Du sollst deinen Bruder nicht hassen in deinem Herzen, sondern du sollst deinen Nächsten strafen, auf dass du nicht seinethalben Schuld tragen müssest.
Liebe und Hass vertragen sich wohl. Feuer und Wasser sind wider einander, und doch vereinigt im warmen Wasser. Liebe und Hass sind Feinde, vertragen sich aber gar wohl in einem göttlichen Menschen. Ich liebe Gott und hasse alles, was an mir und andern Gott zuwider ist. Die Liebe selbst ist nicht ohne Hass. Warum hasst Gott die Sünde? Weil sie zuwider ist seiner Gerechtigkeit, die er lieb hat. Ich liebe dich und hasse doch an dir deine Laster. Das, meinest du, sei nicht von Herzen geliebt. Wie, sprichst du, kann Liebe und Hass verknüpft sein? Gar wohl. Dich liebe ich, das deine hasse ich. Person und Laster sind nicht einerlei. Trenne dich und das deine, so trennst du Liebe und Hass; fällt deine Sünde hin, mein Hass fällt mit hin. Bei wenigen findest du Liebe und Hass verbunden. Mancher ist ohne Hass, liebt dich und das deine, sieht dich sündigen, schweigt still, sieht durch die Finger, lässt sich wohlgefallen, was du böses tust und will dich nicht erzürnen. Meinest du, dass derselbe dich liebe? Ach nein. Wie kann der mich lieben, der mich sieht in eine Grube fallen und lässt mich nicht allein drin stecken, sondern lacht auch noch über mein Unglück? Die Liebe rettet, wo sie kann, allermeist die Seele. Das deine liebt ein solcher, und um des deinen willen lässt er dich zum Teufel fahren. Mancher ist ohne Liebe, hasst dich und das deine. Sündigst du, läuft er voll Zorns, richtet und verdammt dich, hält sich von dir zurück, sieht auch nicht gern, dass andere mit dir umgehen. Meinst du wohl, dass ein solcher dich jemals recht geliebt hat? Ach nein. Die Liebe zürnt allein dem Nächsten zu gut, und ob sie wohl zu seiner Sünde nicht schweigt oder dieselbe billigt, weiß sie doch einen feinen Unterschied zu machen zwischen Person und Untugend und lässt nichts unversucht, was zu des Nächsten Besserung dienen kann. Augustinus sagt: „Du musst die Laster nicht lieben um der Menschen willen, noch den Menschen hassen um der Laster willen, sondern je mehr du des Menschen Natur liebst, je mehr sollst du hassen das Laster, welches die Natur, die du liebst, besudelt hat.“ Ich weiß wohl, dass ich nicht ohne Gebrechen bin; drum will ich den für meinen besten Freund halten, der mir meine Gebrechen vorhält und aufrückt. So weiß ich auch wohl, dass meine Freunde nicht ohne Gebrechen sein können, drum will ich sie strafen, wenn ich sie sehe sündigen. Entweder kein Freund ihrer Gebrechen oder kein Freund ihrer selbst. Ich will mit meinem gefallenen Freunde umgehen wie der Goldschmied mit dem Golde: ihn säubern, aber nicht verwerfen; wie der Arzt mit dem Kranken: mich bemühen, dass ich ihn gesund mache, aber ihn nicht verlassen; wie ein Vater mit seinem Kinde: strafen will ich ihn, aber nicht verstoßen, sondern seine Besserung suchen, und wenn dieselbe da ist, die Rute wegwerfen. Meine Liebe soll nimmer vom Hass, noch mein Hass von der Liebe getrennt sein. Liebst du dich selbst, so wird's dir nicht missfallen, dass ich deine Gebrechen nicht liebe. So du aber dich selbst nicht liebst, wie kannst du mich lieben? Wähl dir zum Freunde, wen du willst. Ich bins nicht. (Heinrich Müller.)