Voll tiefer Beschämung, Allheiliger, mein Vater und mein Gott, erscheine ich heute Abend vor Dir. Heilig ist Dein Name, Deine Gebote sind rein und unsträflich; was bin ich, Elender, dass ich mich Deinem Angesicht nahen, dass ich zu Dir mein Herz erheben soll? Nicht sagen, nicht bekennen kann mein bebender Mund meine Schwachheit, meine Sünde; unrein ist meine Gesinnung, von der Welt und ihren Lüsten meine ganze Seele befangen; voll Schmach und Unheiligkeit ist mein Leben, nur von Sünden erfüllt; wie ein Sklave bin ich gefesselt von allen Reizen und Lockungen der Welt. Ach, wo soll ich Ruhe finden für mein Gewissen? Wie kann ich noch wagen, zu Dir zu flehen? Wie oft, wie ernst, wie treu ermahntest Du mich, zu verleugnen die irdischen Lüste und züchtig und gottselig zu leben! Wie bestraftest Du mich durch die Zerrüttung meines ganzen Daseins, durch Schmach und Kummer, durch Schwäche und Krankheit! Ach ja, die Strafe folgte oft meiner Sünde auf dem Fuße nach, aber ich vergaß im törichtesten Leichtsinn Deine Hand; ich wusste tausend Entschuldigungen, ich verhüllte in den Schein schuldloser Freude, erlaubter Schwachheit meine Vergehungen, mein heidnisches Leben; zu schwermütig, zu hart, zu streng dünkten mich Deine Ermahnungen und Warnungen. Und doch, erbarmender Vater, erbarmender Heiland, mit welcher Langmut und Gnade trägst Du Dein entartetes, mit Sünde und Schande beflecktes Kind! Ach ja, himmlische Liebe, mein Jesus, mein Freund, mein Gott, Dein Herz ist ja noch offen für mich; bin ich auch erfüllt mit Sünde und Missetat, unwert Deines geringsten Aufsehens auf mich, so hast Du ja Dich auch der Heiden angenommen. So erbarme, erbarme Dich Deines schwachen Kindes; reinige, heilige mein Leben. Ich kann nicht überwinden, vergebens sind meine Entschließungen, der Sünde zu entsagen; aber Du kannst helfen und retten, Du kannst auch das Irdische in Himmlisches wandeln. Zu den Wunden, die Dir für mich geschlagen, zu Deiner Liebe, die für mich gelitten, flieht mein elendes, untreues, armes Herz. O Heiland voller Erbarmung, verwirf mich nicht vor Deinem Angesicht, nimm Deinen heiligen Geist nicht von mir. Reinige, heilige, errette mich, Herr; lass mich nicht, lass mich nicht! Amen. (Friedrich Arndt)
Ein Psalm Davids, zum Gedächtnis.
Gleichwie man einen Denkzettel oder Tagebuch macht, darein man verzeichnet die Sachen, so täglich zu verrichten sind, dass man derselben nicht vergesse: Also ist dieser Psalm Davids ein Denkzettel und Tagebuch gewesen, dadurch er sich täglich seiner Sünden erinnert hat. Und will uns hiermit lehren, dass wir keinen Tag lassen vorüber gehen, an welchem wir nicht unsere Sünden bereuen und Gott demütig abbitten sollen. Denn dies ist das Fundament und der Anfang alles Guten in uns; sonst kann Gottes Gnade nicht in uns wirken; der heilige Geist kann uns auch nicht erleuchten, trösten und lehren, bei uns wohnen und bleiben, wenn wir nicht täglich mit reuendem, demütigem Herzen Gott um Gnade und Vergebung der Sünden bitten. Zu dem Ende hat Moses den Kindern Israel den langen Psalm 5. Mos. 32 vorgeschrieben, in welchem er den Kindern Israel vorhält ihre Sünden, wie sie werden von Gott abfallen, wie es ihnen gehen werde, wie sie sollten wieder umkehren. zum HErrn; und hat befohlen, dass sie den Psalm sollten auswendig lernen und täglich singen, sich ihrer Sünden und der täglichen Buße zu erinnern.(Johann Arnd)
1. Ein Psalm Davids, zum Gedächtnis. 2. HErr, strafe mich nicht in deinem Zorn, und züchtige mich nicht in deinem Grimm. 3. Denn deine Pfeile stecken in mir, und deine Hand drückt mich. 4. Es ist nichts Gesundes an meinem Leib vor deinem Drohen, und ist kein Friede in meinen Gebeinen vor meiner Sünde. 5. Denn meine Sünden gehen über mein Haupt, wie eine schwere Last sind sie mir zu schwer geworden. 6. Meine Wunden stinken und eitern vor meiner Torheit. 7. Ich gehe krumm und sehr gebückt, den ganzen Tag gehe ich traurig. 8. Denn meine Lenden verdorren ganz, und ist nichts Gesundes an meinem Leibe. 9. Es ist mit mir gar anders, und bin sehr zerstoßen. Ich heule vor Unruhe meines Herzens. 10. HErr, vor dir ist alle meine Begierde, und mein Seufzen ist dir nicht verborgen. 11. Mein Herz bebt, meine Kraft hat mich verlassen, und das Licht meiner Augen ist nicht bei mir. 12. Meine Lieben und Freunde stehen gegen mich, und scheuen meine Plage, und meine Nächsten treten ferne. 13. Und die mir nach der Seele stehen, stellen mir; und die mir übel wollen, reden, wie sie Schaden tun wollen, und gehen mit eitel Listen um. 14. Ich aber muss sein wie ein Tauber, und nicht hören, und wie ein Stummer, der seinen Mund nicht auftut. 15. Und muss sein wie einer, der nicht hört, und der keine Widerrede in seinem Munde hat. 16. Aber ich harre, HErr, auf dich; Du, HErr, mein GOtt, wirst erhören. 17. Denn ich denke, dass sie ja sich nicht über mich freuen. Wenn mein Fuß wankte, würden sie sich hoch rühmen wider mich. 18. Denn ich bin zu Leiden gemacht, und mein Schmerz ist immer vor mir. 19. Denn ich zeige meine Missetat an, und sorge für meine Sünde. 20. Aber meine Feinde leben, und sind mächtig; die mich unbillig hassen, sind groß. 21. Und die mir Arges tun um Gutes, sehen sich wider mich, darum, dass ich ob dem Guten halte. 22. Verlass mich nicht, HErr, mein GOtt, sei nicht ferne von mir. 23. Eile mir beizustehen, HErr, meine Hilfe.
Der 38. Psalm heißt in seiner Überschrift: Ein Psalm Davids, zum Gedächtnis. David wollte nämlich 1) damit sich selbst ein Angedenken machen, und auch bei Anderen ein Nachdenken erwecken. Darum beschrieb er so umständlich, unter was für ernstlichen Zorn-Empfindungen er sich zur Barmherzigkeit und zur hilfreichen Gerechtigkeit GOttes hindurch gedrungen habe. 2) Dem Psalm selber spürt man leicht an, wie David in drei Absichten so zu sagen drei Anläufe im Gebet nimmt. So oft er nämlich bei einer Bitte die Ansprache an seinen GOtt mit dem Namen HErr wiederholt, wie es im 2. 10. und 22. Vers geschieht. Im Anfang hängt sich David bloß an die Barmherzigkeit GOttes, in der Mitte beruft er sich auf die herzerforschende Allwissenheit GOttes, und am Ende hält er um die eilfertige Hilfe GOttes an. David bittet, dass ihn GOtt nicht Seinen lautern Zorn wolle empfinden lassen, und beschreibt, was er schon unter den bisherigen Züchtigungen GOttes erfahren habe, V. 19. 3) David beruft sich bei seiner Freunde schüchternem und bei der Feinde trotzigem Verfahren auf GOtt, der die beste Kenntnis von ihm und seines Herzens Grund habe, und dem Alles heimgestellt sein solle, V. 10- 22. 4) Zum Schluss hält David noch einmal an, dass ihm doch GOtt durch eilfertige Hilfe Sein Heil zeigen möge, V. 22 bis zum Schluss. O! wie kann ein Tröpflein vom Zorn GOttes schmecken, wenn dazu noch viel Liebe und Verschonen mit untermischt ist, wie kann es doch den Menschen so weh machen? Was muss es sein, von dem Kelch trinken, den der HErr unvermischt eingeschenkt hat? Wie wenig weiß einer sich selbst und Andere zu schätzen, wenn er durch keine dergleichen Erfahrungen gelaufen ist, oder wenn er sich aus dem Wort GOttes solcherlei Gerichte GOttes nicht ernstlich vorstellt. Wie viel Grund zu seinem guten Mut nimmt man noch aus dem äußerlichen Wohlergehen, Gesundheit, Zeugnis und Freundschaft der Menschen her, wie viel Sorge für seine Sünden schlägt man darüber in den Wind, wie manchem Bekenntnis der Sünden weicht man darüber aus? Aber wie geht es, wenn einem GOtt allen falschen Schmuck auszieht, und einen bloß stellt? Da zeigt sichs, was einem an GOtt und Seiner Gnade gelegen war.
Welch ein Widerstand ist im Menschen gegen das Licht der Wahrheit, dass aus dem Licht müssen Blitze und Pfeile schießen! (Karl Heinrich Rieger)