Ach, lieber Vater, aus meiner Sündentiefe rufe auch ich jetzt zu Dir, höre mich armen Sünder, erhöre mein Geschrei, das ich zu Dir erhebe; ich will mein Herz vor Dir ausschütten und Dir bekennen, wie ich so schwer gesündigt und Dich so oft und sehr erzürnt habe. Ich bin durch Deine Gnade ein wenig zu mir selbst gekommen, habe mein sündliches Leben erforscht, und finde nichts bei mir als ein verfinstertes Herz voller Sünden, ein Gewissen, das die Anklage großer Missetaten beschwert und mich zu ernstlicher Buße dringend auffordert.
Ich weiß kein Laster, damit ich mich nicht auch befleckt finde, als mit Zorn, Hoffart, Unbeständigkeit, Unsauberkeit des Mundes, Lästerung und Schmähungen, Ungehorsam, ärgerlichen und bösen Sitten, Übermut, Betrug, Halsstarrigkeit, Nachlässigkeit im Guten; ich bin von Jugend auf nicht recht geneigt gewesen zu Einigkeit und Frieden; ich habe meinem Nächsten nicht willig und gern gedient; ich bin fertig gewesen, mit meiner Zunge zu reden, wozu ich wenig Grund gehabt habe, und geschickt, meinen Nächsten zu übervorteilen, freventlich zu richten; zänkisch, spöttisch, undankbar, lügenhaft; und dass ich’s gar heraussage, so finde ich mich, lieber Gott, aller Sünden schuldig und deswegen würdig der ewigen Verdammnis. Meine Sünde ist mir zur Sünde geworden, Deine Pfeile stecken in meinem Gewissen, und in meinem Herzen ist lauter Jammer und Not.
Aber, Herr, Du sagst, Du wollest nicht den Tod des Sünders, sondern dass er Buße tue, sich bessere und lebe. Du sprichst, dass Dir auch kein Opfer besser gefalle als ein zerknirschtes Herz. So nimm nun an, o Herr, mein armes, betrübtes und zerschlagenes Gewissen; erbarme Dich über mich armen Sünder um Deines lieben Sohnes willen, und wirf alle meine Sünden in die Tiefe des Meers, auf dass derselben in Deinem strengen Gericht nicht mehr gedacht werde, und gib mir Gnade, dass ich mich hinfort davor möge hüten und nach Deinem Willen leben. Denn was hülfe mir alle Vergebung, wenn sie nicht auch eine Heilung von der Sünde wäre und einen Schrecken und Hass derselben bewirkte? Amen. (Friedrich Arndt)
Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir. Herr, höre meine Stimme, lass deine Ohren merken auf die Stimme meines Flehens.
Wenn es dem Herzen in seiner Anfechtung ist, als müsste es versinken in einer bodenlosen Tiefe, wenn die Schuld auf der Seele liegt wie eine erdrückende Last, wenn Gott so fern scheint, und mit ihm alles Licht und aller Friede geschwunden, dann bleibt nur Eins, was helfen kann: Bei dem Herrn ist die Gnade. Nicht wir selber können uns aus der Tiefe ziehen, nicht unsere eigene Hand, sondern nur die Hand der Gnade, die uns die Schuld vergibt und von uns nimmt. Bei dem Herrn ist die Vergebung, dass man dich fürchte. Denn nicht dazu vergibt er uns, dass wir ein Ruhekissen für unser Gewissen haben und nun aufs Neue sündigen; sondern dass wir den Herrn hinfort fürchten und ihn lieben und ihm aus Dank für seine Gnade uns heiligen zu einem neuen Leben. Lasst uns nur ehrlich und aufrichtig vor dem Herrn sein. Lasst uns nur alle Selbsttäuschung fliehen. Lasst uns nur nicht zweien Herren dienen wollen: Gottes Vergebung suchen, und doch zugleich die Sünde weiter hegen. Sind wir aufrichtig, dann harren wir nicht umsonst des Herrn, dann wartet unsere Seele nicht vergebens auf sein Wort und seinen Trost. Und er wird Israel erlösen aus allen seinen Sünden. Der, den David nur von ferne schaute, den wir aber kennen, Jesus Christus, zieht uns aus der Tiefe der Anfechtung und Schuld, und lässt uns in eine andere Tiefe blicken, in die Meerestiefe der göttlichen Barmherzigkeit. Und aus dieser Tiefe rufen wir dann mit Dank und Preis: Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir gutes getan hat. (Adolf Clemen)
Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu Dir, Herr, höre meine Stimme.
Kann der abwesende Heiland nicht geholt werden? Martha und Maria wussten, wohin er gegangen war. Wahrscheinlich hatte er es ihnen bei seinem letzten Besuche mitgeteilt, und sein längeres Wegbleiben ihnen angekündigt. Es war damals nach dem Laubhüttenfest, als ihn die Juden zu greifen suchten, und er ihnen entwich. Damals war Lazarus wohl noch ganz gesund. Aber bald änderte sich alles. Lazarus wurde krank. Vielleicht war anfangs keine Ursache vorhanden zur Besorgnis, doch bald mehrten sich die Anzeichen der Gefahr. Die Möglichkeit, dass ihr geliebter Bruder von ihnen genommen werden könnte, durchfuhr die Seele der Schwestern. Menschliche Mittel halfen nicht mehr. Einer, und nur Einer in der ganzen Welt konnte von dem nahenden Tode erretten. Sein Wort, das wussten sie, konnte ihn gesund machen. Aber Jesus, der große Arzt, war 50 Meilen von Bethanien entfernt.
Doch sie dürfen nicht mehr zögern. Es findet sich gewiss ein Freund, der bereit ist, nach Jericho zu eilen mit der kurzen, aber dringenden Botschaft: „Herr, siehe, den Du lieb hast, der liegt krank.“ Erhält der Herr diese Botschaft noch zeitig genug, so ist ihnen geholfen. Mögen andere an seiner Allmacht zweifeln, sie haben die feste Überzeugung, dass er ihren Schmerz mitfühlt und ihr Seufzen hört, ja dass er jeden Herzschlag seines kranken Freundes kennt. Sie haben geglaubt auf Hoffnung, da nichts zu hoffen war (Röm. 4,18), sie hoffen zuversichtlich auf seine Treue. Er hatte sich so oft als Bruder und Freund erwiesen, sollte er nun in dieser schweren Stunde nicht helfen?
Wohl wissen sie, dass dem allmächtigen Heiland diese Stunden der Sorge und Angst nicht verborgen sind, und doch senden sie den Boten. Welch eine Lehre für uns! Gott kennt all unsere Sorge, er hört unser Seufzen (besser als wir selbst), er sieht jede Träne, welche wir weinen, alle unsere Kümmernisse sind ihm bekannt, „das Verlangen der Elenden hörst du, Herr, und ihr Herz ist gewiss, dass dein Ohr darauf merkt“ (Ps. 10,17). „Doch er will gebeten sein, soll er etwas geben.“ So ist es sein Wille. Das ist der Weg, seines Segens teilhaftig zu werden.
Jesus würde seinem Freunde wohl geholfen haben, auch ohne die Botschaft an ihn, wir dürfen seiner Gnade keine Schranken setzen. Gelobt sei sein Name! Er wird oft gefunden von denen, die ihn nicht suchten. Aber er verlangt nach solcher Botschaft, er wünscht das kindliche Vertrauen der Seinigen, welche in der Stunde der Anfechtung betend ihre Last auf ihn werfen und ihre Seufzer nach dem Throne der Gnade senden. O dass wir diese gesegnete Verbindung mit dem Himmel doch mehr schätzten und benutzten! sonders in Zeiten der Not, wenn kein Mensch helfen kann, lasst uns zu unserem himmlischen Arzte aufblicken. Er kann helfen - und will es auch. Gebet bringt die Seele näher zu Jesu und Jesum näher der Seele. Mag der Herr auch mit der Antwort zögern, wie hier am Jordan, er hat dabei nur weise Liebesabsichten. Sollte die Antwort anders ausfallen, als wir es wünschen, so ist es doch so tröstlich, dass wir unsere Sache und all unsere Not vor ihn gebracht und in seine Hand gelegt haben.
Wir wollen zu ihm sagen: „Herr, Du siehst, was mich drückt, nimm Du meine Last auf Dich, Du kennst mein Leid, ich bin zufrieden, wie Du es mit mir machen willst, tue wie es Dir gefällt. Der, den ich liebe, und den Du auch liebst, ist krank. Der Lazarus meiner irdischen Hoffnung und Liebe liegt am Rande des Todes, mein irdisches Glück und Freude werden mit ihm dahin sein. Aber es ist mein Vorrecht, Dir in all meiner Not zu vertrauen, ich habe mich und alles, was mich betrifft, in die Hand dessen gegeben, der meine Seele in aller Unruhe stille machen wird. Ja, wenn meine Pläne durchkreuzt, meine süßesten Hoffnungen vernichtet werden, selbst wenn meine Gebete keine Erhörung finden, so weiß ich doch, dass Du, Herr, recht tust allezeit.“
In der Geschichte des kananäischen Weibes heißt es: „Und er antwortete ihr kein Wort,“ es heißt nicht: „er hörte kein Wort“ ein großer Unterschied. Auch sein Schweigen ist eine Antwort: „Halte an am Gebet!“ Der Herr hält die Türe nur verschlossen, damit du anklopfen und immer wieder anklopfen sollst.
Die trauernden Schwestern in Bethanien machen dem Herrn keine Vorschriften - sie senden nur in Eile ihren Boten, aber sie lassen den Herrn nicht bitten, zu kommen, sie legen alles getrost in seine Hand. So sollen auch wir seiner Weisheit vertrauen, dass sein Weg und sein Wille der allerbeste ist, dass wir nur zu seinen Füßen ruhen sollen, um auf ihn zu warten. Unser Gebet sei nur: „Herr, was willst Du, dass ich tun soll?“ (Apg. 9 6.) so gehe dieser Kelch von mir; „Ist es möglich, doch nicht, wie ich will, sondern wie Du willst.“ (Matth. 26,39.)
So sende auch du fleißig deine Gebete als heilige Boten zum Herrn in allen deinen Anliegen. Ihm darfst du alles sagen. Das ist der Seinen Vorrecht. Suche fortwährende Gemeinschaft mit Jesu. „Bete ohne Unterlass!“
Heilige deine tägliche Arbeit durch Aufblick zu ihm und bleibe in seiner Liebe. Ein unaussprechlicher Segen liegt in dem ununterbrochenen Umgang mit dem Herrn. Kein irdischer Freund versteht dich so, wie er, vertraue ihm alles an. Kein Kummer ist zu gering für ihn, keine Last zu klein, sie vor den Gnadenthron zu bringen.
Durch Gebet wird der Segen dir zu teil. Darum bete, so lange du lebst, denn nur so lange du betest, lebst du. „Weinst du, er zählet die Tränen, klagst du, er gibt dir Gehör.“. (John Ross MacDuff)