“Wer Barmherzigkeit seinem Nächsten weigert, der verlässt des Allmächtigen Furcht.“
Wir im Neuen Bund wissen, dass es die ewige Pein einträgt, wenn man seinem Nächsten die Barmherzigkeit weigert. „Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich nicht gespeist; ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich nicht getränkt etc.“ sagt der HErr am Jüngsten Tag; und weiter unten heißt es dort: „Und sie werden in die ewige Pein gehen.“ Es aber so machen, wie der HErr diesen vorwirft, d.h. seinem Nächsten die Barmherzigkeit weigern oder versagen, - wer das kann, der fürchtet wahrhaftig den Allmächtigen nicht, namentlich wenn's ihm ausdrücklich gesagt ist, und er's weiß, dass, wer so ist, links zu stehen kommt. Ist es doch, als wollte ein solcher sagen: „Was frage ich danach“ - Das bleibt für unser Verhalten in der Welt besonders wichtig, dass wir gegen unsern Nächsten uns nichts zu Schulden kommen lassen, auch rücksichtlich der Verweigerung dessen, was dem Not tut. Es ist nicht genug, nach dem Sprichwort sagen zu können: „Ich habe kein Hühnchen beleidigt!“ Denn ein Hühnchen sättigen und nähren gehört unter Umständen auch her. Wenn ich etwa jemanden zwar nicht totschlage, aber verhungern lasse, oder im Unglück verderben lasse, im Wasser ertrinken, im Feuer verbrennen, im Elend schmachten lasse, oder gar unbarmherzig missbrauche, so bin ich immer einer, der seinem Nächsten Barmherzigkeit weigert, und werde meine Strafe tragen müssen. Bedeutsam aber ist es, dass man eben an dem erkennen kann, ob jemand Gottesfurcht habe oder keine, je nachdem er Barmherzigkeit weigert oder erzeigt.
Am Schlimmsten aber ist es, wenn jemand Glauben hat ohne diese Gottesfurcht, - und das kommt vor, und ist nicht einmal selten. Glauben, d.h. Überzeugung von den christlichen Wahrheiten, ohne Barmherzigkeit, also ohne Gottesfurcht, das kommt viel vor, sogar, dass man von dem HErrn Barmherzigkeit hofft, und doch keine Barmherzigkeit zu erzeigen im Stande ist, namentlich wenn's gegen Sünder sein soll, von denen man gar oft keine Reue und Buße mehr annehmen will. Hässlicher aber gibt‘s auf der Welt nichts, als das. Umgekehrt kommt‘s wohl auch vor, dass jemand Barmherzigkeit, also doch wohl auch Gottesfurcht, hat ohne Glauben d.h. ohne die christlichen Glaubenssätze zu wissen, oder vernehmen zu können. Ob es solchen wohl am jüngsten Tage nicht eher besser geht, als jenen? Es sieht fast so aus, wenn man den Richterspruch näher besieht. Kurz, all unser Glauben bekommt erst dadurch seine Krone, dass man Gott fürchtet und darum seinem Nächsten Barmherzigkeit nicht weigert. Ohne das ist der Glaube kein seligmachender Glaube. O armer Mensch, ohne selbst Barmherzigkeit zu üben, singen zu wollen: „Mir ist Erbarmung widerfahren!“ (Christoph Blumhardt)