Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Du sollst deinen Nächsten lieben, und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde; segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen; auf dass ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel.
Solche vergebende Liebe zu üben, das kommt unsrem Fleisch und Blut hart an. Aus eigenen Kräften und nach der eigenen Gerechtigkeit können wir nimmermehr den Fluch mit Segen, den Hass mit Wohltun, die Beleidigung mit herzlicher Fürbitte vergelten. Christus muss uns zuvor ein neues Herz, sein Herz geben. Er hat Unrecht gelitten und dem Übel nicht widerstrebt. Er schalt nicht wieder, da er gescholten ward. Er drohte nicht, da er litt, stellte es aber dem anheim, der da recht richtet. Er muss uns seinen Sinn geben, dann können wir die heilige Liebe üben. Ach Herr, du sanftmütiger Heiland, der du uns, da wir noch Feinde waren, geliebt hast bis in den Tod, erbarme dich über uns; vergib uns, dass wir so oft hart und bitter gewesen. Ändere unseren Sinn, gib uns einen neuen Sinn, deinen Sinn, damit wir Böses vergelten mit Gutem, und Kinder sind deines Vaters im Himmel. Lass uns nicht wanken und irre werden im Lieben und Segnen, wenn uns mit Undank vergolten wird. Du hast ja auch über uns mit Strömen der Liebe geregnet, ob wir's gleich nicht verdient. So hilf uns, dass wir deiner Liebe nachfolgen und in der Liebe bleiben bis ans Ende, und nachjagen deiner Gerechtigkeit und (Adolf Clemen) durch dich vollkommen werden, wie unser Vater im Himmel vollkommen ist. Amen.
Die jüdischen Lehrer verstanden unter „Nächster“ nur diejenigen, die aus ihrem Land, ihrer Nation und Ihrer Religion stammten, welche sie bereitwillig als ihre Freunde ansahen. Der Herr Jesus lehrt uns, dass wir jede echte Freundlichkeit ausüben sollen, zu der wir überhaupt in der Lage sind, besonders zu den Seelen der Menschen. Wir müssen für sie beten. Während viele Gutes mit Gutem vergelten, müssen wir Gutes für Böses vergelten; und dies wird als ein besseres Prinzip wirken als das, wonach die meisten Menschen handeln. Andere grüßen ihre Geschwister und umarmen ihre Parteigenossen, Weggefährten und diejenigen, die ihre Meinung teilen, aber wir dürfen unseren Respekt nicht so eingrenzen. Es ist die Pflicht der Christen, sich Vollkommenheit an Gnade und Heiligkeit zu wünschen, sie zu erstreben und ihr nachzujagen. Und darin müssen wir uns üben, uns gemäß dem Beispiel unseres Himmlischen Vaters zu benehmen. (vgl. 1. Pet. 1,15.16). Sicher kann man von einem Nachfolger Jesu mehr erwarten als von anderen; sicherlich wird in ihnen mehr gefunden werden, als in anderen. Lasst uns Gott bitten, dass er uns befähigt, uns als seine Kinder zu erweisen. (Matthew Henry)
“Du sollst deinen Nächsten lieben.“
Liebe deinen Nächsten. Vielleicht schwelgt er in Reichtümern, und du bist arm, du lebst in einer niedrigen Hütte neben seinem herrlichen Palast; du erblickst jeden Tag seine Pracht, seine feine Leinwand und seine üppigen Gastmähler; Gott hat ihm diese Gaben gegeben, beneide ihn um seinen Wohlstand nicht, und hege keine argen Gedanken gegen ihn. Sei zufrieden mit deinem Los, wenn‘s dir nicht gelingt, dich zu verbessern; aber siehe nicht mit Missgunst auf deinen Nächsten, wünsche nicht, er würde deinesgleichen. Liebe ihn, so wirst du ihn nicht beneiden. Oder umgekehrt, vielleicht bist du reich, und neben dir wohnt der Arme. Schäme dich nicht, ihn deinen Nächsten zu heißen. Halte dir‘s vor Augen, dass du zur Liebe gegen ihn verpflichtet bist. Die Welt sagt, er stehe tief unter dir. Worin ist er geringer als du? Er ist weit eher deinesgleichen, als dir untergeordnet an Rang und Stand, denn „Gott hat gemacht, dass von einem Blut aller Menschen Geschlechter auf dem ganzen Erdboden wohnen, und zwar ist Er nicht fern von einem jeglichen unter uns.“ Dein Kleid freilich ist besser als das seine, du selbst aber bist um kein Haar besser als er. Er ist ein Mensch, und was bist du mehr als das? Habe acht, dass du deinen Nächsten liebst, auch wenn er in Lumpen gekleidet oder in die tiefste Armut versunken ist.
Aber du sprichst vielleicht: „Ich kann meine Nächsten nicht lieb haben, denn für alles, was ich an ihnen tue, lohnen sie mir nur mit Undank und Geringschätzung.“ Nun, so kann sich ja die Großmut deiner Liebe nur umso herrlicher offenbaren. Nicht wahr, du wärst lieber ein Federbett-Soldat als ein Streiter, der den schweren Kampf der Liebe wagt? Wer wagt, gewinnt; und ist der Pfad deiner Liebe rau, so nimm ihn mutig unter die Füße, und liebe deine Nächsten immer zu, durch dick und dünn. Sammle feurige Kohlen auf ihr Haupt, und sind sie schwer zufrieden zu stellen, so such‘s deinem Meister recht zu machen, und bedenke das: wenn sie deine Liebe verschmähen, so verschmäht sie dein Heiland nicht, und Er hat sie noch nie zurückgewiesen, und dein Tun ist Ihm so angenehm, wie wenn sie es dankbar anerkannt hätten. Liebe deinen Nächsten, denn wenn du das tust, so trittst du in die Fußstapfen deines Herrn und Meisters. „Denn die Liebe ist von Gott, und wer lieb hat, der ist von Gott geboren und kennt Gott.“ (Charles Haddon Spurgeon)