gottgefällig leiden soll: O du teures Heilszeichen der Christenheit, was hast du seit den fast zweitausend Jahren, dass du auf der Erde gepflanzt stehst, was für Himmelskräfte hast du in die Leidensstunden der Sterblichen gebracht in die Krankenstuben, in die Kerker, in die Lazarette und auf die Schlachtfelder o wie viele Stürme und Wogen der aufgeregten Menschenbrust hast du beschwichtigt, in wie viele Wunden Öl und Wein gegossen! O, verachtet die Kruzifixe nicht! In allen Krankenstuben, in allen Lazaretten, in allen Kerkern möchte man sie aufhängen als die stillen Prediger, wie der Mensch gottgefällig leiden soll. Auch darum musste Christus solches alles leiden, damit wir in den Stunden, die dem Menschenherzen die bängsten sind, in den Leidensstunden, uns der Gemeinschaft seiner Leiden trösten könnten, und unser ungehorsames Herz an seinem heiligen Gehorsam ein Vorbild hätte.
Darum soll auch dieses Kreuzeswort des Herrn, in dem seine äußerste Hilflosigkeit uns offenbar wird, uns zu einer Ermahnung werden; es soll auch unsere Herzen ergeben und gehorsam machen in der größten Hilflosigkeit.
O, wir würden alle zufriedene Menschen sein, träten wir nicht von vornherein mit so vielen unberechtigten Ansprüchen an das Leben heran. Wir fordern vom Leben den Genuss als unser Recht, darum danken wir nicht für denselben, wo er uns zu teil wird als Gnade, darum meint das trotzige Herz zum Murren ein Recht zu haben, sobald ihn uns Gott versagt. Es darf nicht aus unserm Sinn kommen: nicht um zu genießen sind wir in dieses Leben gekommen, sondern um darin erzogen zu werden. Jetzt befremden euch die trüben Tage, hieltet ihr das fest, was ich sagte, so würdet ihr von selbst sie erwarten, wie Petrus spricht: „Meine Lieben, lasst euch nicht befremden die Hitze, so euch widerfährt, als widerführe euch etwas Seltsames, denn sie widerfährt euch, dass ihr versucht werdet. Christen aber sind nun solche Menschen, die mit ihrem Heilande in so inniger Gemeinschaft stehen, dass sie in der Welt nichts anderes suchen, als was er darin gefunden hat, wie Johannes in seinem Briefe schreibt: „Wie er war in der Welt, so sind wir auch.“ So machen sie sich nun darauf gefasst, in einer Welt, wo er Hass gefunden hat, nicht lauter Lob und Entgegenkommen zu finden, wo er oftmals hat weinen müssen, dass für sie nicht lauter Lachen sei; in einer Welt, wo ihr Heiland eine Dornenkrone getragen, erwarten sie nicht bloß Rosenkränze. Und zwar wird diese Ergebung ihnen auch nicht so schwer, denn die Liebe macht es ihnen leicht; da Liebe auch die Gemeinschaft der Leiden mit dem Geliebten ist, so sind sie auch in der Trübsal fröhlich, denn sie fühlen in allen ihren Leiden die Gemeinschaft mit ihrem Herrn. Darum aber hat er sich auch der äußersten Hilflosigkeit, in der wir ihn hier sehen, nicht entzogen, hat Blöße, Hunger und Durst über sich ergehen lassen, damit alle Leidenden, auch die Hilflosesten, diese Gemeinschaft seiner Leiden mit ihm schmecken könnten. Er ist arm geworden, damit die Armen sich seiner Genossenschaft trösten könnten, er hat sich binden lassen, damit die Gefangenen sich seiner Genossenschaft trösten könnten, hat Fieberschauer und die Todesangst ertragen, damit die Kranken und die Sterbenden sich seiner Genossenschaft trösten könnten. O, wie alle Dornen schmerzloser werden, wenn man sie nur als Dörnlein ansieht aus seiner Dornenkrone: wie alle Lasten sich leichter tragen, wenn man sie nur als Splitter trägt von seinem Kreuze! und das: „Mich dürstet,“ wie ruft's die darbende Seele mit leichterem Herzen, wenn man es weiß, dass es nur der Wiederhall ist von seinem Kreuze her! Doch, wie gesagt, man muss ihn lieben, um das süße Geheimnis der Gemeinschaft seiner Leiden zu verstehen, denn Liebe nur kann der Gemeinschaft mit dem Geliebten auch im Leiden sich erfreuen. (Traugott Leberecht Kämpfe)