======Markus 15,34====== =====Andachten===== **Und um die neunte Stunde rief Jesus laut und sprach: Eli, Eli, lama asabthani! Das ist verdolmetscht: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!**\\ Wer kann die Tiefe dieses Wortes ermessen? Ist's doch schon schmerzlich genug, von Menschen verlassen sein, in Lagen kommen, wo man keinen Trost, keine Hilfe an seinen nächsten Freunden mehr hat, wo alles, worauf man seine Hoffnung setzt, zusammenbricht, und man allein mit seinem Schmerze dasteht in der weiten Welt; wie hart ist das für den armen Menschen, - aber im Himmel wacht ja doch noch ein Auge, das mit treuer Liebe auf ihn sieht, ein Helfer, der seine Hand nach ihm ausstreckt und tröstend zu ihm spricht: „Fürchte dich nicht, ich bin mit dir, weiche nicht, ich bin dein Gott.“ Nun aber auch von dem verlassen sein - bedenkt, was das heißt. Doch es kann Zeiten im innern Leben eines Christen geben, wo er selbst davon etwas erfährt, Stunden, wo er sich der Gnade seines Gottes nicht getrösten kann, wo ihm das Gefühl seiner Nähe verschwindet, wo ihm zu Mute ist, als wäre er für immer ausgetan vor seinem Angesichte. Solche Erfahrungen gehören zu den schwersten, die es gibt; unsere Väter haben sie die hohen Anfechtungen genannt und viel von ihnen zu reden gewusst, aber auch das sind für den Gläubigen nur heilsame Prüfungen; die Gnadensonne ist da nicht untergegangen, sie hat ihre Strahlen nur ein wenig hinter den Wolken verborgen, damit der Mensch unterdessen lerne, wie gar nichts er selber ist, und wie sein Heil allein bei dem Herrn steht; hat er das gelernt, so muss ihm das Licht bald wieder aufgehen, und die Freude dem frommen Herzen. So aber ist's bei Christo nicht; seine Verlassenheit ist mehr als eine solche Anfechtung, wie sie den Frommen widerfährt; sie war eine Gottverlassenheit im vollsten Sinne des Worts. Der Vater hat ihm wirklich seine Nähe und Hilfe für eine Zeitlang entzogen, nicht bloß die Empfindung seiner Liebe und seines Trostes er hat das Angesicht seiner Gnade von ihm abgekehrt und ihn in die Schrecknisse des Gerichts dahingegeben. Leset die Worte des 22. Psalms: „Ich bin ausgeschüttet wie Wasser usw.“, hört denselben Leidenden im 88. Psalm klagen: „Meine Seele ist voll Jammer usw.,“, sind das Worte eines Mannes, vor dem sich die Gnadensonne nur ein wenig verbirgt? Nein, es ist das Angstgeschrei einer Seele, über welche Gottes Gerichte hereingebrochen sind, es ist die Klage eines Mannes, der den Zorn des Höchsten, der den Fluch der Sünde trägt. Aus dieser Tiefe heraus quillt das: „Eli, Eli, lama asabthani!“ Und so fragen wir denn: Treuer Heiland, warum hast du in deinen letzten Stunden dieses geheimnisvolle Wort geredet, warum hat dich dein Gott am Kreuze verlassen, der du doch gehorsam warst bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuz? Und seine Antwort lautet: Ihr habt mir Arbeit gemacht in euren Sünden, und Mühe gemacht in euren Missetaten. Ich habe an eurer Stelle das Gericht erduldet; damit die Schuld eures Abfalls von Gott getilgt würde, damit mein Vater sein Angesicht auf ewig in Gnaden zu euch kehre, darum bin ich eine Weile von ihm verlassen worden. Und so hört denn diese Antwort zuerst ihr Sünder, das heißt wir alle, denn Sünder sind wir alle; und was das heiße, sieht man am besten aus dem Gericht, das der Vater am Sohne vollzogen, an dem Opfer, das unsere Erlösung gekostet hat. Erkennst du nun das, fühlst du die Last der Sünden und fürchtest dich um derselben willen vor Gottes Zorn und Gerichten, siehe, hier ist der Trost: „Er hat uns erlöst vom Fluche des Gesetzes, da er ward ein Fluch für uns; er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen; die Strafe lag auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.“ Hier ist Trost auch für euch, die ihr in Not und Anfechtung geht und vielleicht aus der Tiefe großer Leiden seufzt: „Wie lange willst du mein so gar vergessen, wie lange verbirgst du dein Angesicht vor meinem Schreien.“ Seitdem unser Heiland am Kreuze verlassen worden ist, wird keiner mehr verlassen, der durch ihn seine Zuflucht zum Vater nimmt, keiner unerhört hinweggewiesen, der im Glauben auf seine Hilfe traut. Klopfe du nur getrost an diese Türen, - und wenn's auch lange währt, vom Morgen bis zum Abende, und wenn's auch den Anschein gewinnt, als habe Gott dein vergessen, du wirst es doch noch erfahren, was der Herr in seinem Worte gesagt hat: „Kann auch ein Weib ihres Kindleins vergessen, dass sie sich nicht erbarmt über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie desselben vergäße, will ich doch dein nicht vergessen.“ Und was du sonst noch bedarfst zum Lauf und Kampf des Lebens, Kraft des Glaubens, Geduld und Stärke, Beständigkeit und Treue, er wird dir alles geben, sobald du es im Namen seines Sohnes von ihm bittest. Das ist die Frucht des Leidens Jesu Christi, das das Geheimnis der Erlösung. Es gibt nur eine Klasse von Menschen, die keinen Teil daran haben, die hier und dort von Gott geschieden bleiben. Das sind die, die an den Heiland weder glauben noch ihn lieben. (Gottfried Thomasius.) =====Predigten===== {{tag>Thomasius_Gottfried_Andachten}}