Der Mensch vom Weibe geboren lebt eine kurze Zeit, und ist voll Unruhe; geht auf wie eine Blume, und fällt ab; fleucht wie ein Schatten, und bleibt nicht.
Der Mensch däuchte den Hiob in seinem schweren Leiden ein sehr geringes Geschöpf zu sein, wie er ihn dann oft als ein solches beschreibt. Er sagte unter Anderem: der Mensch vom Weibe geboren lebt eine kurze Zeit; und doch lebte er nach seiner Trübsal noch 140 Jahre, und hatte schon vorher erwachsene Kinder gehabt. Wie viel mehr sollen wir, deren Leben 70 und, wenn’s hochkommt, 80 Jahre, gemeiniglich aber nicht so lange währt, die Kürze unseres Lebens, welches David Ps. 39,6. einer Handbreite vergleicht, erkennen. In der kurzen Zeit des Lebens ist aber der Mensch voll Unruhe oder Umtrieb. Viele Leiden und viele Arbeiten erhalten ihn immer in einer mühseligen Bewegung. Des ruhigen Genusses hat er wenig, weil er immer umgetrieben wird. In der Kindheit geht er wie eine Blume auf, und nicht wie ein Reis im Wald, aus dem eine Zeder oder ein Eichbaum werden soll. Er ist als ein Kind schön und schwach wie eine Blume, und so steht er eine Zeit lang, fällt aber wieder ab. Er fleucht wie ein Schatten und bleibt nicht. Kaum hatte man ihn auf der Erde gesehen, so verschwindet er wieder ganz wie ein Schattenbild. Man sieht ihn nicht mehr, er ist nicht mehr da. Aus der Erde sind seit der Schöpfung schon ein hundert und etlich und zwanzigmal viele Millionen solcher Schattenbilder verschwunden; und auch wir, die wir jetzt da sind, werden bald so verschwinden.
Wozu soll uns nun diese Betrachtung dienen? Dazu soll sie uns dienen, dass wir uns selbst nach unserem irdischen Zustand und Leben für sehr gering halten. Ach es ist bald um uns geschehen. Unsere Taten gehen sehr nahe zusammen, auch die Kürze unseres Lebens überzeugt uns, dass wir nicht durchs Verdienst der Werke selig werden können. Weil wir aber doch als Knechte und Mägde Gottes etwas tun sollen, so sollen wir’s frisch oder hurtig tun, weil die Zeit und Gelegenheit kurz ist. Wir sollen fleißig sein. Wir sollen wandeln, dieweil es Tag ist, denn es kommt die Nacht, da Niemand wandeln kann. Übrigens kann und will der große Gott die kleinen und wenigen Werklein, die wir tun, so segnen, dass sie zu einer Frucht werden, welche bleibt, obschon wir selbst nicht auf Erden bleiben, und dass sie eine Saat werden, auf welche eine ewig Ernte folgt. Lasst uns keinen Menschen abgöttisch fürchten, oder zur Stütze unseres Vertrauens machen; denn er ist eine Blume, die bald abfällt, und ein Schatten, der bald vergeht. Lasst uns aber auch unsere Güter, unsere Ehre bei Menschen, und unsere ganze irdische Glückseligkeit, ob wir schon Gott dafür zu danken haben, nicht allzuhoch schätzen, weil sie mit unserem irdischen Leben bald verwelken und vergehen werden. Aber auch unsere Leiden sollen wir nicht allzuhoch anrechnen; denn der Mensch vom Weibe geboren lebt und leidet eine kurze Zeit, aber der Mensch aus Gott geboren lebt ewiglich. (Magnus Friedrich Roos)
„Der Mensch lebet kurze Zeit, und ist voll Unruhe.“
Es ist uns vielleicht sehr gut, wenn wir dieser ernsten Tatsache ein wenig nachdenken, ehe wir uns heute schlafen legen; denn sie kann uns veranlassen, uns vom Irdischen je mehr und mehr los zu machen. Es liegt nicht sehr viel Erfreuliches in der Erinnerung, dass wir nicht über die Wechselfälle des Lebens erhaben sind; aber sie mag uns demütigen und uns bewahren vor einem Rühmen, wie es uns in unserer heutigen Morgen-Betrachtung in den Worten Davids entgegentritt: „Ich sprach, da mir's wohl ging: Ich werde nimmermehr darniederliegen.“ Sie kann uns abhalten, dass wir uns nicht zu tief in diesen Boden einwurzeln, aus welchem wir nach kurzer Zeit sollen in den himmlischen Garten verpflanzt werden. Wenn wir daran gedächten, dass auf alle Bäume der Erde die Axt des Holzfällers wartet, so wären wir nicht so eilig, unsere Nester auf denselben zu bauen. Wir sollen lieb haben, aber nur mit einer Liebe, die den Tod voraussieht und auf Trennung gefasst ist. Unsere lieben Angehörigen sind nur geliehene Güter, und die Stunde, wo wir sie in des Herrn Hand zurückgeben müssen, ist vielleicht vor der Tür. Das Gleiche gilt noch mehr von unsern irdischen Gütern. Haben nicht die Reichtümer dieser Welt Flügel und enteilen unversehens? Auch unsere Gesundheit ist gebrechlich. Vergängliche Blumen des Gefildes sind beide; wir dürfen nicht darauf zählen, dass sie uns immer blühen. Es ist uns eine Zeit gesetzt zur Krankheit und Schwachheit, wo wir durch Geduld im Leiden unsern Gott verherrlichen dürfen, und nicht durch fruchtbare Tätigkeit. Es gibt kein Stück, wo wir hoffen dürften, den verwundenden Pfeilen der Trübsal zu entgehen; unserer Tage keiner ist vor Kummer geschützt. Des Menschen Leben ist ein Kelch voll bitteren Weins; wer Freude sucht, möchte leichter in der Salzflut des Meeres Honig finden. Liebe Seele, richte dein Herz nicht auf das Irdische, sondern suche, was droben ist; denn das hienieden ist, fressen die Motten und die Diebe graben danach und stehlen; dort aber sind alle Freuden ewig und unverwelklich. Der Pfad der Trübsal ist der Weg zur Heimat. Herr, lass diesen Gedanken manchem müden Haupte zum sanften Ruhekissen werden! (Charles Haddon Spurgeon)
Der Mensch vom Weibe geboren lebt kurze Zeit, und ist voll Unruhe.
Gegen diesen Spruch wird kein vernünftiger Mensch auf Erden Protest erheben können. Dass unser Leben „kurze Zeit“ währt, bezeugen auch die Ältesten, die fast ein Jahrhundert hier unten weilen durften. „Kurze Zeit,“ das passt auch für ein sogenanntes langes Leben. Aber selbst diese kurze Zeit ist uns nicht garantiert. Man kann nichts Trivialeres sagen als dies, dass wir jeden Augenblick gefasst sein müssen, aus dem Leben zu scheiden, und doch wird nichts weniger bedacht, wie diese selbstverständliche Wahrheit.
Kurz ist die Zeit, und ist sie hin, so ist sie hin. So manches verlorene Gut lässt sich durch Mühe, Fleiß, Glück und Geschick wieder gewinnen. Niemals ist wiederzugewinnen die verlorene, vertriebene, vertändelte Zeit. Du magst nachher den Rest so treu gebrauchen wie du willst, mehr wie die Zeit auskaufen kannst du nicht und das Versäumte ist nicht zu ersetzen. Mögen dir diese Wahrheiten unbequem sein oder nicht, jedenfalls sind es Wahrheiten und du wirst wohl tun, dich darnach zu strecken.
Hiob sagt aber nicht nur: „der Mensch vom Weibe geboren lebt kurze Zeit“, sondern er fügt auch hinzu: „und ist voller Unruhe“. Wer müsste dem nicht beistimmen? Mag das eine Leben minder bewegt sein wie das des Andern, - voller Unruhe ist jedes Leben. Diese Unruhe stammt daher, dass, wie unser eigenes Leben, so auch alle Dinge, die in unserem Besitz sind, uns total ungewiss sind. So wenig wie die Zeit, so wenig ist uns irgend etwas, was wir unser Eigen nennen, gesichert. Wir mögen Siegel anlegen an Dies und Jenes, wir mögen unsere Liebsten ans Herz pressen: „Euch lasse ich nimmermehr!“ das hilft nichts. In schmerzlichen Wegen müssen wir erfahren, wie ungewiss Alles ist, und das schafft (um hier einmal von der Unruhe, die aus der Sünde fließt, zu schweigen,) - das schafft die Unruhe. Und so kommt es denn, dass unsere Unruhe nicht etwa geringer wird, je mehr wir besitzen, sondern dass mit dem Besitz, sei es an Geld und Gut, sei es an lieben Familiengliedern, ja auch an Kenntnis und Wissenschaft - nur die Unruhe wächst und steigt. - Manchmal freilich lässt es sich so an, dass ruhige Zeiten kommen wollen, und wie freut man sich darauf: Wenn das und das nun erst vorüber ist, dann wird's einmal still und behaglich werden. Aber es ist eine allgemeine Erfahrung, dass sich dann das stille Meer an einer Stelle kräuselt, wo man's gar nicht erwartet hatte. Neue Unruhwellen fahren über das Herz, sei es auch, dass nur die Krankheit eines Kindes, oder ein unerwarteter Besuch oder gar nur ein Zahnleiden die Ruhe tilgen.
Ach, ja, „der Mensch vom Weibe geboren lebt kurze Zeit und ist voller Unruhe“. Dazu weiß Jeder, der dies Blatt jetzt in Händen hält, eine bewegliche Auslegung zu geben. Selig aber, wer es weiß, dass dies doch nur die eine Seite der Sache ist, wer nicht nur sagen kann: „meine Zeit in Unruhe“, sondern auch: „meine Hoffnung in Gott“; nicht nur weiß, „der Mensch ist voller Unruhe“, sondern auch: „Es ist noch eine Ruhe vorhanden dem Volke Gottes“. O, wie klingt das so majestätisch still und himmelsstark, wie kann sich daran das verstürmte Herz sammeln und aufrichten. Wer's versteht, wer in der Gemeinschaft Jesu Christi hat sprechen gelernt: Gott sei Preis, auch mir ist noch eine Ruhe vorhanden, eine selige, lebensvolle Ruhe, da alle meine Unruhe auf ewig gestillt, da alle meine höchsten Wünsche auf ewig erfüllt sind, – wer das sagen kann: Ich bin ein Glied dieses Volkes Gottes, ob auch nur ein armes, ein schwaches, ich bin es, denn Gott will, dass ich es bin, und ich will es sein, es ist meine höchste Sehnsucht, dass ich immer mehr von seinem Geist getrieben und bewegt und durchdrungen werde, wer so steht, der hat auch jetzt schon Ruhe mitten in der Unruhe, heilige Stille mitten in allem Gewirr der Zeit, Frieden in aller Zerrissenheit, stolzen Hoffnungsmut, wenn alle Erdenhoffnung untergeht.
Möchtest du nicht so ins neue Jahr hineingehen, als ein Kind Gottes? Siehe, du kannst es sein, wenn du nur wirklich willst. Schaue nur Jesum an, deinen Retter! Und dann mögen im neuen Jahre die Wellen brausen, sie werden dich doch nicht umwerfen, ja du wirst trotzdem und alledem Frieden haben. Und wenn du dir wirst den Schweiß abwischen nach saurem Arbeiten, und wenn du dir wirst die Tränen abtrocknen nach bitterem Weh, so wird es in dein gequältes, gejagtes Herz hineintönen: „Sei stille, es ist dir noch eine Ruhe vorhanden!“ Und wenn einmal Alles, Alles zusammenbricht im Tode, wenn dein ganzes Leben mit all seinem Getreibe wie eine von Nebel durchströmte Landschaft tief unter dir liegt, wenn alle Menschen auf der Erde dir auch nicht ein Tröpflein Trost mehr geben können, wenn du dich verlassen fühlen wirst von aller Kreatur und deine Sünde dich verklagen und ins Verzagen stürzen will, wenn das alte aufhört und ein neues anfängt, dann wird dein Heiland Jesus Christus dir selbst zur Seite stehen und dir mit holdseligen Lippen in deine geängstete Seele hineinhauchen: „Sei getrost, dir ist noch eine Ruhe vorhanden, bald gehst du ein zu deiner Ruh. Noch einen kleinen Kampf und der ewige Sabbat fängt an“. Wäre das nicht eine schöne Aussicht? Und du kannst sie haben so gut wie der Apostel Paulus und Maria, die Mutter des Herrn, aber nur - zu Jesu Füßen.
Ich zieh' mich auf den Sabbath an
So prächtig, wie ich immer kann;
Denn meine Seele ist die Braut,
Die ihrem Manne wird vertraut;
Bald kommt der Bräutigam und holt sie hin,
Wo sie in Ewigkeit ist Königin. (Otto Funcke)