Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der Herr, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt; sein Verstand ist unausforschlich. Er gibt dem Müden Kraft, und Stärke genug dem Unvermögenden. Die Knaben werden müde und matt, und die Jünglinge fallen. Aber die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.
Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft. Es kommt aber zu dem Harren auf den Herrn nicht, ehe nicht die eigene Kraft ermüdet ist, ehe wir's nicht nachdrücklich und handgreiflich merken, dass wir ohne unsers Heilands Kraft nicht weiter können.
Ja, die Müden nur und die Matten, die wohl des Lebens, des Eitlen, des Schweißes, und doch auch des Rennens und Laufens in eigener Kraft müde geworden sind und in sich zusammengebrochen, aber nicht ermüdet sind im Sehnen nach dem lebendigen Gott, nicht ermattet im Begehren seiner Gotteskraft: die sind es, die verstehen zu harren auf den Herrn! Sie haben den Herrn, ihren Heiland, erkannt als den, der allein Kraft gibt und glauben es von Herzen und flehen darum mit sehnlichem Verlangen und halten an mit diesem Flehen: sie sitzen am Born des Worts und harren und flehen, und harren und werden im Harren nicht müde, bis er nach seiner Verheißung tut und gibt den Müden Kraft und Stärke genug den Unvermögenden.
Solche harrende Müde kriegen neue Kraft, d. h. immer wieder aufs neue. Wohl immer aufs neue wieder geht's für sie erst durchs Ermüden, denn die Kraft des alten Menschen muss immer stärkere Stöße bekommen, aber es geht doch auch immer wieder neuer Stärkung entgegen! Das ist ihnen gewiss!
Die neue Kraft hilft dann zu neuem Aufschwung, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen, und nicht matt werden, dass sie wandeln, und nicht müde werden! Es ist wieder Kraft da, - es kann ein neuer Anlauf genommen werden, die Seele fährt auf wie ein Adler. Freilich, es geht nicht so lange im Adlerflug weiter, es kommt wieder zum Sinkenlassen der Flügel, zum Ermüden, denn es soll ja auch wieder zu neuer Gnadenkraft kommen, und doch, es ist in einem andern Sinne doch so, wie es hier heißt: dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden; jeder erste Aufschwung der Seele in der Kraft ihres Herrn Herrn, ihres treuen, starken Heilands, macht sie stark und immer stärker, dass sie in einem Stück nicht mehr müde werden, nämlich in dem „Harren auf ihren Herrn und seine Kraft.“
Ach Herr! wir möchten auch gern einen neuen Anlauf nehmen; Herr, Herr, du hast Kraft genug, wir harren dein! Gib uns von deiner Kraft, dass wir heute auffahren mit Flügeln wie Adler, und ob wir oft ermüden in aller unserer Kraft, doch nicht ermüden, deiner Kraft zu harren! Amen. (Theobald Wunderling)