Ich aber, Herr, hoffe auf dich, und spreche: Du bist mein Gott. Meine Zeit steht in deinen Händen!
Meine Tage sind vergangen, dass kein Aufhalten da gewesen ist, so klagt Hiob, und auch wir fühlen an des Jahres nahem Ende die Vergänglichkeit alles Irdischen stärker als sonst. Was ist die ganze Lebenszeit? Ein kurzer Augenblick; sie gleicht dem Wind, der daher rauscht, der Morgenröte, die bald verbleicht. Was ist unser Leben? Ein Dampf ist es, der eine kleine Zeit währt, danach aber verschwindet. - Du lässt sie dahin fahren wie einen Strom. O großer Strom, wohin rauschest du? Wo sind unsre Väter? Wo Alle, in deren Liebe wir einst uns glücklich fühlten? Alte Zeit, wo bist du hin? Alles ist wie im Aufbruch, Alles eilt hinweg, Alles vergeht. Aber Gottlob, dass über dem Zeitlichen noch ein Ewiges ist, ein Gott, der da war, der da ist, der da sein wird; vor dem tausend Jahre sind wie ein Tag, und wie eine Nachtwache. Gottlob, dass in dem Strom, der unaufhaltsam auch uns mit fort reißt, ein Fels unbeweglich steht: Jesus Christus, gestern und heute, und derselbe auch in Ewigkeit! Zu dir, du Ewiger, breite ich meine Hände aus; meine Seele dürstet nach dir. Denn in dir wird meine Seele sicher ruhen. Herr, allmächtiger Gott, wieder ist das Ende eines Jahres nahe. Wie nichtig und flüchtig ist doch unser Leben vor dir. Unsre Tage sind einer Hand breit bei dir, und unser Leben ist wie nichts vor dir. Wie gar nichts sind alle Menschen, die doch so sicher leben. Herr, lehre uns doch, dass es ein Ende mit uns haben muss, und unser Leben ein Ziel hat, und wir davon müssen, auf dass wir klug werden, und trachten nach dem, was droben ist, und nachjagen dem vorgesteckten Ziel, dem Kleinod, welches uns vorhält die himmlische Berufung Gottes in Christo Jesu. Amen.(Adolf Clemen)
David klagte Ps. 31. über große Nöten, die ihn betroffen haben, und sagte unter Anderem V. 11.12.13.14.: mein Leben hat abgenommen vor Betrübnis, und meine Zeit vor Seufzen: meine Kraft ist verfallen vor meiner Missetat, und meine Gebeine sind verschmachtet. Es geht mir, dass ich bin eine große Schmach worden meinen Nachbarn, und eine Scheu meinen Verwandten: die mich sehen auf den Gassen, fliehen vor mir. Mein ist vergessen im Herzen, wie eines Toten: ich bin worden wie ein zerbrochen Gefäß; denn Viele schelten mich übel, dass Jedermann sich vor mir scheuet: sie ratschlagen mit einander über mich, und denken, mir das Leben zu nehmen. Nach dieser Klage sagt er: ich aber, HErr, hoffe auch Dich, und spreche. Du bist mein Gott. Ich lerne aus diesen Worten Davids, dass ein Mensch sehr betrübt und doch gläubig sein könne. Die Betrübnis über zugestoßene Nöten kann mit dem Bewusstsein begangener Sünden vermengt sein: und doch kann und darf der Mensch auf den HErrn hoffen. Weil Christus in Seinem letzten Leiden von allen Menschen, auch von Seinen Jüngern verlassen worden ist, so soll ein Christ sich nicht weigern, auch in einen solchen Stand der Verlassung einzutreten. Meine Nachbarn, meine Verwandten können sich mir entziehen: hingegen darf ich zu dem HErrn sprechen: Du bist mein Gott. Er will mich nicht verlassen noch versäumen. David wurde von den gottlosen Hofleuten Sauls gescholten, und bezichtigt, er stelle dem König, der sein Schwäher war, nach dem Leben, und wolle durch Mord und Aufruhr sich auf den königlichen Thron schwingen. Diesen Verleumdern glaubten viele sonst redliche Leute, und David konnte ich nicht genug rechtfertigen. Man sah, dass er in des Königs Ungnade stehe, und ein Jeder, der ihm freundlich begegnete, und ihm Gutes tun würde, des Königs Zorn wider sich erwecken könne, wie der Hohepriester Ahimelech. David musste also ein Zeit lang auf den ehrlichen Namen Verzicht tun, und leiden, dass Leute, die sonst seine Freunde gewesen waren, vor ihm flohen, oder eilends abwegs gingen, wenn er ihnen begegnete, und ihn scheuten, wenn er mit ihnen zu tun haben wollte. Man vergaß seiner wie eines Toten, dem man nichts Gutes mehr erzeigt, weil man durch Verleumdungen wider ihn eingenommen war, oder den Zorn Sauls fürchtete, und wollte nichts mehr von ihm wissen. Er war wie ein zerbrochenes Gefäß, das man wegwirft. Leute, die an dem Grimm Sauls Anteil nahmen, und sich ihm gefällig machen wollten, ratschlagten sogar über ihm, und gedachten ihm das Leben zu nehmen. Wie gut war’s, dass er unter diesen Umständen sagen konnte: ich aber, HErr, hoffe auf Dich, und spreche: Du bist mein Gott! Für alle Schmach und Gefahr war ihm also sein Gott der beste Ersatz, die einige Zuflucht; und fürwahr der HErr, auf den David hoffte, und der sein Gott war, rettete seine Ehre, schützte sein Leben, und half ihm aus allen Nöten. Auch ich soll unter meinen gegenwärtigen und künftigen Leiden auf Gott hoffen, und sprechen: Du bist mein Gott. Ich werde dieses nie lauterer tun, als wenn mich Gott von Menschen verlassen, oder wenigstens inne werden lassen wird, dass Menschenhilfe kein nütze sei. (Magnus Friedrich Roos)
Ich aber, Herr, hoffe auf dich und spreche: Du bist mein Gott!
„Hoffen und harren macht zum Narren,“ sagen die Weltkinder aus eigener Erfahrung. Freilich ist's so. Was die Welt hofft, wird ihr nicht zu teil. Die Hoffnung der Heuchler wird verloren sein. Denn seine Zuversicht und seine Hoffnung ist wie ein Schilf. Hiob 8, 13. 14. Ein Schilf wächst auf und grünet schön, so lange es Feuchtigkeit hat; fällt große Hitze ein, so verwelkt es. Der Gottlose ist eine Zeit lang fröhlich und glückselig; wenn ihn aber die Hitze des göttlichen Zornes nur ein wenig berührt, so fällt alle seine Hoffnung auf einmal hin. Das Gut ist weg, der Mut ist weg. O Not! O Jammer! Das Weltkind hofft auf Menschen. Wie töricht handelt es! Was ist verwunderlicher als des Menschen Herz? Heute Freund, morgen Feind; heute gelobt, morgen gelästert. Wie der Wind die Mühle, so treibt oft ein bloßes Gewäsch, oft ein blinder Argwohn des Menschen Herz um. Was ist nichtiger als ein Mensch? Ach, wie gar nichts sind doch alle Menschen? Kann wohl die Hilfe besser sein als der Helfer ist? Ein nichtiger Mensch, nichtige Hilfe. Der soll dir helfen, der sich selbst nicht helfen kann. Was ist flüchtiger als der Mensch? Heute lebendig, morgen tot. Stirbt er, so stirbt deine Hilfe mit. Der Stab ist entzwei, du tust einen Fall und magst wohl sagen: Hoffen und harren macht zum Narren. Du Narr, willst du dein Haus auf den Sand bauen, wie will's bestehen, wenn ein Sturm kommt? Triebsand ist kein guter Ankergrund.
Ein Christ hat nicht Ursache zu sagen: Hoffen und harren macht zum Narren; denn er gründet seine Hoffnung auf Gott, der Grund wankt nicht. „Mein Gott,“ kann er mit David sagen, „ich hoffe auf dich, lass mich nicht zu Schanden werden, dass sich meine Feinde nicht freuen über mich. Denn keiner wird zu Schanden, der dein harrt; aber zu Schanden müssen sie werden, die losen Verächter.“ Psalm 25, 2. 3. Was Paulus sagt, das bekräftigt bei den Frommen die Erfahrung: „Hoffnung lässt nicht zu Schanden werden.“ Röm. 5, 5. Der Glaube ist eine gewisse Zuversicht dessen, das man nicht hat, als hätte man es schon. Wenn ich in meinen Nöten Gottes Güte und Allmacht betrachte, die von der Welt her gewesen ist, so bin ich seiner Hilfe bei mir so gewiss, als hätte ich sie schon in Händen, ich poche und trotze darauf, und denke schon aufs Dankopfer, das ich Gott bringen will; dann bin ich versichert, dass mich Gott in meiner Hoffnung nicht lässt zu Schanden werden. Es ist unmöglich, dass Glaube und Hoffnung fehlschlagen. Wie ich glaube, so muss mir geschehen, das weiß ich. Sollte Gott den Glauben fehlschlagen lassen, so würde er ein Lügner und Betrüger, gleich dem, der seine Hand voll Geld nähme und spräche zu dem Armen: „Reich deine Hand her, ich will dir ein Stück Geldes geben,“ zöge aber, indem der Arme zugreifen wollte, die Hand zurück, und steckte das Geld in den Beutel. Wofür hältst du einen solchen? Für einen Leutebetrüger. Dass Gott mit seiner Hilfe im Kreuz verzieht, geschieht nicht, den Glauben zu betrügen, die Hoffnung zu beschämen, sondern zu prüfen und zu bewahren. Je länger, je lieber. Was lang ausbleibt, ist desto angenehmer. Ich harre, Herr, auf dich. Du, Herr, mein Gott, wirst erhören. Psalm 38, 16. (Heinrich Müller.)