Jesaja 6,6

Andachten

Da flog der Seraphim einer zu mir und hatte eine glühende Kohle in der Hand, die er mit der Zange vom Altar nahm; und rührte meinen Mund und sprach: Siehe, hiermit sind deine Lippen gerührt, dass deine Missetat von dir genommen werde und deine Sünde versöhnt sei.
Sünde offenbaren und über der Sünde Angst machen, das konnte bis auf einen gewissen Punkt auch das Gesetz, ja sogar manche der heidnischen Religionen. Aber Sünde tilgen und einen neuen heiligen Geist im unheiligen Menschen schaffen, das kann nur der Gott, der in Jesu Christo erschienen ist. Darauf deutet auch das, was Jesaja im Sinnbild schaute. Wir nehmen aus diesem geheimnisvoll-großartigen Vorgang für heute nur so viel, dass der Mensch sich nicht selbst entsühnen kann, sondern dass Gott ihn entsühnen muss durch einen Akt freier Liebe, - dass aber Gott das auch nicht nur kann, sondern dass Er es auch gerne will, und dass Er es bei einem Jeden will, in dessen Herz ein tiefes Wehe über die Sünde lebt.

Die Kohle, die den Propheten entsühnte, ist so alt wie die Sünde der Menschen alt ist. Schon im Paradies, und überall, wo Menschen in wahrhaftigem Schmerz über ihre Sünden trauerten, ist von dieser Kohle die Rede. Wir müssten auch an der Gottheit des Gottes verzagen, der die Menschheit so angelegt hätte, dass Sünde und Tod erblich sind, wenn nicht auch von Vorne herein der Weg der Rettung für Alle in seinem Plan war. Gott wäre nicht Gott, wenn Er die Sehnsucht nach seiner Gemeinschaft und nach Erneuerung des eigenen inneren Lebens in uns hineingesenkt hätte und uns doch ewig nicht aus der Sehnsucht zur Erfüllung leiten wollte. So aber heißts: „Er hat alles beschlossen unter den Unglauben, auf dass Er sich Aller erbarme“! Das stand von Ewigkeit her fest, und durch alles Donnerrollen und Sturmgebrause, Erdbeben und Feuer des alten Bundes hindurch tönt eine sanfte Stimme, die von der kommenden Versöhnung redet und nach Golgatha hinlockt. Aber erst in dem Kreuze Christi hat die Kohle des Jesaja ihre volle Wahrheit, Gestalt und Lebenskraft gewonnen; in Christo ist die Sühnkohle Gottes Person und Leben geworden.

„Nur Einer stehet an der Pforte,
Der einst mit heil'gem Feuer kam,
Und diese Welt mit sanftem Worte
Vielliebend in die Arme nahm,
Wer will, soll auf zum Kreuze sehen,
Denn Keiner wird zum Himmel gehen,
Dem nicht von diesem Brandaltar
Ein Funken in der Seele war.“

Möchte uns das Allen tief ins Herz geschrieben sein, so würde unser Keiner mutlos und trostlos über seine Sünden bleiben. Es ist eine Erfahrung, die jeder Aufrichtige machen kann, dass gerade dann, wenn wir über unsere Sünde so recht zerknirscht sind, wenn wir über unsere innere Ohnmacht und Unreinheit von Herzen trauern, - wenn wir tief gedemütigt sind wegen der so ganz unmerklichen Fortschritte in der Heiligung, oder gar über neue schmerzliche Sündenfälle, - dass wir grade dann, wenn das „Wehe“ des Jesaja am mächtigsten in uns lebt, dass wir grade dann uns auch am seligsten von der sühnenden Kohle des göttlichen Altares berührt fühlen; dann grade wird das Wort von der Vergebung eine entzückende Himmelskraft und durch die bittersten Tränen hindurch schauen wir dann ahnungsvoll einen Ausgang, da Alles, Alles Licht und Frieden und Heiligkeit sein wird. -

„Wo die Sünde mächtig geworden ist, da ist die Gnade noch viel mächtiger“, und vom Anfang der Welt her haben von der Gnade Gottes Die am meisten verstanden, die über die Sünde am tiefsten trauerten, Männer wie David, Jesaja, Petrus, Paulus, Augustinus und Luther.

Ob bei uns ist der Sünde viel
Bei Gott ist viel mehr Gnade,
Sein Hand zu helfen hat kein Ziel,
Wie groß auch sei der Schade.
Er ist allein der gute Hirt,
Der Israel erlösen wird
Von seinen Sünden allen. (Otto Funcke)

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