Des Menschen Sohn geht zwar dahin, wie von ihm geschrieben steht; doch wehe dem Menschen, durch welchen des Menschen Sohn verraten wird! Es wäre ihm besser, dass derselbige Mensch noch nie geboren wäre.
„Ob nicht doch auch für den Judas in fernster Ferne noch ein Licht dämmert? Ob sich nicht doch auch für ihn in der andern Welt ein Weg der Rettung geöffnet hat?“ so haben Viele gefragt. Ach, wie gerne möchte man darauf antworten: „Wir hoffen es!“ Aber die stärksten Zeugnisse sprechen ein entschiedenes „Nein“. Wenn Jesus ihn das „verlorene Kind“ nennt, ja gradezu ausspricht, „es wäre ihm besser gewesen, nie geboren zu sein“ - so verstehen wir das nur zu gut. „Es war Nacht“, schreibt Johannes in seiner großartigen Zweideutigkeit, da Judas vom Abendmahlstisch zum Verrat schreitet (Kap. 13,30); „er ging an seinen Ort“, sagt mit schaurigem Ton Petrus, ein anderer Mitjünger des Judas, da er von seinem schrecklichen Ende berichtet (Apostelg. 1,25). Der Unglückliche ist dem ewigen Tod, daraus kein Auferstehen ist, anheimgefallen.
Wodurch hätte denn auch sein Herz noch können erleuchtet und erneuert werden, da er an dem Heiland grade das Heilands mäßigste, das, was den Heiland macht, hasste, nämlich die hingebende Liebe, die nicht an sich selber denkt? Welche Macht des Himmels hätte Den erschüttern können, der dieser Liebe, die dem Verräter noch die Füße wusch, dem Verräter noch den Heuchlerischen Kuss erlaubte, ein eiskaltes Herz entgegensetzte?
So verstehen wir auch, was die Evangelisten berichten: „Satanas sei in ihn gefahren.“ Satan kann in keinen Menschen fahren, der ihm nicht das Haus seines Herzens geöffnet, geschmückt und zugerichtet hat. So wenig wie der heilige Geist Jesu zu einem Menschen kommt, es sei denn, dass dieser Mensch nach ihm dürstet, verlangt, ja innerlich mit ihm sympathisiert, ebenso wenig kann Satan von einem Menschen Besitz ergreifen, es sei denn, dass vorher dieser Unselige sich mit seinem ganzen Sinn dem Reich der Finsternis zugewendet und alle Antriebe zu dem, was heilig und göttlich und himmlisch ist, von sich abgewiesen hat. Erst wird ein Mensch durch eigene Schuld verstockt und, wenn man so sagen kann, satanisiert, - dann erst fährt der Satan in ihn.
An dem Beispiel des Judas mag das Wort Jesu von der „Sünde wider den heiligen Geist“ verstanden werden: „Alle Sünde wird den Menschen vergeben, aber die Lästerung wider den Geist wird den Menschen nicht vergeben, weder in dieser, noch in jener Welt.“ Dies Wort ist keineswegs nur ein Schreckenswort, wie Manche es auffassen. Es geht daraus, dass (für diejenigen wohl, denen hier das Heil in Christo nicht genügend vor Augen trat,) auch in der andern Welt noch eine Annahme zur Gnade stattfindet, hervor, dass keine Sünde (außer der genannten,) so furchtbar sein kann, dass sie nicht könnte vergeben werden. Aber andrerseits gibt es doch auch einen Sündenzustand, wo alle Hoffnung zur Rettung total abgeschnitten ist. Und welcher Zustand ist das? Es hat sehr viele Menschen gegeben, die sich bis zur Verzweiflung und bis zum Wahnsinn damit gequält haben, ob sie etwa die Sünde wider den heiligen Geist begangen hätten und also rettungslos verloren seien? Aber alle Die, denen überhaupt die Sünde noch etwas Verabscheuungswürdiges ist, - alle Die, die noch Sehnsucht und Verlangen haben nach Vereinigung und Versöhnung mit Gott, dem Heiligen in der Höhe, alle Die können diese Sünde noch nicht begangen haben. Denn so lange ein Mensch noch nach Gott verlangt und nach ihm verlangen kann, so lange neigt sich Gott auch diesem Menschen gnadenreich zu. Seine Gnade hat gar keine Grenzen, sie will überall hindringen, wie das Licht Alles erleuchten will. Aber wie man dem Strahl der Sonne den Eingang vermehren kann, so kann man auch gegen das Licht der ewigen Gnadensonne sich absperren, ja sich unfähig machen für die Aufnahme dieses Lichtes.
Die Hohenpriester und Schriftgelehrten näherten sich in bedenklicher Weise diesem Zustand; Judas Ischarioth aber war wohl bis an diesen Punkt gekommen. Aller Ernst Gottes, alle Arbeit der Geduld und Liebe Gottes hatte sich an seinem Herzen bewiesen und war doch alle schnöde abgewiesen. Indem der Mann sich nicht beugen und fügen wollte unter die Zucht Gottes, indem er auf seinem Willen und seiner Lust bestand, hatte er fort und fort den „heiligen Geist betrübt“, bis dieser traurig von dannen schied, Judas selbst aber in einen Zustand kam, da er an Gottes Liebe und Macht gar nicht mehr glauben konnte. Es kann mit einem Menschen durch sein Widerstreben gegen den heiligen Geist dahin kommen, dass er alle die geheimen feinen Würzelchen, vermöge deren er fähig ist, in Gott hineinzuwachsen, ausgerissen und verdorben hat. In diesen Weg aber geht Jeder ein, der auf irgend einem Punkt mit der Sünde spielt, auf irgend einem Punkt dem strafenden Licht Gottes den Eingang verwehrt. Da gilt's wachen, dass wir nur aufrichtig bleiben, oder vielmehr, dass wir nur immer mehr aufrichtig werden. Wer aber in Wahrheit sagen kann, dass er durch Jesum von aller und jeder Sünde frei werden und mit seinem ganzen Ich in die Schule Gottes eingehen will, der soll trotz aller Sünde, Schwäche und Gebrechlichkeit, die ihm noch anhaften, dennoch wissen, dass Jesus treu ist und nicht ruhen wird, bis Er ihn, als ein freies Kind und einen Zeugen der Herrlichkeit Gottes, vor des Vaters Angesicht gestellt hat.
Geh' aus und ein,
O Lebensschein,
Mit mir, und lass mich wallen
Wie dein Geist
Uns unterweist
Nach deinem Wohlgefallen.
So soll mein Mund
Und tiefster Grund
Des Herzens dich erheben. \\Du edler Hort,
Allhier und dort
In jenem Freudenleben. (Otto Funcke)