Jesus aber sprach zu ihnen: Seht zu und hütet euch vor dem Sauerteige der Pharisäer und Sadduzäer.
Wenn die Pharisäer zur Zeit Jesu mit einem äußern Werkdienst ihren Gott abzufinden meinten, aber das Schwerste im Gesetz dahinten ließen, das Gericht, die Barmherzigkeit und den Glauben, schleicht nicht gar gern in die Gemeinde des Herrn immer wieder dieser äußere Werkdienst sich ein, weil eben das Menschenherz heut noch ist wie damals und den Ernst der Buße und den Kampf der Selbstverleugnung und die Arbeit der Heiligung scheut? Wenn im Menschen von Natur die pharisäische Neigung steckt, sich besser zu geben als er ist, und nicht nur vor andern, sondern auch vor sich selbst seine Tugenden ins Licht zu sehen, seine Fehler tunlichst zu bemänteln, sich mit einem guten Schein, sei es von Frömmigkeit und Gottseligkeit, oder von Biederkeit und Redlichkeit, oder von Gutmütigkeit und Edelmut zu umgeben, und dabei mit offenerem oder versteckterem Hochmut herabzusehen auf die, welche schlechter sind oder schlechter scheinen als wir, hat da der Herzenskündiger, der Menschenfreund, der da wusste, was in der Menschen Herzen war, nicht alle Ursache, auch die besseren in der Gemeinde, auch seine Jünger zu warnen: Seht zu, hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer? Und haben wir nicht Ursache, uns zu fragen: war nicht auch mein Gottesdienst je und je pharisäischer Werkdienst? Sache der Gewohnheit statt Sache des Herzens? Ist vielleicht auch mein Christentum mehr Schein als Wesen? Hat nicht auch in meinem Herzen sich etwas eingenistet von dem pharisäischen Wahn, besser zu sein als andere Leute? Habe etwa auch ich mir den Geschmack am Brote des Lebens verderbt und den Segen des Evangeliums vereitelt durch solch pharisäischen Wahn und Dünkel?
Denn wie an einem stählernen Panzer beides abprallt, die scharfe Schneide des Schwerts und der milde Strahl der Sonne, so verliert auch das Wort Gottes seine verwundende Kraft, durchzuschneiden, bis dass es scheide Seele und Geist, Mark und Bein, und seine heilende Kraft, selig zu machen alle, die daran glauben, wo es auf ein abergläubisches, selbstgerechtes Pharisäerherz stößt, und beides, die Schwertstreiche des göttlichen Gesetzes wie die Sonnenstrahlen des Evangeliums, gleiten wirkungslos ab an der glatten Rinde solchen pharisäischen Wahns. Aller Ernst des Gesetzes, alle Predigt der Buße, alle Lehre und Vermahnung des göttlichen Worts, was richtet sie aus an einem Herzen, das gewappnet ist mit dem Wahn: ich bin schon gerecht, ich bin schon weise, ich bin jedenfalls besser als tausend andere? Und aller Trost des Evangeliums, alle Süßigkeiten der göttlichen Gnade, alle Segnungen des Sünderheilands, wie kann der sie schmecken und schätzen, der in dem Dünkel steht: ich brauche keine Gnade; der die Armut seines Geistes, die Verderbnis seines Herzens, die Eitelkeit seiner Tugend und die Größe seiner Sünden noch gar nie erkannt und gefühlt hat? Und alle Gnadenzeiten und Gnadenmittel, was können sie dem für Gewinn bringen, der sie an sich kommen und an sich vorübergehen lässt in der Selbsttäuschung: ich bin schon reich und habe satt und bedarf nichts? Ja, wenn der Heiland leibhaftig wieder auf die Erde käme, er müsste mit all seiner Gottesmacht und Sünderliebe vorübergehen an einem solchen Pharisäer und sprechen: Die Kranken bedürfen des Arztes und nicht die Gesunden; ich bin gekommen, die Sünder zur Buße zu rufen, und nicht die Gerechten.
Darum hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer! Und du, Herr, unser Gott, hüte uns selber vor dem abergläubischen Wahn, als seien wir etwas; öffne uns die Augen und zeige uns unser Elend, damit wir auch den Trost deines Wortes mögen schmecken und es erfahren: dieses Wort stärkt unsre Seelen als das rechte Himmelsbrot! Amen. (Carl von Gerok)